Gnosis

 

 

Was ist "Gnosis"?

 

Die Gnosis ist eine esoterische Lebensphilosophie und eine Weltanschauung, die in der Antike ihren Ursprung in der gleichnamigen religiösen Bewegung der Gnosis hat, die verschiedene gnostische Mythen tradierte und die seither in immer wieder neuen Formen und Spielarten auftaucht. Ein Gnostiker ist jemand, der sich mehr oder weniger stark mit der Gnosis identifiziert und sich deren esoterische Lebensphilosophie und Weltanschauung zu eigen macht. Das Wort „Gnostiker“ stammt vom griechischen „gnóstikos“, von „gignoskein“: „erkennen, wissen“.

 

Gnostiker beanspruchen (bis heute) im Besitz besonderer esoterischer Einsichten zu sein, die jedoch wegen ihres esoterischen Charakters nur subjektiv eingesehen und bestenfalls intersubjektiv geteilt, aber nicht wie alltägliche, logische und mathematische, naturwissenschaftliche oder andere wissenschaftliche Erkenntnisse intersubjektiv und methodisch geprüft, geschweige denn rational und diskursiv vermittelt und tradiert werden können. Daher handelt es sich größtenteils um kein echtes, rationales und überprüfbares Wissen, sondern nur um subjektive Evidenzerlebnisse anhand von symbolisch aufgeladenen, aber interpretationsbedürftigen Bildern, Zeichen und Symbolen, Mythen und Narrativen, die den gnostischen Adepten jedoch die erhebende Einbildung vermitteln, in ein seltenes Geheimwissen eingeweiht zu sein. Das erhöht zwar das persönliche Selbstbewusstsein und fördert den hartnäckigen Stolz der Gnostiker, ist jedoch wegen seines esoterischen und illusionären Charakters nur ein frommer Selbstbetrug und gilt daher in den exoterischen Traditionen von Judentum, Christentum und Islam als eine altbekannte Häresie.

 

In der Antike des frühen Christentums galten die Gnostiker als Gegenspieler der Akademiker, die in Bezug auf Gott bzw. die Götter und andere religiöse Angelegenheiten Agnostiker waren, da sie sich dazu bekannten, nichts über Gott, die Götter und andere religiöse Angelegenheiten zu wissen. Daneben spielten in Athen zur Zeit des Paulus und der frühen Christenvor allem die Epikuräer und die Stoiker eine gewisse Rolle in der städtischen Öffentlichkeit und in den Bildungsstätten der freien Bürger. Während die Epikuräer ähnlich wie die Deisten der Neuzeit und Aufklärung im Sinne einer natürlichen Theologie zwar an Gott als einen ersten Beweger und als einen intelligenten Baumeister des naturgesetzlich geordneten Kosmos glaubten, aber nicht an übernatürliche Wunder durch göttliches Handeln in der Welt, waren die Stoiker Pantheisten, die an das omnipräsente Wirken der uni-versalen Kausalität und damit eines unausweichlichen Schicksals (Moira) glaubten, dem alles Geschehen in der Natur und alles menschlichen Verhaltens in der Welt unterworfen ist. Einen freien Willen konnte es demzufolge freilich nicht geben. 

 

Das Wort „Gnosis“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet "Erkenntnis“ oder "Einsicht". Gemeint ist jedoch keine objektive oder sachbezogene, keine intersubjektive oder wissenschaftliche Erkenntnis, sondern eine bloß subjektive und auf sich selbst bezogenen Erkenntnis, die jedoch oft religiös als eine „erleuchtende“ oder gar als eine „erlösende Erkenntnis“ gedeutet wird. Auf eine solche Art von Erkenntnis bezog sich die berühmte Inschrift am Tempel des Orakels zu Delphi: Gnothi seauton. "Erkenne dich selbst!"

 

Nun sind Momente von Selbsterkenntnis für jeden Menschen im Laufe seines Lebens immer wieder möglich.

In diesem Sinne handelt es sich nur um eine natürliche Fähigkeit der Menschen als selbstbewusster Wesen und daher um keine eigenständige Religion oder Konfession. Daher können selbstverständlich auch Juden, Christen und Muslime, Parsen, Yeziden und Bahais, Hindus, Sikhs und Buddhisten immer wieder Momente der Selbst-erkenntnis erleben. Wenn Selbsterkenntnis jedoch wie von den Gnostikern zu einem besonderen Idol erhoben und als geheime Lehre und Privatreligion verabsolutiert wird, wird sie zu einem egozentrischen Kult um das eigene Selbst oder zu einer narzisstischen Selbstverherrlichung. Das Orakel zu Delphi hatte jedoch gerade vor dieser Hybris gewarnt, indem es ergänzt hatte: "Erkenne, dass du nur ein Mensch (d.h. kein Gott) bist!".

 

Leider vergessen das nur allzu viele moderne Gnostiker. Mit dieser gnostizistischen Hybris beginnt die starke Konzentration der Gnostiker auf das eigene Selbst jedoch gerade problematisch zu werden. Denn dann handelt es sich um mehr als nur Introvertierheit, Eigensinn oder Individualität. Denn dann wird die Fähigkeit zur Sachlichkeit und zur Selbsttranszendenz verhindert, Empathiefähigkeit und Solidarität schwinden und die Fähigkeit zur Bindung in Liebe, Freundschaft und Partnerschaft wird verringert. Das kann zu einem einsamen Leiden an sich selbst führen, zur tiefen Weltverneinung und zu einem Hass auf das Leben bis hin zu einem unbewußten Selbst-hass. Das beste Heilmittel gegen die gnostische Häresie ist der exoterische Schöpfungsglaube, demzufolge sich Menschen nur als ganz normale Geschöpfe Gottes und als ganz gewöhnliche Sünder verstehen und nicht als erleuchtete Träger eines "inneren göttlichen Funkens", der sie sozusagen zu kleinen Halbgöttern macht.

 

Gnostische Motive waren auch in der Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts verbreitet. Schopenhauers Pessi-mismus, seine Misanthropie und Misogynie, Nietzsches relativistischer Perspektivismus, Heideggers Konzept der existenziellen "Geworfenheit", Sartres existenzialistische "Verdammtheit" zur Freiheit, Foucaults ubiquitäre "Hermeneutik des Verdachtes" und der skeptische Dekonstruktivismus der Postmoderne waren und sind moderne gnostizistische Spielarten der alten Gnosis und enthielten bestimmte gnostische Motive wie eine tiefe Weltverneinung, ein tiefes Mißtrauen gegen Konventionen, Institutionen und Traditionen, Leugnung einer gemeinsamen raumzeitlichen Lebenswelt, Leugnung einer gemeinsamen menschlichen Natur, konstruktivistische Überzeugung, dass es nur individuelle und subjektive Perspektiven gibt, aber keine gemeinsame Lebenswelt und daher auch keine objektive Erkenntnisse von Fakten, etc.

 

Die moderne (pseudo-christliche) Gnosis wurde im 20. Jahrhundert vor allem durch die religionspsychologischen Schriften C.G. Jungs, des Begründers der Analytischen Psychologie, befördert, der einmal in einem berühmten BBC-Interview von sich sagte, dass er nicht nur an Gott glaube, sondern ganz einfach wisse, dass es Gott gibt.

 

Der postmoderne Gnostizismus ist hingegen oberflächlicher, populärer und sensationalistischer; er wurde vor allem durch die reißerischen und verschwörungsmythischen Trivialromane von Dan Brown ("Da Vinci Code", etc.) verbreitet. Sie polemisieren vor allem gegen das Römisch-katholische Christentum und gegen den Vatikan, dem sie eine von Anfang an bestehenden betrügerische Verschwörung und Unterdrückung der Wahrheit unterstellen. Diese verschwörungstheoretische Polemik knüpft an die schon in der Antike verbreitete Unterstellung an, dass die Anhänger Jesu die Auferstehung nur erfunden hätten. Da diese raffinierte Polemik jedoch in der fiktionalen Form von populären Romanen verbreitet wird, vermeidet sie die wissenschaftliche Auseinandersetzung, eine faire und überprüfbare Kritik und einen offenen und rationalen Diskurs. Dan Brown machten diese spannenden Verschwörungsgeschichten reich und berühmt und die erfolgreichen Verfilmungen wurden ein riesiges Geschäft für die Filmindustrie.

 

Auch die protestantische Kirchen können von gnostizistischen Überzeugungen betroffen sein. Gnostizistische Tendenzen kursieren jedoch eher unter den Laien in den evangelischen Kirchen, weil Theologen diese uralten Häresien kennen. Dabei spielt oft eine fundamentalistische und unkritische Lektüre des apokryphen Thomas-Evangeliums eine wichtige Rolle. Denn es wird geheimnistuerisch und verschwörungstheoretisch unterstellt,

dass es von den frühen Christen aussortiert und unterdrückt worden sei, weil es angeblich die einzig zuverlässig echten Sprüche (Logien) von Jesus Christus enthalten habe. Die frühe christliche Kirche habe angeblich ein starkes Interesse an der Verbannung dieses Evangeliums gehabt, weil es gnostischen bzw. neu-platonischen Ursprunges gewesen sei. Jenseits einer historisch-kritischen Exegese und Hermeneutik wird ohne unabhängige Belege be-hauptet, dass Jesus eigentlich ein Verkünder einer esoterischen und subjektivistischen Gnosis gewesen sei. Die zeitgenössische historische Erforschung des Neuen Testamentes und der Apokryphen sowie des Frühen Christentums hält diese populären polemischen Unterstellungen jedoch für frei erfunden und verfehlt, für verschwörungstheoretisch und tendenziell für anti-jüdisch bzw. antisemitisch.

 

Auch einige zumindest äußerst umstrittene Auffassungen des Ägyptologen Jan Assmann, der den ägyptischen Polytheismus verklärt hat, und der dem semitischen Monotheismus der Juden (Christen und Muslime) einen essentiellen Hang zur Anfeindung und zur Gewalt gegen Andersgläubige unterstellt hat, förderten gnostische Motive, wie sie auch in der Freimaurerei und im Illuminatentum der Epoche der Aufklärung verbreitet waren. Überhaupt wird die Epoche der Aufklärung trotz ihrer geschichtlichen Dialektik und ethischen Ambivalenz häufig als Epoche der Erleuchtung, des Fortschrittes und der Wissenschaften verklärt. Dass die Epoche der Aufklärung auch eine Blütezeit der Esoterik, der Geheimbündelei und der selbstbezogenen Hypochondrie war, ist hingegen weitgehend unbekannt oder wird einfach verdrängt.

 

Aus christlicher Sicht befähigt jedoch nicht jedes Licht zur Erkenntnis der Wahren und Guten. Es gibt vielmehr auch das verführerische Licht der Illusionen eines unkritischen Fortschrittsglaubens an Wissenschaft und Technik, das verblendende luziferische Licht der Gnosis und das heiße Licht der Sonne, das den Höhenflug des Ikarus beendete, weil es das Wachs seiner Flügel zum Schmelzen brachte. Aus jüdischer und christlicher Sicht handelt es sich bei der postmodernen Gnosis derzeit um die im sog. Westen am weitesten verbreite Häresie. Sie ist:

  • anarchisch, weil sie sich gegen alle politischen Ordnungen der Bändigung und der Verhinderung des Missbrauchs von Macht wehren, die über ihr eigenes unmittelbares Interesse hinausgehen
  • anti-modern, weil sich die Moderne durch den mühsam erkämpften zivilisatorischen Fortschritt auszeichnet, der in der Trias von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und regulierter Marktwirtschaft besteht
  • anti-demokratisch, weil auch moderne Demokratien auf demokratische Konventionen, Institutionen und Traditionen angewiesen sind
  • anti-rechtsstaatlich, weil auch moderne Rechtsstaaten auf rechtsstaatliche Konventionen, Institutionen und Traditionen angewiesen sind
  • anti-sozial, weil sie wegen ihres Subjektivismus nicht die Notwendigkeit einer staatlichen Regulierung der Märkte im Sinne einer sozialen Markwirtschaft akzeptieren
  • anti-solidarisch, weil sie wegen ihres Subjektivismus nicht die Notwendigkeit staatlicher Maßnahmen zur Solidarität mit sozial Schwachen und Armen, Behinderten und Kranken, Alten und Kindern akzeptieren
  • dualistisch im Sinne des platonischen Mythos von der reinkarnationsfähigen Seele, die im menschlichen Körper gefangen ist und zu befreien ist
  • leibfeindlich, weil sie ihren leiblichen Körper durch eine schrittweise Spiritualisierung überwinden wollen
  • solipsistisch im Sinne eines erkenntnistheoretischen Interpretationismus oder ontologischen Anti-Realismus
  • anti-materialistisch im Sinne einer Verachtung des Materiellen (als vermeintlicher Ursache des Bösen) und einer Überschätzung der Macht des Geistes (als vermeintlicher Quelle des Guten)
  • misogyn, weil sie sich gegen die Fortpflanzung wehren und damit den einzigartigen Beitrag der Frauen zur Erhaltung und Entwicklung der Gesellschaft durch Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt geringschätzen
  • antisemitisch, weil sie den befreienden und Gerechtigkeit schaffenden Exodus-Glauben der Juden, ihren strikten Monotheismus und das biblische Narrativ einer ursprünglich guten Schöpfung ablehnen
  • antichristlich, weil sie das apokryphe und unzuverlässige Thomas-Evangelium gegen die zuverlässigeren synoptischen und paulinischen Schriften des Evangeliums auszuspielen versuchen
  • subjektivistisch, weil sie das Reich Gottes schwärmerisch nur "in sich selbst" finden wollen, aber nicht in einer christlichen Gemeinde, also "mitten unter Euch", wie Jesus Christus den Evangelien zufolge lehrte


 

Die Geburt des Antisemitismus aus dem Geist der Gnosis

 

In Abgrenzung von der ahistorischen Kosmologie der Antike hat sich in der Moderne die Auffassung durchgesetzt, dass der Kosmos einem evolutionären Schema unterliegt, das die Existenz des Göttlichen zwar noch erlaubt, dieses aber nicht mehr als unabdingbar erscheinen lässt. Der Kosmos und mit ihm die gesamte materielle Existenz folgen nur noch Gesetzmässigkeiten, die der Erforschung durch den Menschen zugänglich sind. Für Hans Blumenberg besteht die wesentliche Leistung der Moderne darin, mit der Gnosis die Welt zwar für ungerecht zu halten, im Gegensatz zu ihr jedoch eine radikal andere Schlussfolgerung daraus gezogen zu haben, nämlich eine Rechtfertigung des Menschen.

 

Der Gnosis gilt die Welt nicht nur als ungerecht, sondern als niedere Entität. Alles Vergängliche, also auch die Geschich-te, fällt der Verachtung anheim. Gegen die Gefahr, in den Sog dieser Strömung zu geraten, hatten die Kirchenväter das noch junge Christentum abgesichert, indem sie das dem Judentum entlehnte lineare Konzept von Zeit übernahmen und die Vorstellung von einer Sinnhaftigkeit der Geschichte in der Religion verankerten.ii Beides liess sich mit der Gnosis nicht vereinbaren, die bis in die Neuzeit hinein Denkmuster zeitigen sollte, deren augenfälligstes der Antisemitismus als höchste Ausdrucksform einer allgemeinen Ablehnung der Welt ist.

 

Inwieweit antike Judenfeindschaft und moderner Antisemitismus übereinstimmen, ist umstritten. Ansätze, gnostisches Denken noch in neuzeitlichen Denkern wie Heidegger und Schopenhauer nachweisen zu wollen, haben manche Kritik auf sich gezogen, zumal die Gnosis, wie alle religiösen und intellektuellen Strömungen, eine gewisse Spannbreite an Ausdeutungen und Lehrmeinungen aufzuweisen hat. Letztlich dürfte der Antisemitismus mehr als nur eine Wurzel haben und die Gnosis ist schon deshalb nicht leicht zu berurteilen, weil sie auch auf die monotheistischen Religionen Einfluss ausgeübt hat. Allgemein jedoch musste die Gnosis in wesentlichen Aspekten den monotheistischen Offen-barungsreligionen gegenüber fremd bleiben und, wie wir noch sehen werden, ganz besonders gegenüber dem Judentum.

 

Dessen ungeachtet wirken gnostische Elemente im Christentum bis heute nach. In der christlichen Umdeutung der alten Nationalgötter zu Teufeln hatte schon Heinrich Heine einen späten Schimmer der gnostischen Idee von der Verschlechterung des ehemals Göttlichen ausgemacht, die noch in ihrer monotheistischen Erscheinung ihre Herkunft nicht haben verleugnen können. Vor allem das Johannesevangelium, das von einer Ablehnung der Welt ebenso wie der Zeit geprägt ist, hat hier massgeblich gewirkt. Für diese beiden aber, Welt und Zeit, stehen – die Juden. Nicht ohne Grund, so Micha Brumlik, Verfasser einer Studie über die sog. Neognosis, war das Johannesevangelium (vgl. Joh 8,23) immer eine beliebte Referenz von Judenfeinden gewesen.

 

So spricht denn viel für eine starke Verbindung von Gnosis und Antisemitismus und ebenso für ein Weiterleben jener im neuzeitlichen Denken, wenn man sie als abstrahierten Begriff verwendet und nicht auf ihre antike Erscheinung be-grenzt. Die strukturelle Gemeinsamkeit mit manchen religiös-politischen Ideologien des 20. Jahrhunderts lässt sich jedenfalls nicht leugnen, insofern als jene mit der Gnosis die Eigenschaft teilen, die Welt als solche ganz grundsätzlich abzuwerten und alles Materielle und Fleischliche, wofür symbolisch das Judentum steht, überwinden zu wollen. Diese Abwertung kann schliesslich in eine selbstzerstörerische Hingabe an das Körperliche kippen, da es für den Gnostiker zwischen Selbstkasteiung und Exzess kein Drittes gibt.

 

Ebenso sprechen gute Gründe für die Annahme von Guy G. Stroumsa, dass der Antisemitismus als fertiges Produkt schon in der Spätantike vorhanden gewesen sein müsse, seitdem im vierten Jahrhundert das Christentum den Sieg über das Heidentum davon-getragen und eine theologisch gespeiste Unduldsamkeit gegen das Judentum entwickelt hat. Der im alten Ägypten in Gestalt eines Wasserdrachens auftretende Dämon Apophis (so die griechische Bezeichnung des äg. Apep), der die Feinde Pharaos und damit das kosmische Böse repräsentierte, dürfte hier Pate gestanden haben, denn ebenfalls in ägyptischen Quellen sind es die Juden, die mit den aus Palästina eingewanderten leprakranken Hyksos identifiziert werden. Anschuldigungen gegen Juden, rituelle Morde zu begehen, lassen sich bereits im Ägypten des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts nachweisen.

 

Ursprünglich wegen ihrer Ablehnung der Idolatrie angefeindet, wurden die Juden in den Schmähschriften antiker ägyptischer Schriftsteller mit Ansteckung und Krankheit in Verbindung gebracht, womit ein Motiv des modernen antisemitischen Diskurses vorweggenommen wurde, wie Jan Assmann konstatiert. Das Narrativ von den „gottlosen Asiaten‟ und dem „religiösen Feind‟, der Hyksos, die im 16. Jahrhundert v. Chr. aus Ägypten vertrieben worden waren, wurde von der hellenistischen Geschichtsschreibung aufgenommen und weitergeführt. Das antijüdische Narrativ bildete ein mächtiges Deutungsmuster abendländischer Geschichte. Lebendig blieb u.a. das Motiv des Aussatzes: So waren die Juden Frankreichs 1321 angeklagt worden, gemeinsam mit Aussätzigen und zum Schaden der christlichen Bevölkerung Brunnen und Flüsse vergiftet zu haben. Der Ausbruch der Pest dreissig Jahre später erneuerte den Hass auf die Juden und war geeignet, gnostische Deutungen zu reaktivieren.

 

Der Gnostiker fühlt sich von der Welt entfremdet und steigert sich in einen Rausch aus Grössenwahn und Rachedurst, um sich mit dem Göttlichen, seinem Ursprung, zu vereinigen, und jenes zugleich von dem Makel zu erlösen, eine verdorbene Welt hervorgebracht zu haben. Getrieben von Rache und Grössenwahn will der Gnostiker die Welt durch das Feuer reinigen. Karlmann Beyschlag hat die Gnosis wegen der Selbstvergöttlichung ihrer Subjekte ganz treffend eine „irreligiöse Religion‟ genannt. Zum gnostischen Modell gehören nach Umberto Eco außerdem die Syndrome des Mysteriösen und des Komplotts, wie sie in den „Protokollen der Weisen von Zion‟ und anderen Theorien von einer jüdischen Weltverschwörung manifest werden. Der Antisemitismus wird so zum Baustein eines antimodernistischen Denkens, das die Juden für alle vermeintliche Schlechtigkeit der Welt verantwortlich macht.

 

Mag die Gnosis als eigenständige Religion mit der Antike untergegangen sein, so sind Grundmuster ihres Denkens doch bis in die Gegenwart hinein lebendig geblieben. Brumlik sieht „die Gleichsetzung von Welt, Sünde und Juden als Repräsentanten des Alten, Fleischlichen und [zu] Überwindenden‟, also die wesentlichen Elemente einer gnostischen und antisemitischen Weltsicht, in einem Kontinuum verwirklicht, das sich von Giordano Bruno über Fichte und Schopenhauer bis hin zu Wagner und Marx erstreckt. Nicht ohne Grund sind es vor allem deutsche Namen, die hier genannt werden. Das von Aufklärung, Rationalismus und einer Immanentisierung der Welt weniger als andere Länder wie Frankreich oder England berührte Deutschland musste für gnostische Ideen besonders empfänglich sein.

 

Michael Kreutz: Zwischen Religion und Politik — Gebunden, 400 Seiten

 

https://www.transatlantic-forum.org/2017/zwischen-religion-und-politik-viii-die-geburt-des-antisemitismus-aus-dem-geist-der-gnosis

 


 

Christoph Markschies, Die Gnosis. München: Beck,  4., durchgesehene Auflage 2018

 

Die Gnosis (”Erkenntnis”) gehört zu den faszinierendsten Erscheinungen der Religionsgeschichte. Direkte Parallelen zur modernen Esoterik haben in letzter Zeit das Interesse an dieser Religionsform stark anwachsen lassen. Mit diesem Buch liegt nach langer Zeit wieder eine aktuelle Gesamtdarstellung zur Gnosis in deutscher Sprache vor.

 

Barbara Aland, Was ist Gnosis? Studien zum frühen Christentum, zu Marcion und zur kaiserzeitlichen Philosophie, Tübingen: Mohr Siebeck 2009

 

https://www.mohrsiebeck.com/uploads/tx_sgpublisher/produkte/leseproben/9783161574856.pdf

 

Siehe auch meine Seite zur Analytischen Psychologie von C. G. Jung unter der Rubrik 'Psychologisches'