Gott – Person, Prinzip, Energie?
Reinhard Körner
Gottesbilder im Widerstreit
Gott, das war für die jüdischen Zuhörer Jesu mit Selbstverständlichkeit einer, den man an-sprechen kann, ein Gott, der „hört, wenn ich zu ihm rufe“ (Ps 4,4), ein personaler Gott also, einer mit „Bewusstsein“, einer, der „denkt und fühlt“ und von sich „ich“ sagt. Der Name ihres Gottes lautete „Ich bin da (Jahwe)“; so kannten sie ihn aus einer uralten Überliefe-rung in ihren Heiligen Schriften (Ex 3,14).
Mancher Zeitgenosse von heute steht hier vor einem Problem: Kann man sich denn Gott als Person vorstellen? Ist das nicht zu menschlich gedacht? Muss man sich die große göttliche Macht, die „die Welt im Innersten zusammenhält“,
nicht eher als eine „alles umfassende Energie“, als eine unpersönliche Kraft jedenfalls denken? Auch unter den katholischen und evangelischen Christen, die an meinen Glaubenskursen teilnehmen, begegnen mir solche Menschen. Bei meinen Gebetsanregungen zu den ersten Worten des Vaterunsers stehen sie dann vor der Frage, die zu einer grundlegenden Lebensentscheidung herausfordert: Kann ich an Gott als an eine Person glauben?
Wer ist Gott?
Die Juden der Zeit Jesu kannten den Begriff „Person“ noch nicht. Er wurde erst im Laufe des 3. und 4. Jahrhunderts von christlichen Gelehrten aus dem Lateinischen aufgegriffen und in die Theologie eingebracht. Die „persona“ war die Maske, die sich die antiken Schauspieler bei Aufführungen vor das Gesicht hielten. Das Wort leitet sich von „personare = hindurchtönen“ her. Im Sprachempfinden der Lateiner war „persona“ eine Verkleidung, durch die der echte Mensch dahinter „hindurch-tönte“. Die Theologen gebrauchten dieses Bildwort zunächst für eine Aussage über den Menschen: Durch jedes Gesicht „tönt“ das Ich hindurch, das Ich-Bewusstsein mit seinem Denken und Fühlen, seinem inneren Erleben, seinen inneren Werten und seinem ganz eigenen Selbst-Sein. Seither charakterisiert der Begriff „Person“ weithin die Würde des Menschen in seiner Eigenständigkeit, „Ich“-Bewusstheit und Originalität.
Dasselbe Bildwort konnten die Theologen dann benutzen, um eine ähnliche Wesensaussage über Gott zu machen:
Auch Gott ist „Person“, denn hinter seinem Namen verbirgt sich ein großes – in diesem Fall göttliches – „Ich-Bewusst-sein“. Wenn wir also vom personalen Gott, ja im Christentum sogar von drei Personen in Gott sprechen, so ist das wie eine Maske, eine „Begriffs-Maske“ sozusagen. Durch diese Begriffs-Maske „Person“ blickt uns natürlich weit Größeres
an als das, was wir im menschlichen Bereich Person und Persönlichkeit nennen.
Manche Menschen, so weiß ich aus vielen Gesprächen, denken noch heute, mit dem „personalen Gott“ sei ein Gott mit menschlichem oder menschenähnlichem Körper gemeint; an einen solchen können sie freilich nicht glauben. Andere meinen, Gott sei zwar eine „rein geistige“, aber doch der menschlichen Psyche – mit all ihren Eigenheiten – vergleich-bare Person. Solche Vorstellungen greifen in der Tat zu kurz. Gott ist in einem viel umfassenderen und vollkommeneren, für uns nicht auslotbaren Sinn „Person“. Durch die Persona Gott „tönt“ weit mehr hindurch als durch die Persona Mensch.
Wenn wir dennoch von Gott als einer „Person“ sprechen, so deshalb, weil kein anderes Wort geeigneter und angemes-sener wäre, um in die richtige Richtung zu weisen, in der wir von Gott denken und uns seine Wirklichkeit bewusst machen können. Wir wollen damit sagen: Weniger als Person kann Gott nicht sein. Er ist ein Gott, der von sich „ich“,
zu uns „ihr“ und zu mir „du“ sagen kann.
Jörg Zink hat diese Gedanken folgendermaßen zum Ausdruck gebracht: „Wem immer eine christliche Erziehung zufiel, dem ist es selbstverständlich, dass Gott als Person anzusprechen sei und dass man vieles an ihm durch einen Vergleich mit einer menschlichen Person angemessen beschreibe. Gott handelt, Gott redet, er urteilt. Er hört und sieht, er denkt, er kommt und geht. Er spricht uns an. Er antwortet. Er liebt. Und das ist nicht so weit hergeholt. Wenn Gott denkende Menschen geschaffen hat, kann ihm selbst die Kraft zu denken nicht fremd sein. Schon das Alte Testament sagt: ‚Der
das Ohr geschaffen hat, sollte der nicht hören? Der das Auge geschaffen hat, sollte der nicht sehen?’ (Ps 94,9). Gott,
wie ihn das Christentum beschreibt, ist nichts Verschwimmendes, nichts Ungenaues, wie ja auch der Mensch selbst
kein verschwimmendes, sondern ein konturiertes Wesen ist.“ 1
Ernstfall Leben
Kann denn, so sagt uns also auch hier ein Argument der Vernunft, Gott, der Urgrund von allem, was da ist, kleiner und geringer sein als das, was die Schöpfung als höchste Daseinsform hervorgebracht hat? Und kann er denn von geringe-rer Daseinsform sein als der Galiläer Jeschua von Nazaret, der uns als eine menschliche Person Gott nahegebracht und vorgelebt hat? Gott muss also mindestens das sein, was wir Person nennen. Natürlich ist er nicht im menschlich be-grenzten Sinne Person; das Bild „Gott, die Person“, so erläutert Jörg Zink, „übersteigt das göttliche Person-Sein ins Unendliche“.
Doch auch in diesem Fall sind Argumente kein zwingender Beweis. Auch hier ist es die Lebenserfahrung, die einem die Gewissheit gibt, dass Gott ein personaler Gott ist. Erst wenn einer sein Leben auf das Fundament „Gott ist göttliche Person“ gebaut hat, sich dann diesem als Person geglaubten Gott zuwendet und „du, Gott ...“ zu ihm sagt, wird er die Erfahrung machen können, dass er nicht auf Sand gebaut hat. Er muss „Ernst“ gemacht haben mit seiner Entscheidung für einen personalen Gott. Er muss Gott anreden, und dieses „du, Gott“ auch wirklich meinen. Die Erste Bekehrung, zu der das Vaterunser herausfordert, verlangt nach der Zweiten Bekehrung. Der Entscheidung zum Glauben an Gott als Person muss die Entscheidung für ein bewusstes Leben mit Gott als Person folgen.
Jörg Zink lädt mit den folgenden Worten dazu ein: „Was sagt mir nun das Evangelium? Es sagt: Wende dich an Gott!
Höre seine Stimme! Antworte ihm! Finde deine aufrechte Gestalt im Gegenüber zu ihm. Er sieht dich. Er hält dich in seiner Hand, auch wo du dich selbst nicht mehr in der Hand hast. Er bleibt dein klares Gegenüber, auch wo du selbst
vor deinen Augen unklar wirst und verschwimmst. Sprich zu ihm als zu deinem Vater im Himmel. Es meint also: Halte dich daran, dass Gott das Wesen einer Person hat, über alles hinaus, was sonst über ihn zu sagen ist. Das Rätsel Gott
hat ein Gesicht. Ein vertrauenswürdiges. Dein Vater im Himmel weiß, was du brauchst. Gott ist ein Du. Dieses Du triffst du an, wenn du in dich hineinhorchst und seine Stimme vernimmst. Du triffst es an, wohin immer auf der Erde du blickst. Und Gott bleibt das Du. Er wird nie ein ‚Es’. Er spricht dich nicht an, als wärest du ein ‚Es’, sondern als das Du,
das du für ihn bist. Gott ist nie etwas Allgemeines, sondern immer ein Du, ein tröstliches. Ein wissendes. Halte das fest. Und halte fest, dass du selbst ein Gesicht hast. Ein unverwechselbares. Ein unverlierbares. Und dieses Gesicht bleibt dir auch in aller Begegnung mit Gott. Und wenn du dir entgleitest, wenn sich dir dein Gesicht im Spiegel zu verwischen scheint, wenn du an deiner Unverlierbarkeit zweifelst oder wenn dein Herz dich anklagt, dann ist Gott größer als dein Herz und weiß alle Dinge’ (1 Joh 3,20).“ 2
Mystik dialogisch
In der Religionswissenschaft gab man dieser Art zu leben den Namen Mystik. Das ist ein recht missverständliches und vielfach missverstandenes Wort. Das Substantiv „Mystik“ ist eine Wortschöpfung der katholischen Theologie und stammt aus dem späten 17. Jahrhundert, es geht auf das griechische Verb myein zurück, das so viel wie „die Augen schließen“ bedeutet. Zuvor verwendete man den Begriff nur adjektivisch und sprach von „mystisch“, um das innere, seelische Geschehen zu beschreiben, das sich „hinter den geschlossenen Augen“ vollzieht, wenn sich ein Mensch Gott zuwendet. Ein Mystiker bin ich, wenn ich nicht nur von Gott rede, über Gott nachdenke und mein Gebet vor Gott verrichte, sondern mich – bewusst und von innen her – zu Gott hinwende. Mystiker sind also keine religiösen Über-flieger, in der Regel auch keine Visionäre mit außergewöhnlichen oder gar übersinnlichen Erfahrungen (die können
auch unreligiöse Menschen haben!). Mystiker sind ganz normale Männer und Frauen.
Sie betrachten ihren Glauben allerdings nicht nur als Weltanschauung oder als ethischen Normenkodex, sie praktizieren ihn nicht nur als mehr oder weniger aktive Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft. Der Mystiker lebt in einer persönlichen, innerlich vollzogenen Beziehung zu seinem Gott. Das tut er, indem er sich bewusst macht – sich „ver-gegenwärtigt“, sagt die christliche Tradition –, dass Gott verborgen anwesend ist, dass sich also hinter der Vokabel
„Gott“ eine lebendge Wirklichkeit verbirgt.
In den theistischen Religionen ist Gott ein Jemand, eine personale Wirklichkeit. Der jüdische, christliche oder islamische Mystiker wendet sich folglich Gott zu von Ich zu Du. Er sagt nicht nur: „Ich glaube an Gott“, er sagt: „Ich glaube an dich, Gott“ und „Ich glaube dir, Gott“, wobei er das „dich ..., dir ..., du, Gott“ auch innerlich vollzieht, bewusst zu Gott hin. „Ein solcher Mensch spricht nicht nur zu Gott, ob nun laut mit dem Mund oder still im Innern, ob mit Worten und Gedanken oder mit dem wortlosen Empfinden des Herzens – er hört und horcht auch zu Gott hin, fragt, was vor den göttlichen Augen recht und wahr ist; er lässt sich von Gott her etwas „sagen“ und versucht, es in die Tat umzusetzen.
Das Spezifische der christlichen Mystik lässt sich dann so beschreiben: Ich lebe mit dem Gott und denke und handle aus dem Geist des Gottes, den Jesus von Nazaret verkündete und vorlebte. Thomas von Aquin hatte „die ureigenste Tat der Religion“, den zentralen „Akt“ des Glaubens an Gott, im Gebet gesehen; glauben, also die christliche Art, Mensch zu sein, ist für ihn im Kern eine „innere Andacht, bei der sich der Geist (lat.: mens) des Beters zu Gott erhebt“ 3. Das Wort mens steht im Sprachempfinden der Lateiner für Denkkraft, Verstand, vernunftbegabtes Bewusstsein, aber auch für Herz, Seele, Gemüt, Wille und Leidenschaft, also für das „Innere“ der menschlichen Person überhaupt, für ihr ganzes Geistes- und Seelenvermögen.
Schon in den 1960er Jahren hat Karl Rahner das viel zitierte und von ihm selbst mehrfach in Erinnerung gebrachte Wort gesagt: „Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein, einer der etwas ‚erfahren’ hat, oder er wird nicht mehr sein.“ 4 Dies ist inzwischen längst Gegenwart geworden. Kaum noch ein Christ in unserem Land ist heute getragen von einer Selbstverständlichkeit des Glaubens in Familie und Bekanntenkreis. Er muss selbst wissen, warum es gut und richtig ist, als Christ zu leben, obwohl viele um ihn herum eine andere Lebensart vorziehen (und dabei durchaus auch gute Men-schen sind!). Nicht das religiöse Umfeld, nur noch die persönliche, und das heißt letztlich die mystische Erfahrung, dass Glaube einen „Mehrwert“ hat, wird ihn tragen. Gerade in einer solchen Zeit kann das Vaterunser gleich mit seinen ersten Worten eine Herausforderung sein, sich (wieder neu) zu entscheiden für die mystische Art, Christ zu sein.
Und natürlich meint auch Karl Rahner eine Mystik, die „dem normalen Christen ... zugänglich ist“. Nicht erst dann darf einer ein Mystiker genannt werden, wenn er die „höchsten Stufen der Vollkommenheit“ erreicht hat, wie leider auch von dem einen oder anderen Theologen noch immer gesagt wird, sondern schon dann, wenn er in aller Schlichtheit und Armseligkeit mit Gott in persönlicher Ich-Du-Beziehung zu leben beginnt. Mystik ist, ähnlich wie jede menschliche Freundschaft, ein Weg: sie hat einen Beginn, sie kennt ein Auf und Ab, und sie kann zu tiefer Vertrautheit heranreifen.
Gott – allumfassende Energie?
Man kann das Absolute, das hinter allem Dasein waltet, auch als a-personal verstehen, als „die große göttliche Kraft“,
die alles trägt und formt; man glaubt an „das Göttliche“, nicht an einen „Gott“. Auch aus diesem Glauben kann man „Ernstfall“ machen. Eine solche Mystik – etwa die des Buddhismus oder des Taoismus – hat dann freilich nicht einen betend-dialogischen, sondern eher einen schweigend-einfühlenden Charakter. (Ich kann ja nicht „du, Gott“ sagen,
wenn ich nicht daran glaube, dass das Göttliche „ich“ sagen kann; oder ich werde „du, Gott“ nur im uneigentlichen Sinne sagen, so wie ich etwa „du Baum“ oder „du Erde“ sage.) Der Mystiker einer solchen Spiritualität wird sich in das allum-fassend Göttliche hinein versenken können, er wird (in glücklichen Momenten) in diesem Göttlichen ein Eins-Sein mit allen Geschöpfen erfahren, und das wird in ihm eine Haltung der Achtsamkeit, der Toleranz und des Mitgefühls mit
allen Geschöpfen ausprägen.
Und auch diese Sicht ist möglich: Man betrachtet das Absolute, den „Grund“ allen Daseins, nicht als das „Über-Natür-liche“, sondern als etwas zur Natur Gehörendes: als die für uns Menschen nicht fassbare, aber alles ins Dasein bringen-de „Energie“, aus der das Weltganze, vom Atom bis zur Galaxie, vom Einzeller bis hin zum Menschen „gemacht“ ist. Die Philosophie spricht hier von einer holistischen Weltanschauung (griech.: holos = das Ganze). Ein personales Gegenüber, gar ein „Vater im Himmel“, kann auch in diesem Fall das „Göttliche“ nicht sein, und entsprechend wird sich das innere (mystische) und äußere Glaubensleben gestalten.
In Deutschland wurde diese Sicht in jüngster Zeit durch den Benediktinerpater Willigis Jäger vertreten. Ich möchte seine Gedanken hier als ein Beispiel für viele ähnlich strukturierte Auffassungen anführen, um den Unterschied zu der Spiri-tualität deutlich zu machen, die das Vater-Unser Jesu uns vermittelt. Für Jäger ist Gott die „Erste Wirklichkeit“ des Welt-ganzen, die „durch alle Wesen hindurchgehende treibende, unfassbare Energie des Einen“. Wenn wir uns das Göttliche „als einen unendlichen Ozean“ vorstellen, dann sind wir Menschen „die Wellen auf diesem Meer“ 5.
Das „Göttliche“ sei so etwas wie der Grundbaustein von allem, was existiert, eine zur Natur gehörende Wirklichkeit. Auch er erhebt – ganz zu recht – den Anspruch, zu einer „mystischen Spiritualität“ hinzuführen. Seine Mystik hat aber nicht eine personale, dialogische Gestalt. Der Mensch müsse die innere Beziehung zum Göttlichen vielmehr „transpersonal“ vollziehen, also indem er sein menschliches Person-Sein überschreite und sich hineingebe in das große „Eine“, dessen momenthaftes Teil er sei. „Ziel des spirituellen Weges“ sei ein „Bewusstseinszustand“, in welchem der Mensch zur Er-fahrung „der Einheit der eigenen Identität mit der Ersten Wirklichkeit“, zur „Erfahrung der Leere, der prädikatlosen ‚Gottheit’“ gelange; im Bild gesprochen: „Er erfährt: Alles ist Welle und Ozean zugleich.“ 6
Ich denke, wer sich auf eine Spiritualität dieser oder ähnlicher Art einlässt, wird wiederum an den Früchten, an der Lebenserfahrung erkennen, ob und wohin ihn ein solcher Weg trägt. Das sage ich – obwohl ich einen anderen Weg gewählt habe – in aller Aufrichtigkeit und Toleranz. Nicht mitvollziehen kann ich allerdings die Auffassung, dies allein
sei „echte Mystik“, oder gar: dies sei christliche Mystik.
Willigis Jäger ist, wie ähnlich denkende spirituelle Lehrer und Autoren auch, der Meinung, große Christen wie Hildegard von Bingen, Meister Eckhart, Johannes Tauler und Johannes vom Kreuz hätten – ebenso wie „Jesus und Buddha“ – ihre Mystik in diesem „transpersonalen“ Sinne gelebt, und es hätte ihnen an nichts anderem gelegen, als „Wege aufzu-zeigen, wie andere Menschen zu der gleichen Erfahrung gelangen können“ 7.
Vom Es zum Du
Mir und einer ganzen Heerschar von Lesern ist in den Werken und Poesien des „doctor mysticus“ Johannes vom Kreuz das christliche Gottesbild geradezu in Reinkultur begegnet, dazu eine Gottes-, Christus- und Dreifaltigkeitsmystik, die
an Eindeutigkeit und Tiefe ihresgleichen sucht. Willigis Jäger dagegen sucht, so meine ich, die mystische Erfahrung –
und kommt dabei zu einer „Gottes“-Vorstellung, die weit hinter der zurückliegt, die seit drei Jahrtausenden den jüdi-schen und später den christlichen und islamischen Glauben geprägt hat.
Um dazu einen jüdischen Autor zu Wort kommen zu lassen: Der in Israel und im englischen Sprachraum hochgeschätzte jüdische Philosoph und Theologe Abraham Joshua Heschel (gest. 1972) wandte sich in seinen Schriften gegen jede Art, den Gott der Bibel zu einem „Was“ zu erklären; Gott ist für ihn weder die Summe aller Werte und Ideale („Verkörperung für ein Gesetz“, Eva Strittmatter) noch eine – wenn auch „Erste“ – hintergründige, unpersonale Wirklichkeit dieser Welt. Im Blick auf die große Gebetstradition seines Volkes schreibt er: „Ein ‚Ich’ betet nicht zu einem ‚Es’. Wenn Gott nicht wenigstens so wirklich ist wie ich selbst, wenn ich nicht sicher bin, dass Gott mindestens so lebendig ist wie ich, wie
kann ich dann zu ihm beten?“ 8
Die Mystiker der abrahamitischen Religionen unterscheiden klar zwischen der „Schöpfung“ und dem „Schöpfer“, sie finden „Gott in allen Dingen“ (Ignatius von Loyola), aber sie sagen nicht, alle Dinge – alle Natur, das Weltganze, der Mensch selbst – sind Gott (Willigis Jäger dagegen: „Die Welle ist das Meer“). In theologischer Sprache ausgedrückt: ihre Mystik hat nicht eine holistische oder pantheistische Welt- und Gottessicht zur Grundlage (alles ist Gott / Gott ist alles), sondern eine theistische und panentheistische: Gott ist in allem, was Natur ist, aber er ist mit ihr nicht identisch. Und dieser übernatürliche Schöpfer, so unser gemeinsamer Glaube, muss mindestens das sein, was wir „personal“ und „Person“ nennen.
Der Theologe und Religionsphilosoph Romano Guardini wusste schon 1932 klarzustellen: „Wo immer das Herz eines Menschen religiös empfänglich ist, fühlt es jenes Mehr, das überall webt, über alles hinaus, was die Dinge sind. Unser Bewusstsein merkt, dass diese auf etwas anderes hinweisen; dass Gerät und Tisch, Haus und Straße, Baum und Land und Berg und alles, was da steht und sich bewegt, von etwas umwoben ist, das mehr ist als jenes Erst-Gegenwärtige. Ebenso geht es mit dem menschlichen Dasein, mit Fügung und Schicksal. Auch da, in aller menschlichen Gestalt, in allem Tun und Widerfahren, ist etwas darüber hinaus: ein Umgebendes; ein Webendes; Zusammenhang, Hinweis und Sinn: das Göttliche. Die Worte des Vaterunsers aber sagen: Du hast es nicht nur mit einem ‚Göttlichen’ zu tun, nicht nur mit einem Geheimnisvoll-Webenden, sondern mit einem Wesen. Nicht nur ein Etwas ist da, das du fühlen, sondern ein Jemand, den du anreden kannst. Nicht nur ein Sinn, den du fühlst, sondern ein Herz, an das du dich wenden magst. Dieses ‚Göttliche’ ist Gott der Herr; er ist es so, dass du zu ihm sagen kannst: ‚Du’“. 9
Auch mir persönlich wäre ein Glaube an einen (wie auch immer vorgestellten) unpersonalen Gott, gemessen an meiner Lebenserfahrung mit dem „Vater“-Gott Jesu, einfach zu wenig. Und so sehr ich die Menschen verstehe, die – so Willigis Jäger über die Teilnehmer an seinen Kursen – „sich in ihrem angestammten christlichen Umfeld nicht mehr zuhause (fühlen)“ und „mit dem Glaubensgebäude, das in den Kirchen gelehrt wird, ... nichts oder nicht mehr viel anfangen (können)“: Eine „mystische Spiritualität“ dieser Art erscheint mir doch als eine nur scheinbare Alternative. Ich finde in meinem Leben bestätigt, was der Jude Martin Buber zu bedenken gibt: „Das Ich wird am Du“, und „alles wirkliche Leben ist Begegnung.“ 10
Es sind die Ich-Du-Beziehungen, die freundschaftlich-liebevollen und die kritisch herausfordernden, die mich reifen lassen; und es ist gerade auch die Ich-Du-Beziehung zu Gott, der ich verdanke, dass ich der bin, der ich heute bin. Mit weniger möchte ich mein Leben nicht verbringen.
Anmerkungen
1 Jörg Zink, Dornen können Rosen tragen. Mystik – die Zukunft des Christentums. Stuttgart 1997, S. 194.
2 Ebd. S. 200.
3 Thomas von Aquin, Über die sieben Bitten des Herrengebets
4 Karl Rahner, Schriften zur Theologie Bd. 7. Freiburg i.Br. 1966, S.181
5 Willigis Jäger, Die Welle ist das Meer. Mystische Spiritualität. Freiburg i.Br. 2000, S. 42.
6 Ebd. S. 43.
7 Ebd. S. 65.
8 Zit. nach Bernhard Dolna, An die Gegenwart Gottes preisgegeben. Abraham Joshua Heschel: Leben und Werk. Mainz 2001, S. 221.
9 Romano Guardini, Das Gebet des Herrn. Mainz 2000, S. 20, 25.
10 Martin Buber, Ich und Du. Gerlingen 1997, S. 18.
Dieser Aufsatz, hier gekürzt wiedergegeben, stammt aus dem Buch von Dr. Reinhard Körner: Das Vaterunser. Spiritualität aus dem Gebet Jesu, Copyright: St. Benno-Verlag GmbH, Leipzig, www.st-benno.de
„Gott muss als Person gedacht werden“
Stephan Schaede, Leiter der evangelischen Akademie Loccum
Irrglaube an die göttliche Kraft: Der evangelische Theologe Stephan Schaede kritisiert, dass in seiner Kirche immer mehr die zentrale Botschaft verdunkelt wird.
Fünf Jahre sind es noch bis zum großen Jubiläum der Protestanten: 2017 jährt sich zum 500. Mal der Beginn der Reformation durch die Veröffentlichung von Martin Luthers 95 Thesen gegen den kirchlichen Ablasshandel im Jahr 1517. Doch das Refor-mationsjubiläum bereitet den Evangelischen Schwierigkeiten. Nicht nur weil sie nicht recht wissen, wie sie Luthers Kernbotschaft von der Rechtfertigung des sündigen Menschen durch die göttliche Gnade den Bürgern nahebringen sollen in einer Zeit, in der zumal die ostdeutschen Kernregionen des Protestantismus immer mehr entkirchlichen. Vielmehr fällt es auch vielen evange-lischen Christen selbst schwer, offen und im Einklang mit der biblischen Überlieferung von Gott zu reden. Scharf kritisiert wird diese Sprach-blockade von dem Theologen Stephan Schaede, dem Leiter der evangelischen Akademie Loccum.
Mit Stephan Schaede sprach Matthias Kamann.
Herr Schaede, in Europa und besonders in Ostdeutschland schwindet der Glaube an den persönlichen Gott der Juden und Christen. Verschwindet die Religion?
Religiosität ist nicht daran gebunden, dass man an einen persönlichen Gott glaubt. Religiosität zeigt sich bei vielen Menschen heute etwa auch dadurch, dass sie an eine höhere unpersönliche Kraft oder Energie glauben. Diese Vor-stellung von Gott als einer bloßen Kraft hat auch in Teilen der evangelischen Zunft in Kirche und Theologie Furore gemacht. Das aber halte ich für falsch. Mehr noch: Ich finde es irreführend. Selbst eine kritische Auseinandersetzung
mit der biblischen Erzähltradition kommt nicht darum herum, dass Gott als eine Person mit einer Biografie zu denken ist.
Warum tun sich damit so viele Menschen so schwer?
Die Leute denken, es sei eine naive anthropomorphe Projektion, sich analog zur Personalität der Menschen auch Gott als Person vorzustellen. Ich halte dagegen: Es ist mindestens ebenso naiv, es ist eine naturalistisch naive Projektion, sich aus angeblich aufgeklärten oder populären Gründen Gott in Analogie zu einer physikalischen Kraft oder Energien vor-zustellen. Gott personal zu denken beruht hingegen auf einer Art notwendigen, aber klugen Anthropomorphismus.
Wird Gott nicht trivialisiert, wenn er eine Person sein soll?
Nein, ganz im Gegenteil. Personen sind im Vergleich zu bloßen Kräften oder Energien viel komplexer. Personen ent-wickeln sich lebensbiografisch, sie haben im Unterschied zu bloßen Kräften die Fähigkeit, etwas zu erleben. Sie haben Mitgefühl. Sie können vergeben und versprechen. Sie stehen in einem dialogischen Verhältnis zu anderen und zu sich selbst: Eine Person kann sich auch auf sich selbst ansprechen, sich korrigieren. Schon deshalb wäre es ein großer Verlust an Komplexität im Gottesbild, wenn wir uns Gott als Kraft statt als Person denken würden. Wobei im Übrigen ja die protestantischen Kraft-Theologen ungewollt zugeben, dass es ohne personale Vorstellung nicht geht. Wenn sie von der liebenden oder segnenden Kraft sprechen, benutzen sie Adjektive, die nur im Zusammenhang mit Personen funktio-nieren. Einzig und allein eine Person kann segnen oder lieben. Liebe ist, wie der Philosoph Leibniz einmal schön gesagt hat, die Fähigkeit, sich an der Freude der anderen zu freuen. Dazu ist ein Kraftfeld beim besten Willen nicht in der Lage.
Warum aber erzählen Protestanten so wenig von diesem personalen Gott?
Ein Grund dafür ist die weitverbreitete Meinung, dass für die Verkündigung entscheidend sei, was angeblich bei den sogenannten normalen Leuten ankommt. In der Meinung, die Leute würden mit dem personalen Gott nichts mehr anfangen können, erzählt man lieber gleich gar nichts mehr von ihm. Das Fatale daran ist: Auch das führt zu einer unguten Klerikalisierung des evangelischen Pfarramts.
Warum?
Wenn die vermeintliche Volksreligiosität mit Gott als Kraft zum Maß aller Verkündigungsdinge wird, dann tut man so,
als gebe es einerseits diesen populären Glauben und andererseits eine separate Theologenkaste, die als Gralshüter der Tradition für die akademische Vorstellung von Gott als Person zuständig sei. Die Gemeinde aber stehe dazu auf Distanz. Diese Unterscheidung zwischen Laien- und Theologenglaube ist unevangelisch. Wir Protestanten trennen nicht zwi-schen dem Glauben der Laien und dem der Pfarrerinnen und Pfarrer.
Aber viele Geistliche folgen doch selbst der Kraft-Vorstellung, etwa wenn sie in Gottesdiensten immerzu alle segnen, die nur den Weg in die Kirche gefunden haben. Dieses inflationäre Segnen findet sich in der Bibel nicht beim personalen Gott, der ja keineswegs so ungehemmt alle segnet.
Ihre Beschreibung ist zutreffend, widerspricht aber nicht der These von der Klerikalisierung. Denn mit jenen allzu vielen Segensgesten inszenieren sich Pfarrerinnen und Pfarrer als Mystagogen und kompensieren damit ihren pastoral-theologischen Relevanzverlust in den Gemeinden, so nach dem Motto: Wenn schon der liebe Gott nur eine Kraft ist, dann muss ich als geistliche Person so richtig Persönlichkeit zeigen. Ich finde es eine wichtige Testfrage für Geistliche: Wenn das Segnen und Handauflegen zur Hauptsache wird, mache ich es dann nicht zu einer mein Pfarramt mystifi-zierenden Ersatzhandlung, weil ich meinem Verkündigungsauftrag nicht mehr recht traue oder nicht so richtig weiß, was ich verkündigen soll, oder denke, die Leute glauben sowieso nicht so ganz, was ich verkündige?
Also endlich wieder von diesem persönlichen Gott erzählen?
Ich habe den Eindruck, in den Kirchen herrscht in Bezug auf Gott ein erhebliches Mitteilungsdefizit. Es lohnt sich die Biografie Gottes, die die Bibel entfaltet, viel stärker auszuplaudern. Wie er sich verändert hat, welche Erfahrungen er
mit den Menschen macht, wie er darauf reagiert – und dann kann die Frage folgen: Ist es sinnvoll, der Vorstellung von Gott ade zu sagen? Ich hätte gar keine Probleme damit, das Personkonzept aufzugeben, wenn sich das von Gott Er-zählte anders besser fassen ließe. Bislang aber finde ich keine bessere Kategorie. Natürlich ist Person ein Bild, aber
wir Menschen können gar nicht anders, als in der Religion in Bildern zu denken und zu sprechen. Das Bild „Person“ erschließt an Gott Züge, die wir sonst nicht erkennen würden.
Welche Züge sind das?
Zum Beispiel, dass wir Gott ansprechen können, im Gebet. Ansprechen kann ich nur eine Person, ein Gegenüber, das komplexe Gestalt hat. Derzeit wird Gott in Gebeten zu wenig gefragt. Ich höre immer nur lange Listen, wie wir Men-schen uns fühlen, wo wir herkommen und hinwollen, was bei uns schiefgegangen ist. Gottes Charakter bleibt da völlig konturlos. Gott wird auch nicht auf sich selbst angesprochen und nur selten an seine Verheißungen erinnert. Das geht bis in die Adjektive, etwa „guter Gott“. Da wird so getan, als gäbe es in unserem Verhältnis zu Gott keine Krisen. Warum sollen wir im Gottesdienst nicht mit ihm schimpfen? Dass hier etwas verloren gegangen ist, zeigt sich bis hinein in die Bioethik, wo beide Kirchen nicht zugeben können, dass Krankheit und Tod schreckliche Zerstörungen sind, die man nicht durch die Rede vom „guten Gott“ beschönigen kann.
Wie soll ich denn an einen Gott glauben, der das Böse zulässt?
Auf die Theodizee-Frage gibt es keine Antwort. Sie ist aber eben auch nicht beantwortet, indem ich Gott entweder als abstrakte Kraft fasse oder aber ihm umstandslos das Gute zuspreche. Ich kann Gott in der Theodizee nur ernst nehmen, indem ich Rückfragen an ihn richte. Meine Fragenliste an Gott ist lang. Ich riskiere gern, ihm im Jüngsten Gericht mit dieser Liste auf den Wecker zu gehen. Das heißt übrigens auch, dass mein Glaube bescheiden sein muss. Ich kann nicht beanspruchen, durch den Glauben die Grundwidersprüche des Lebens aufzulösen, sondern muss mich damit begnü-gen, der unverfügbaren Person Gottes Fragen zu stellen, dies aber beherzt.
Was bedeutet in Bezug auf Gott eigentlich „Person“?
Person zu sein heißt, konkret zu sein, relativ selbstständig und vernünftig. Bei Menschen gibt es das in unendlich großer Zahl, bei Gott gibt es Vater, Sohn und Heiliger Geist. Gott existiert in Relationen, in Beziehungen: innerhalb der Trinität und gegenüber den Menschen. Der Unterschied zwischen Gott und den Menschen ist der, dass Gott sich als Person selbst setzt, während der Mensch mit der Geburt sein natürliches Potenzial, eine Person zu sein, vorfindet. Wir können uns zunächst einmal nicht aussuchen, ob wir mit anderen Personen Kontakt haben wollen. Gott schon. Er ist nicht darauf angewiesen.
Wieso? Er will ja mit uns in Kontakt treten, und das kann doch nur bedeuten, dass er sehr wohl auf die Beziehung mit uns angewiesen ist.
Er hat aber die Freiheit, dieses Angewiesensein zu wählen. Er hätte es nicht machen müssen. Indem er sich aber den Weg gewählt hat, mit Lust und Liebe extrovertiert zu sein, ist er darauf angewiesen, sich anderen Personen zu zeigen, uns.
Gewinnt er durch die Beziehung zu den Menschen etwas, das er für sich selbst nicht hat?
Es gibt das Psalm-Wort „Die Toten werden dich, Herr, nicht loben, / keiner, der hinunterfährt in die Stille; / aber wir loben den Herrn“. Insofern hat Gott etwas davon, dass wir leben.
Klingt fast wie eine ultimative Aufforderung: Lass uns gefälligst leben!
Ja: Sorge dafür, dass wir überleben, dass wir ewig leben. Wo einmal mehr deutlich wird, dass wir Gott als Person auf sich selbst ansprechen können. Wir können sagen: Du hast dir die Personalität gewählt, und die zeigt sich in Beziehungen. Also bitten wir dich, so zu handeln, dass wir dir als Beziehungspartner erhalten bleiben. Aber Gott hat von seiner Per-sonalität noch weitere Vorteile.
Nämlich?
Jede Person, das wissen wir Menschen genau, hat etwas Verborgenes und Unverfügbares. Personen sind nicht einfach vorhanden wie ein Stein oder eine Kaktee. Sie können in Freiheit ganz gegenwärtig sein. Sie können sich aber in Freiheit zurückziehen und sich ihre eigenen anderen entzogenen Gedanken machen. Über diese Freiheit verfügt auch Gott als Person. Zudem hat eine Person ganz anders als eine Kraft ein Verhältnis zur eigenen Vergangenheit und Zukunft. Eine Kraft erinnert sich an nichts. Und sie hat auch nichts vor. Dass Gott uns Heilszusagen macht und Zukunftsentwürfe unterbreitet, ist nur beim Glauben an einen persönlichen Gott vorstellbar. Alle entscheidenden Ansagen des Neuen Testaments darüber, was Gott mit uns vorhat – vergeben, versöhnen, richten, neues Leben gestalten –, sind Dynamiken, die nur personal vorstellbar sind.
Aber bei diesen Erlösungszusagen scheint Gott doch mit meiner jetzigen Personalität als Mensch ein Problem zu haben.
Nein, er verspricht vielmehr, meine Person zu steigern. Er macht die Zusage eines neuen, eines erweiternden Entwurfs, wobei das Besondere ist, dass ich als Christin und Christ einsehen kann, dass ich diese erweiterte Person bereits bin,
ich bin die mehr oder weniger dürftige endliche Person hier und jetzt und zugleich die Person im Entwurf der Erlösung. Genau dies zeigt sich an Jesus Christus. Einerseits lehrt er uns, wie sehr Gott Person ist, Gott wird Mensch, andererseits hält Jesus unserer Personalität den Spiegel vor: Wir erkennen an ihm, dass wir scheitern und sterben – und zugleich Hoffnung haben, dass Gott uns bereits eine neue erweiterte Personalität verliehen hat.
Dieses Versprechen einer Steigerung meiner selbst scheint der These zu widersprechen, im Glauben gehe es um die Überwindung des modernen Individualismus.
Zwar lässt sich manches gegen bestimmte Entwürfe des Individualismus einwenden, aber man kann nicht sagen, dass das Individuum überwunden werden soll. Als Christ steigere ich die Art meines Lebens ja noch, und zwar in einem Beziehungsgeflecht mit Gott – genau wie wir uns als Menschen nur in Beziehungen mit anderen Personen entfalten können.
Die Aussicht auf jene Steigerung der Person in der Zukunft widerspricht der These, in der Religion gehe es vor allem um Beheimatung, Tradition, Vergangenheit.
Gute Theologen müssen gegen die Vorstellung von der retrospektiven Beheimatung im Glauben protestieren. Die Dynamik des Christentums impliziert, dass wir hienieden nicht allzu sehr beheimatet sein dürfen, sondern nach vorn unterwegs sind. Der Begriff der Beheimatung in der Kirche ist eher skurril.
Wie ist es mit den viel zitierten „Werten“?
Auch da drohen Missverständnisse, gerade wegen des Konzepts der Person, die ja plastisch und konkret ist. Es geht um mich als Person, nicht um Abstraktionen. Es geht auch nicht um „die“ Gerechtigkeit, sondern um die Frage nach Gottes Gerechtigkeit und danach, ob er mir als Person gerecht wird. Werte haben religiös viel zu wenig Lebenskraft.
https://www.welt.de/print/die_welt/politik/article110306717/Gott-muss-als-Person-gedacht-werden.html