Wenn die Waffen schweigen.
Die Bedeutung von Kommunikation und Diplomatie.
Ralf Stegner (SPD) am 20. Juni 2022
Der Krieg in der Ukraine muss enden. Das ist ein weiterer Grund, warum Kommunikation und Diplomatie aufrechterhalten werden müssen. Denn wie anders sollen wir das Leid der ukrainischen Zivilbevölkerung stoppen?
Dreizehn Tage. Es waren diese dreizehn Tage im Oktober 1962, in der die Welt den Atem anhielt. Mit der Stationierung sowjetischer Atomraketen auf Kuba, also in unmittelbarer Nähe der USA, stand die Menschheit am Rande eines Atom-kriegs. Es ist dem Verhalten einzelner zu verdanken, dass es nicht zum Äußersten kam. Und dem Glück im richtigen Moment.
Was wäre gewesen, wenn das versehentliche Eindringen eines amerikanischen Flugzeugs in den sowjetischen Luftraum weniger glimpflich ausgegangen wäre? Was wäre gewesen, wenn der sowjetische U-Boot-Offizier Wassili Alexandro-witsch Archipow sich nicht geweigert hätte, den Abschuss von Nuklearwaffen während der US-Seeblockade vor Kuba anzuweisen? Was wäre gewesen, wenn der amerikanische Präsident John F. Kennedy auf die Hardliner in den Militärs gehört und mit unmittelbaren Luftschlägen gegen die sowjetischen Militärbasen auf Kuba reagiert hätte? Bis heute können wir dankbar sein, dass Kennedy überlegt gehandelt und nicht den ersten menschlichen Impulsen nachgegeben hat.
Es klingt paradox, aber dieses 13 Tage im Oktober 1962 leiteten letzten Endes eine Entspannung zwischen Ost- und West ein, zumindest vorübergehend. Nachdem sie am Rande atomaren Abgrunds standen, bauten beide Lager die gemein-same Kommunikation auf, auch um Missverständnisse mit gravierenden Folgen zu vermeiden. „Der heiße Draht“, eine Direktkommunikation zwischen Washington und Moskau, ist das anschaulichste Beispiel.
Nun ist es mit historischen Vergleichen so eine Sache. Geschichte wiederholt sich nicht 1:1. Eine Platitüde. Und
dennoch können wir aus der Vergangenheit Orientierung in der Gegenwart gewinnen, wie es der Historiker Jörn
Rüsen sinngemäß ausdrückte. Indem wir vergleichen, aber nicht gleichsetzen. Indem wir Unterschiede und Parallelen ausmachen. Das Hilfreiche an der Geschichte ist, dass wir die Ergebnisse kennen, die das Handeln der damaligen Akteure hervorbrachte.
Der Ukraine-Krieg ist nicht mit der Situation während der Kuba-Krise gleichzusetzen, nicht in Gänze. Erst recht nicht in der moralischen Bewertung. Damals wurde die Katastrophe verhindert, heute ist sie eingetreten. Das moralische Urteil ist eindeutig: Putin ist für den Angriff auf die Ukraine verantwortlich: Für die vielen Familien, die ihr zu Hause verloren haben und geflüchtet sind. Für die vielen Toten, übrigens auf beiden Seiten. Für die Kriegsverbrechen an Frauen, Männern, gar Kindern, wie wir sie etwa in Butscha beobachten konnten. Putin gehört vor das UN-Kriegsverbrecher-tribunal nach Den Haag.
Darf man mit so einem noch reden? Ist es richtig, dass Bundeskanzler Olaf Scholz und der französische Präsident Macron weiterhin mit Putin telefonieren? Sollte man weiterhin eine politische Lösung ins Auge fassen? Die Antwort lautet: Man muss es sogar. Denn wir kommen zu einer historischen Parallele. Die atomare Bedrohung ist präsent. Fehlende Kommunikation kann gravierende Konsequenzen nach sich ziehen. Genauso wie eine Ausweitung des
Krieges und eine direkte Konfrontation zwischen der NATO und Russland.
Der Krieg in der Ukraine muss enden. Das ist ein weiterer Grund, warum Kommunikation und Diplomatie aufrecht-erhalten werden müssen. Denn wie anders sollen wir das Leid der ukrainischen Zivilbevölkerung stoppen? Nur, weil die Diplomatie bisher gescheitert ist, war sie nicht falsch. Dazu genügt ein simples Gedankenexperiment: Man stelle sich
vor, man hätte zu jeder Zeit diplomatische Lösungen verweigert und gleich auf Konfrontation oder gar militärische
Mittel gesetzt.
Selbst wenn das Leiden in Putins Verantwortung liegt, so ist es im Interesse der Menschen in der Ukraine, dass die Waffen ruhen. Klar ist: Die Ukraine sollte eine möglichst starke Verhandlungsposition haben. Um diese zu erreichen, sollten wir uns aber nicht auf militärische Stärke verengen. Die gemeinsamen Sanktionen des Westens treffen Russland hart. Durch den Zusammenhalt in Europa und mit den Vereinigten Staaten ist Putin dauerhaft politisch isoliert. Wer aus der Ukraine flüchtet und Schutz sucht, findet Hilfe bei den europäischen Nachbarn. Finnland und Schweden sind im Begriff, in die NATO aufgenommen zu werden. Und mit der Ukraine sollen Beitrittsverhandlungen in die Europäische Union aufgenommen werden. Putin wird kein Gewinner des Kriegs sein, sofern dieser Begriff im Krieg überhaupt sinnvoll ist. Denn dieser Krieg kennt am Ende keine „Gewinner“.
Ein Ende der Kämpfe bedeutet nicht nur, das existentielle Risiko einer Entgrenzung des Kriegs zu verhindern, sondern auch, Zeit zu gewinnen. Die diplomatischen Bemühungen vor dem Ukraine-Krieg waren richtig. Aber wir brauchen
auch eine neue Politik gegenüber Russland. Insbesondere müssen wir die Abhängigkeit von russischer Energie reduzieren und dafür sorgen, dass unsere Soldatinnen und Soldaten angemessen ausgerüstet sind. Ein Versäumnis
aus jahrelanger christdemokratischer Politik im Verteidigungsministerium.
Ich bin kein Pazifist. Das ist eine bequeme Haltung, die moralische Konsequenzen ausblendet. Das militärische Ein-greifen der Amerikaner im Zweiten Weltkrieg war richtig. Dass die Ukraine ihre Freiheit und Demokratie verteidigen, verdient unsere Solidarität. Aber hier sind wir wieder bei historischen Vergleichen. Auch Putin ist ein Kriegsverbrecher. Als die atomare Bedrohung im Zweiten Weltkrieg aber zutage trat, war Hitler-Deutschland bereits besiegt. Das ist wiederum keine Parallele zu heute. Und wir müssen die Realität anerkennen: Bei aller Unterstützung für die Ukraine.
Die NATO wird in der Ukraine nicht eingreifen. Die Ukraine ist militärisch unterlegen. Eine militärische Lösung im Sinne der Ukraine wird es mithin nicht geben. Sondern nur eine diplomatische. Denn Kriege enden nicht durch Waffen. Dadurch werden sie verlängert und somit auch das Leid. Heute gilt: Kriege enden durch Worte. Das lehrt uns die Geschichte.
https://www.ralf-stegner.de/2022/06/20/ukraine/
Die politische Instrumentalisierung von Religion
Seit dem Krieg in der Ukraine steht die politische Instrumentalisierung von Religion wieder im Zentrum medialer Berichterstattung. Dass es sich dabei um keinen unproblematischen Begriff handelt, wird in den Debatten um die Rolle der orthodoxen Kirchen im Ukrainekrieg deutlich. Während noch zu Beginn des Krieges von einem Missbrauch der russisch-orthodoxen Kirche als außenpolitisches Werkzeug des Kremls die Rede war und die religiöse Dimension der großrussischen Staatsideologie Putins eine Instrumentalisierung von Religion nahelegte, wurde sehr schnell offensicht-lich, dass das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche selbst maßgeblich an der Sakralisierung der politischen Agenda Putins mitwirkte.
In einem allgemeinen Verständnis ist dann von einer politischen Instrumentalisierung von Religion die Rede, wenn politische Konflikte religiös "überfärbt" sind, gewaltsam ausgetragene Konflikte religiös gerechtfertigt werden oder eine machtpolitisch intendierte Einflussnahme von Religion auf den Diskurs und die Durchsetzung gesellschaftlicher Normen und Werte erfolgt. Aber wann kann tatsächlich von einer politischen Instrumentalisierung von Religion gesprochen werden? Welche religiösen Themenkomplexe und Konzepte werden instrumentalisiert und auf welche Weise genau? Welche machtpolitischen Interessen lassen sich ausmachen, und wovon hängt es ab, ob Instrumentali-sierungsversuche erfolgreich sind? Welche Funktion schließlich hat eine Instrumentalisierung von Religion – und für wen? Mit diesen Fragen beschäftigte sich die Arbeitsgruppe „Religion und Gewalt“ im Rahmen des dreijährigen interreligiösen Konsul-tationsprozesses „Religionen, Diplomatie und Frieden“. Die AG „Religion und Gewalt“ verhandelte zuvor Phänomene
und Gegenstrategien religiöser Gewalt und wird in der nächsten Konsultation (Dezember 2022) Formen der religiösen (De-)Legitimierung staatlicher militärischer Gewalt hinterfragen.
Wann es sich um eine politische Instrumentalisierung handelt, ist dabei keineswegs leicht zu beantworten. Wie unsere Diskussionen am Beispiel der russisch-orthodoxen Kirche zeigten, kann nicht von einer politischen Instrumentalisierung von Religion gesprochen werden, wenn politischer Aktivismus auch Teil des Religionsverständnisses ist. So suggeriert die These der Instrumentalisierung von Religion auch einen Gegensatz zwischen Religion und Gewalt, indem davon ausgegangen wird, dass gewaltvoll ausgetragene Konflikte nicht auf Religion selbst, sondern auf andere Faktoren zurückzuführen sind und es sich dabei um einen Missbrauch handelt, der ihren eigenen Postulaten widerspricht.
Ebenso gestaltet es sich schwierig, dann von einer Vereinnahmung von Religion zu sprechen, wenn diese für „nichtreligiöse“ Zwecke genutzt wird. Wer definiert, was religionsfremde Zwecke sind? Welches Grundverständnis von Religion bestimmt, wann von einem Missbrauch von Religion gesprochen werden kann? In einer basalen Definition bezeichnet der Begriff der Instrumentalisierung erst einmal nur die Rechtfertigung einer Handlung zum Erreichen eines expliziten Ziels mit einem bestimmten Werkzeug oder Mittel. Die verbreitete Gleichsetzung von Instrumentalisierung und Missbrauch greift demnach viel zu kurz. Wie die Position der russisch-orthodoxen Kirche im Ukrainekrieg verdeutlicht, können Politik und Religion nicht streng getrennt werden: Religiöse Motive haben immer auch politische Implikationen. Religion hat immer auch eine politische Dimension.
Dr. Madlen Krüger, FEST Newsletter, Heidelberg, Januar 2023
EKD-Ratsvorsitzende Kurschus warnt vor Schablonen im Denken
tade (epd). In der Diskussion um den russischen Angriffskrieg in der Ukraine warnt die Ratsvorsitzende der Evangeli-schen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, vor einer Logik aus Gewinnern und Verlierern, Siegen und Nieder-lagen. „Schablonen machen Verständigung unmöglich“, sagte Kurschus am Montagabend bei einem Empfang der hannoverschen Landeskirche in Stade bei Hamburg. Das einzige, was in diesem Konflikt gewonnen werden könne und müsse „ist der Frieden“.
Das Kriegsende komme nicht, weil keine Munition mehr da sei, sondern weil verhandelt werde, sagte die westfälische Präses. Deshalb sei es auch wichtig, dass die Gesprächsfäden nicht abrissen. Kurschus führte aus, sie befürworte eine Politik der Deeskalation und der Vorsicht. Sie warnte in diesem Zusammenhang vor Pathos etwa in der Formulierung, die Ukraine verteidige wesentliche westliche Werte: „Die Ukrainer verteidigen zuerst ihr Leben, ihre Freiheit und die Souveränität ihres Landes.“
„Ich weigere mich, die komplizierte Wirklichkeit simpel zu machen“, warb Kurschus für einen differenzierten Blick der Kirche auf den Krieg in der Ukraine. Die Kirche könne und müsse es sich leisten, von Zweifeln und Ambivalenzen zu sprechen „und von der Notwendigkeit der Versöhnung, gerade da, wo sie vermeintlich keine Chance hat“. Dabei gehe
es nicht um Besserwisserei, sondern um Ermutigung und eine Schärfung des Gewissens.
Kurschus betonte das Selbstverteidigungsrecht der Ukrainer und sagte auch, Waffenlieferungen in diesem Zusammen-hang seien aus christlicher Sicht „als das geringere Übel zu verantworten“. Sie seien aber an die Aufgabe gebunden, für Recht und Frieden zu sorgen. Mit Blick auf die besondere Verantwortung von Christinnen und Christen in Krieg und Krise bekräftigte die Ratsvorsitzende, sie hätten die Aufgabe, „der Hoffnung den Platz frei zu halten: Hoffnungslosigkeit können wir uns nicht leisten, dazu ist die Lage zu ernst.“
EKD-Ratsvorsitzende Kurschus warnt vor Schablonen im Denken – EKD