Elementare Philosophie

 

 

 

 


 

 

 

Elementare Philosophie oder Grundlegung der Philosophie

 

 

Wenn man Erfinder sein will, so verlangt man, der erste zu sein;

will man nur Wahrheit, so verlangt man Vorgänger.

Immanuel Kant, AA, Bd. 16, S. 255, Refl. 2159

 

 
Historisch betrachtet kann kein Philosoph ab ovo beginnen. Philosophieren hat zu jedem Zeitpunkt eine persönliche Vorgeschichte und eine lange Geschichte der Entstehung und Entwicklung von maßgeblichen Positionen. Eine gründliche Kenntnis der Geschichte des überlieferten Philosophierens ist eine notwendige Vorbedingung erfolgreichen Philosophierens. Nun kann in der Gegenwart kaum noch jemand behaupten, die ganze Geschichte der europäischen Philosophie -- geschweige denn dazu auch noch die ganze Geschichte des chinesischen und indischen Denkens -- genau zu kennen oder auch nur im Großen und Ganzen zu überschauen. Das wäre eine intellektuelle Anmaßung.

 

Karl Jaspers war der letzte moderne Philosoph, der so etwas Ähnliches wie eine universale Weltphilosophie anvisiert hat. Doch Jaspers hatte noch die methodische Unbefangenheit eines Autodidakten, der über die Psychiatrie und Psychologie zur Philosophie gekommen war. Aber schon bald nach Jaspers haben sich die textkritischen, hermeneutischen und methodischen Anforderungen in der universitären Lehre und Forschung der Philosophie und ihrer Geschichte derart erhöht, sodass niemand mehr mit seiner großzügigen Unbefangenheit vorzugehen wagt. Diese methodische Verwissenschaftlichung der Philosophie hat jedoch auch ihre Schattenseiten.


Systematisch betrachtet kann niemand ohne logische Voraussetzungen philosophieren. Philosophieren findet in einem geistigen Raum der idealtypischen Positionen, axiomatischen Thesen, Wahrheitsansprüche und mehr oder weniger guten Begründungen statt. Wer philosophiert muss sich in diesem geistigen Raum auskennen und positionieren können, indem er an gewisse überlieferte Positionen anknüpft.

 

Eine solche systematische Anknüpfung kann und sollte auch dadurch erfolgen, dass man verschiedene Teilstücke von früheren, miteinander vereinbaren Positionen auf eine neue Weise logisch konsistent verbindet und dadurch eine neue, verbesserte Synthese schafft, die möglichst die bestehenden Probleme früherer Einzelpositionen überwindet. Nur auf diese Weise wird ein gewisser Fortschritt in der Philosophie überhaupt möglich.

 

Es gibt jedoch nichts gänzlich Neues unter der Sonne des philosophischen Denkens. Im Folgenden knüpfe ich vor allem an Platon und Aristoteles, an Kant und Hegel, an Brentano und Husserl sowie an Karl Jaspers und Nicolai Hartmann an. Das klingt auf Anhieb vielleicht wie ein gewisser Eklektizismus, aber ein solches selektives Vorgehen ist sachlich gut begründet. Denn bei den maßgeblichen Werken dieser überlieferten Philosophien handelt es sich immer noch um die methodischen Paradigmen der europäischen Philosophie, die seit einigen Jahrzehnten unter dem Ansturm der sog Analytischen Philosophie mit ihrer vorwiegend positivistischen und szientistischen Orientierung verloren zu gehen droht.

 

Im Vergleich zu den Vorsokratikern wurde das philosophische Denken durch Platon und Aristoteles zweifelsohne auf ein höheres qualitatives Niveau der methodischen und systematischen Durchdringung der Wirklichkeit des menschlichen Daseins in der natürlichen und kulturellen Welt -- von Physis und Nomos -- gehoben, die bis in unsere Gegenwart hinein für die philosophischen Grundfragen bestimmend geblieben ist. Heideggers Ruf nach einer romantischen Rückkehr zu den vorsokratischen Ursprüngen der Naturspekulation hingegen war von Nietzsches tiefsitzenden Ressentiments gegen die klassische antike Philosophie und gegen die jüdisch-christliche Religion angetrieben und führte nicht nur politisch in die Irre.

 

Von Kant und Hegel habe ich gelernt, dass man bei aller dankbaren Bewunderung für die paradigmatischen Werke von Platon und Aristoteles als den beiden größten Philosophen der Antike dennoch nicht einfach in jeder Hinsicht ein lupenreiner Platoniker oder buchstabengetreuer Aristoteliker bleiben kann. Das hat in der theoretischen Philosophie mit den naturwissenschaftlichen Umwälzungen der nova scientia in der Neuzeit und in der praktischen Philosophie mit deren Auseinandersetzung mit der christlichen Theologie und Ethik sowie mit dem neuzeitlichen Naturrecht seit der Aufklärung zu tun.

 

Bei der intellektuellen Auseinandersetzung mit den maßgeblichen Werken von Klassikern wie Platon und Aristoteles, Kant und Hegel muss man lernen, zwischen zeitlich bedingten, aber überholten Überzeugungen einerseits und immer noch gültigen und deshalb bewahrenswerten Überzeugungen andererseits zu unterscheiden. Beispiele für diese Kunst der Unterscheidung finden wir in der Moderne bei Karl Jaspers und Nicolai Hartmann. Für Jaspers waren Platon und Kant maßgebend, für Hartmann hingegen Aristoteles und Kant. Das methodische Spannungsfeld, das Platon und Aristoteles mit ihren so unterschiedlichen Werken abgesteckt haben, begegnet einem in abgewandelter Form nicht nur bei Kant und Hegel, sondern in einer noch einmal verwandelten Gestalt auch bei Jaspers und Hartmann wieder. Dieses paradigmatische Erbe kann einen davor bewahren, den verführerischen Sirenengesängen der zeitgenössischen Materialisten und Naturalisten, Empiristen und Skeptizisten, Positivisten und Szientisten zu erliegen, die für einige Jahrzehnte den einflussreichen Mainstream der sog. Analytischen Philosophie ausmachten.

 

Die aristotelische Unterscheidung von theoretischer, praktischer und poietischer Philosophie hat immer noch eine heuristische Gültigkeit. Eine wechselseitige logische Abhängigkeit und systematische Beziehung zwischen diesen drei kategorial unterscheidbaren Bereichen des Philosophierens spricht nicht gegen diesen heuristischen Wert. Dies gilt auch dann noch, wenn man 'poietische Philosophie' nicht mehr im ursprünglichen Sinne von Aristoteles versteht und lediglich mit Poetik und Rhetorik verbindet.

 

Aber in der theoretischen  Philosophie geht es immer noch primär um die logischen Vorbedingungen, psychologischen Potentiale und epistemischen Grenzen der menschlichen Erkenntnis der Wahrheit über das menschliche Dasein in der Welt sowie über die ontischen Grundstrukturen der Welt selbst. In der praktischen Philosophie geht dann immer noch primär um das menschliche Handeln und um die Chancen und Risiken im menschlichen Tun und Lassen das mögliche Gute zu realisieren und zu mehren und das Schlechte zu vermeiden und zu verringern. In der poietischen Philosophie geht es darum, in den verschiedenen praktischen Wissenschaften und Künsten Schönes zum Gelingen zu bringen, zu erschaffen, zu erhalten und zu bewahren. Das betrifft weit über die aristotelische Poetik und Rhetorik hinaus alle die unverzichtbaren, weil lebensdienlichen menschlichen Künste, in denen theoretisches Wissen und praktisches Können in schöpferischen Prozessen der Kontemplation, der Planung und der Konstruktion verbunden werden, wie z.B. in der Pädagogik als der Kunst der Erziehung, Ausbildung und Bildung, der Medizin als der Kunst der Bewahrung und Wiederherstellung der Gesundheit, der Ökonomie als der Kunst der Erzeugung, Förderung und Bewahrung von Wohlstand oder auch der Architektur als der Kunst des Entwerfens, der Planung und der Errichtung von Bauwerken.


Kant hat die Philosophie zwar auch noch im Anschluss an Aristoteles in theoretische und praktische Philosophie eingeteilt, aber die poietische Philosophie aufgrund seines systematischen Anliegens der Vernunftkritik und seiner schematischen Auflösung der Antinomien unterschlagen. Auf seine Kritik der reinen (theoretischen) Vernunft folgte buchtechnisch zuerst seine Kritik der praktischen Vernunft und dann erst seine Kritik der Urteilskraft. Da seine Kritik der Urteilskraft nicht nur Grundfragen der Ästhetik, sondern auch Grundfragen der Philosophie der organischen Natur behandelte, war sie zwar schon für alle klassischen vier Fakultäten relevant: von der philosophischen und theologischen Fakultät bis hin zur juristischen und medizinischen Fakultät. Aber erst Hegel konnte die kantische Ästhetik von ihrem epistemischen Subjektivismus und die kantische Naturphilosophie von ihren skeptischen Vorbehalten gegenüber einer realistisch gedeuteten Teleologie in der organischen Natur befreien.



Kants vier Grundfragen der Philosophie

 

In vielen zeitgenössischen Einführungen zur Philosophie wird auf Kants bekannte Unterscheidung zwischen vier Grundfragen der Philosophie zurückgegriffen:

  1. Was kann ich wissen?
  2. Was soll ich tun?
  3. Was darf ich hoffen?
  4. Was ist der Mensch?

Kants berühmte Einteilung der Grundfragen der Philosophie und seine Unterscheidung  in die Gebiete: (1.) Theoretische Erkenntnistheorie und (2.) praktische Moral- und Rechtsphilosophie, (3.) Geschichts- und Religionsphilosophie (4.) Philosophische Anthropologie und seine didaktische Bemerkung in seiner Logik-Vorlesung, dass die ersten drei Fragen zur vierten führten, wird jedoch häufig falsch interpretiert. Denn für Kant bedeutet dies gerade nicht, dass die letzte Frage auf eine fundierende Funktion der Philosophischen Anthropologie hinweisen könnte.

 

Nach Kant kann philosophische Anthropologie nämlich nur empirisch, pragmatisch und weitgehend rhapsodisch als philosophisch reflektierte und nur bis zu einem gewissen Grad systematisierte Menschenkenntnis des praktischen Alltagslebens realisiert werden. Transzendentalphilosophische Überlegungen zu den apriorischen Bedingungen der ganz spezifisch menschlichen Fähigkeiten zum Denken und Urteilen, willentlichen Wählen und Handeln können weder empirisch erfasst noch ganz pragmatisch begriffen werden. Kants Vernunftkritik geht deswegen grundsätzlich über eine bloß empirisch-pragmatische Anthropologie hinaus.


Außerdem muss ich - wie jedes Handlungssubjekt - immer schon etwas über mich, die Menschen und die Welt wissen, um mich unter einmaligen und irreversiblen Realbedingungen mit Hilfe der Urteilskraft richtig und gut entscheiden zu können, sodass nicht nur die Antworten auf die vierte Frage nach dem Menschen, sondern auch die Antworten auf die zweite Frage nach dem rechten und guten Handeln sowie die Antworten auf die dritte Frage nach dem begründeten Hoffendürfen von den Antworten auf die erste Frage nach dem Wissenkönnen abhängen. Antworten auf die Frage nach der Natur des Menschen können also bei Kant nicht wirklich fundierend sein.


Das Gleiche gilt aus anderen Gründen auch für die Geschichts- und Religionsphilosophie, da hier der natur- und kulturgeschichtliche Mensch, wie wir ihn geschichtlich rekonstruierend vorfinden und was er aus sich selbst machen kann, wesentlich transzendiert wird. So wird eine bloß empirische und naturalistische Anthropologie nach Kant noch nicht einmal der Natur des Menschen und ihrer Sonderstellung in der irdischen Natur gerecht werden können, da sie seine angeborene Vernunftbegabung nicht adäquat erfassen und verstehen kann.


Erst recht wird eine bloß empirische und naturalistische Anthropologie schon gar nicht dem Menschen in seiner selbsttätigen Kultivierung und stets zu erstreitenden Zivilisierung gerecht werden können, weil sie das "Faktum der Vernunft" in seiner irreduziblen Apriorität, Normativität und Idealität niemals adäquat erfassen und verstehen kann. Nach Kant müssen daher alle empirisch-biologischen und mithin auch alle biologischen oder evolutionistischen Versuche einer Grundlegung der theoretischen und praktischen Philosophie scheitern.


Es kann deswegen aus grundsätzlichen Gründen auch keine überzeugende evolutionäre Erkenntnistheorie oder Ethik geben. Und es kann aus grundsätzlichen Gründen auch gar keine überzeugende neurowissenschaftliche Erkenntnistheorie oder Ethik geben. Die biologische Evolutionstheorie und die modernen Neurowissenschaften generierten in der Vergangenheit und  sie generieren in der Gegenwart und auch in Zukunft immer nur mehr oder weniger gut empirisch bestätigte wissenschaftliche Hypothesen, die immer schon apriorische Voraussetzungen logischer, mathematischer und ontologischer Art haben, um von den evaluativen und normativen Voraussetzungen ihrer erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Reflexionen in ihrer wissenschaftlichen Praxis einmal ganz zu schweigen.


Auf der Basis von bloß empirischen und immer bloß wahrscheinlichen Hypothesen über die Natur, Entstehung und Entwicklung des Menschen im Allgemeinen, die jederzeit aufgrund von neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen revidiert werden könnten, kann kein Mensch unter Realbedingungen sein Leben organisieren. Niemand kann nämlich bloß hypothetisch existieren, wie es Ulrich in Robert Musils Roman Der Mann ohne Eigenschaften versuchte:

  • weder in individualethischer Hinsicht (Wie kann ich mein Leben so einrichten und leben, dass ich am Lebensende selbst damit zufrieden gewesen sein werde?)
  • noch in moralphilosophischer Hinsicht (Wie muss ich mich ethisch und moralisch einstellen, mich verhalten und bewusst handeln, damit ich meinen Mitmenschen weitgehend gerecht werde?)
  • noch in rechtsphilosophischer Hinsicht (Wie muss ich mich einstellen, mich verhalten und bewusst handeln, um in Konfliktsituation das Leben, das Eigentum, die Freiheit und die Würde anderer Menschen zu achten?).

Grundlegendes Philosophieren ist wie die Philosophie überhaupt ein logisches und methodologisches Nachdenken über die besondere und unter allen anderen intelligenten Lebewesen einzigartige Situation des Menschen in der Welt sowie über die Grundstrukturen der Welt, die wir aus der alltäglichen Erfahrung unserer Lebenswelt kennen und die wir in den verschiedenen Einzelwissenschaften tiefer und gründlicher, aber auch abstrakter und objektiver erforschen.

 

Elementare Philosophie ist gewissermaßen die Nachfolgedisziplin für die aristotelische Prima Philosophia, d.h. Erste oder Fundamentalphilosophie. Elementare Philosophie kann weder nur die Logik noch nur die Erkenntnistheorie noch nur die Ontologie alleine sein, weil diese drei grundlegenden Disziplinen der Philosophie logisch voneinander abhängen und systematisch miteinander verbunden sind. Zusammen bilden sie in didaktischer Hinsicht jedoch so etwas wie eine philosophische Propädeutik.

 

Elementare Philosophie kann jedoch weder nur die Philosophische Anthropologie sein (wie bei Gehlen, Plessner, Scheler, u.a.) noch nur die Philosophische Psychologie (wie bei Franz Brentano) noch nur die Sprachphilosophie (wie bei Ludwig Wittgenstein und vielen sprachanalytischen Philosophen) sein.

 

Die anthropologische Grundfrage der Philosophie nach der spezifischen Situation des Menschen in der Welt mit den beiden untrennbaren Momenten des Menschseins in der Welt und des offensichtlichen Vorhandenseins der Welt, die nur im abstrahierenden Denken, aber nicht in der gegebenen Realität getrennt werden können, setzt jedoch immer schon

  1. gewisse Prinzipien des korrekten Denkens und Schließens voraus,
  2. erkenntnistheoretische Annahmen über die Erkennbarkeit der Natur, Entstehung und Entwicklung des Menschen,
  3. ontologische Annahmen über das, was es gibt, und zwar sowohl unter empirisch erforschbaren, raum-zeitlichen Realbedingungen als auch darüber hinaus im geistigen Raum des Intelligiblen.

Elementare Philosophie kann jedoch auch nicht alleine irgendeine Sprachphilosophie oder Philosophische Psychologie (philosophy of mind) sein. Denn sprachphilosophische Thesen und Theorien über die von Anderen in einer bestimmten und kontingenten Sprachgemeinschaft erworbene menschliche Fähigkeit sprachlichen Denkens und sprachlicher Kommunikation sowie psychologische Thesen und Theorien über den strukturellen Aufbau und das dynamische Innenleben der menschlichen Psyche und ihres Geisteslebens unter bestimmten sozio-kulturellen und bio-physiologischen Realbedingungen setzen ebenfalls schon

 

(1. ) gewisse Prinzipien des korrekten Denkens und Schließens voraus,

(2.) erkenntnistheoretische Annahmen über die Erkennbarkeit der Natur, über die Entstehung und Entwicklung des Menschen, und

(3.) ontologische Annahmen über das, was es gibt, nämlich sowohl unter empirisch erforschbaren, raum-zeitlichen Realbedingungen, als auch darüber hinaus im geistigen Raum des Intelligiblen.

 

Wie kann es dann aber noch überhaupt eine Elementare Philosophie als Grundlegung der Philosophie geben? Nun es gibt sie vor allem in Relation zu den verschiedenen Optionen, die die Antworten auf die verschiedenen Grundfragen im Hinblick auf die Theoretische, Praktische und Poietische Philosophie ermöglichen. Mit anderen Worten, elementare Philosophie enthält die impliziten Voraussetzungen für die Theoretische, Praktische und Poietische Philosophie. Elementar in diesem Sinne sind:

 

(1.) die Grundfragen der Logik nach den Prinzipien und Regeln des logischen Denkens und Schließens: Welches sind die wesentlichen korrekten Prinzipien und Regeln des logischen Denkens und Schließens?


(2.) die Grundfragen der Erkenntnistheorie nach den Gegenständen, Quellen, Methoden und Grenzen des menschlichen Erkennens und Wissen: Welches sind die möglichen Gegenstände, die wirklichen Quellen, die zuverlässigen Methoden und die wahrscheinlichen Grenzen des menschlichen Erkennens und Wissens?

 

(3.) die Grundfragen der Metaphysik nach den komplexen und vielschichtigen Grundstrukturen des Natürlichen, Kulturellen und Geistigen in der raum-zeitlichen Lebenswelt: Was ist diese Welt und was sind die Grundstrukturen der Welt? Welches sind die Grundstrukturen des natürlichen, kulturellen und geistigens Seins?

 

(4.) die Grundfragen der Philosophie der Sprache und Kommunikation: Was zeichnet die komplexere und konventionelle propositionale Sprache der Menschen mit Grammatik, Semantik und Pragmatik im Unterschied zur einfacheren und instinktiven kommunikativen Signalsprache der höheren Tiere (z.B. der Delphine und Wale, Schimpansen und andere Primaten, Raben und Krähen) aus?

(5.) die Grundfragen der Philosophischen Anthropologie: Was sind die spezifischen und wesentlichen Merkmale der menschlichen Natur, die im Laufe der naturgeschichtlichen Evolution der Arten entstanden sind und sich dann auch nach Darwin mit Hilfe von Sprache und Denken, von Geselligkeit und Kulturbildung sowie vom Sinn für Schönheit, Gerechtigkeit und das Heilige kulturgeschichtlich weiter entwickelt haben?


(6. ) die Grundfragen der Philosophischen Psychologie der menschlichen Person und Persönlichkeit: Was sind die nicht weiter reduzierbaren Elemente der menschlichen Psyche, wie z.B. Emotionen, Motivationen, Volitionen, Aktionen, 

Kognitionen, Reflexionen, Erinnerung und Gewissen und deren dynamische Zusammenspiel in der Lebensführung?

 

Philosophisches Streben nach philosophischem Erkennen und Wissen ist nicht nur wie alles lebensweltliche und wissenschaftliche Streben nach Erkennen und Wissen fehlbar, sondern aufgrund seines oftmals abstrakten und spekulativen Charakters sogar besonders anfällig für Irrtümer und Illusionen. Zwar kann es sich als spezifisch philosophisches Denken nicht - wie Kant meinte - bloß innerhalb der durch die menschliche Sinnlichkeit vorgegebenen Grenzen der lebensweltlichen und wissenschaftlichen Erfahrung bewegen. Denn schon in der logischen und mathematischen Reflexion überschreiten Philosophen und Naturwissenschaftler immer schon die vergleichsweise engen Grenzen der sinnlichen Erfahrung.  Dies gilt auch für die Hypothesen und Theorien, die Wissenschaftler wie Philosophen aufstellen. Wenn es sich um sachhaltige und interessante Hypothesen und Theorien über qualitative oder quantitative, kausale oder teleologische, intentionale oder logisch-semantische Strukturen in der Welt handelt, dann werden dabei immer schon die Grenzen der Erfahrung überschritten, um etwas zu erforschen und zu entdecken, was für die bloße Wahrnehmung der menschlichen Sinne verborgen ist.


Elementare Philosophie beginnt also bei logischer, erkenntnistheoretischer und ontologischer Reflexion. Zwar reflektieren und prüfen alle Menschen im Alltag und in den Wissenschaften bis zu einem gewissen Grade ihre eigenen Versuche, etwas über sich selbst und die Gegenstände und Situationen, Ereignisse und Prozesse, Lebewesen und Personen in der Welt zu erkennen und zu wissen. Aber Philosophen und andere Wissenschaftler sollten dies noch genauer und gründlicher tun. Basale Philosophie ist deswegen vor allem auch axiomatische und axiologische Reflexion und Diskussion über Wahrheits- und Geltungsansprüche, Erkenntnis- und Wissensansprüche im Hinblick auf basale Annahmen über die menschliche Natur, die menschliche Psyche und die menschliche Sprache und Kommunikation.

 

Theoretische, Praktische und Poietische Philosophie müssen in allen Bereichen des elementaren Philosophierens gewisse Voraussetzungen machen. Diese sind gewöhnlich implizit, können jedoch explizit gemacht werden. Der methodische Versuch eines angeblich voraussetzungslosen Philosophierens, das auf ganz unmittelbaren und unbezweifelbaren sinnlichen Wahrnehmungen oder empirischen Beobachtungen alleine aufbauen soll, wie es von Phänomenologen wie Husserl und Positivisten wie Carnap propagiert wurde, basiert auf gewissen Selbsttäuschungen des menschlichen Wahrnehmens und Denkens, Urteilens und Erkennens.

 

 

© Ulrich W. Diehl, Heidelberg im Sommer 2017

 

 


 

Günther Patzig über Husserls Logische Untersuchungen: https://www.zeit.de/1984/15/logische-untersuchung