Liberale Theologie

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Büste von Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768-1834), Philosoph, Theologe, Platonübersetzer und Vordenker des "liberalen Protestantismus"

 

 

 

Die Evangelien berichten von den Zeugen der leiblichen Auferstehung,

die dem vertrauten, aber verwandelten leiblichen Jesus begegnet sind

und nicht nur einem Symbol für einen Neuanfang in ihrem Leben.

 

Sie haben die leibliche Auferstehung Jesu Christi als wirklich geschehen bezeugt

und nicht nur die Symbolisierung einer allgemeinen Frömmigkeit vorgenommen.

Es ging ihnen um diesen konkreten Menschen Jesus von Nazareth selbst

und nicht nur um die Bestätigung ihrer frommen Gefühle und Phantasien.

 

Auch, wenn dieses schier unglaubliche Ereignis nicht erklärt werden kann,

handelt es sich um etwas, was sie wirklich wahrgenommen haben

und trotz der großen Gefahr für Leib und Leben bezeugt haben.

 

 


 

Liberale Theologie - Eine Verwässerung des christlichen Glaubens

 

 

Eine der grössten Gefahren für das Leben der Kirche in einem demokratischen Land

besteht in der Versuchung, das Evangelium in einer Weise zu verkünden,

die dem allgemeinen Volksempfinden nahe steht.

 

Emil Brunner, 1957

 

Eine überragende Kultur kann nicht von außen her erobert werden,

so lange sie sich nicht von innen her selbst zerstört hat.

 

Will Durant

 

 

Wenn man verstehen will, woher die allmähliche Entkernung des christlichen Glaubens und die Selbstzerstörung

der befreienden Botschaft des Evangeliums von Jesus Christus in den Protestantischen Landeskirchen in Deutschland kommt, dann muss man die ideengeschichtliche Entwicklung der sog. Liberalen Theologie nachvollziehen. Diese Entwicklung hat primär zu einer radikalen Entstellung und Verfälschung des Evangeliums geführt und sekundär zu

einer schleichenden Entchristlichung der deutschen und europäischen Kultur.

 

Die Rede von einer Liberalen Theologie klingt nach Glaubensfreiheit, Toleranz und Weltoffenheit. Diese Assoziationen mögen zu Beginn zu Beginn der Liberalen Theologie im 19. Jahrhundert angemessen gewesen sein. Heute steht der Ausdruck "Liberale Theologie" leider nur noch für das glatte Gegenteil einer dominierenden Theologie, die von einer Übermacht humorloser und selbstgerechter Besserwisser verteidigt wird, die Andersdenkende und -glaubende aus-grenzt und bekämpft. Da gibt es kaum noch Glaubensfreiheit, Toleranz und Weltoffenheit, sondern eine stramme Unterordnung der Theologie unter ein überhohltes mechanistisches Weltbild aus dem 18. und 19. Jahrhundert, Intoleranz gegen vermeintlich unaufgeklärte Formen von Frömmigkeit, und ein "Wissenschaftsaberglaube" (Karl Jaspers), der anscheinend noch nie etwas von der "Dialektik der Aufklärung" (Adorno/Horkheimer) und dem naiven Fortschrittsglauben an Wissenschaft und Technik als der Ursache für die ökologische Krise gehört hat.

 

Die sog. Liberale Theologie ist in ihrem Kern eine bestimmte Doktrin und Methode der biblischen Hermeneutik, die

als "historisch-kritische Exegese" (Auslegung) der biblischen Schriften bezeichnet wird. Diese Doktrin und Methode

geht auf den niederländischen Philosophen Baruch des Spinoza (Tractatus-theologico-politicus) der Frühen Neuzeit zurück. Spinoza stammte aus einer Familie portugiesischer Einwanderer jüdischer Herkunft. Aufgrund der damals bahnbrechenden Erfolge der newtonschen Mechanik in der Astronomie entremdete er sich jedoch vom Judentum und wurde wegen seiner neostoischen Überzeugungen aus der jüdischen Gemeinde von Amsterdam ausgeschlossen.

 

Spinozas neostoische Philosophie stand unter dem starken Einfluss der mechanistischen Physik seiner Zeit und war pantheistisch, naturalistisch und deterministisch. Seine pantheistische Identifikation der Natur mit Gott selbst (deus sive natura) war nicht mit dem jüdischen Glauben an einen Schöpfergott als Ursprung des Weltalls und des Lebens auf der Erde vereinbar. Aber auch seine voreilige Übertragung des mechanistischen Denkens der Newtonschen Physik auf die ganze irdische Natur und den Menschen führte zu einer unangemessenen Teleologiekritik (Tiere sind jedoch keine mechanistischen Automaten, sondern haben vitale Bedürfnisse und verfolgen natürliche Ziele wie bei ihrer Suche nach Nahrung oder bei ihrer Fortpflanzung) und zu einer deterministischen Leugnung der menschlichen Willensfreiheit (Menschen sind jedoch nicht vollständig determinierte Lebewesen, deren Entscheidungen nur der "Einsicht in das Notwendige" entspringen können, sondern sie können sich und ihr Leben in gewissen Grenzen selbst bestimmen). Manche verstehen Spinoza als Vorläufer einer atheistischen und naturalistischen "Radikalaufklärung" (J.I. Israel) und übersehen, dass er zumindest auch ein Nachfahre des fatalistischen Schicksalsglaubens der antiken Stoiker war.

 

Bei Spinozas neostoischer Philosophie mit ihrem mechanistischen Verständnis der Natur und seinem deterministischen Verständnis des Menschen geht es nicht nur um eine Kleinigkeit oder Nebensache, sondern um das angemessene Verständnis von der Sonderstellung des Menschen in der Natur. Denn aufgrund seiner Sprach- und Vernunftbe-gabung, seiner Fähigkeit zu freien Willensentscheidungen und schöpferischen Tätigkeiten sind die Menschen als Gattungswesen nach dem jüdischen und christlichen Verständnis Ebenbilder Gottes und besitzen eine angeborene und unveräußerliche Würde. Diese Würde kommt jedem Menschen alleine aufgrund seiner allgemeinen Natur zu und nicht etwa -- wie noch der Stoiker Cicero meinte -- nur aufgrund seiner sozialen Stellung oder aufgrund höherer Ämter, sozia-ler Funktionen oder persönlicher Leistungen. Damit unterwanderte Spinozas neostoische Philosophie den in der men-schlichen Natur liegenden Grund für die allgemeine Menschenwürde, die wiederum der Grund für die allgemeinen Rechte der Menschen ist, wie sie zuerst in der französischen Verfassung politisch verbindlich erklärt wurden.

 

Außerdem entspringt das begrenzte mechanistische und deterministische Verständnis der Natur der neuzeitlichen Physik und gilt daher auch nur für die kausal und mechanisch erklärbaren Teilbereiche der Mesophysik der Lebenswelt (wie z.B. die mechanischen Stoßgesetze oder die Gesetze der Statik) und der Makrophysik der Planetensysteme (wie z.B. für die Schwerkraft im System der Planeten). Aber dieses mechanistische und deterministische Verständnis der Natur gilt weder für die Mikroebene der modernen Quantenphysik noch für die Mesoebene der evolutionären Entstehung und Entwicklung der Lebewesen, ihrer organischen Teilsysteme und ihres intelligenten teleonomen Verhaltens. Denn in der lebendigen Natur gibt es nicht nur kausale Relationen von Ursachen und Wirkungen, sondern zumindest bei den Lebe-wesen auch teleologische Relationen von Mitteln und Zwecken, da alle Lebewesen instinktiv "natürliche Ziele" (Löw / Spaemann) der Bewegung, Selbsterhaltung und Fortpflanzung verfolgen, die nicht mehr nur kausal oder bloß physika-lisch verstanden und erklärt werden können.

 

Schließlich gibt es auch nicht nur kausale Relationen und teleologische Relationen, sondern auch intentionale Rela-tionen, da Menschen und einige höhere Tierarten (Säugetiere, Beuteltiere und Vögel) Bewußtsein haben und mit ihren inneren und äußeren Sinnen etwas wahrnehmen können, das zu ihrem instinktiven Verhaltenrepertoire gehört. Schließ-lich gibt es zumindest bei Menschen auch noch besondere intentionale Relationen, die durch ihr sprachliches Denk-vermögen und ihre kognitive Urteilskraft bestimmt werden und die weder nur kausal und physikalisch noch bloß teleonom und biologisch verstanden und erklärt werden können. Die mechanistische und reduktionistische Mißachtung der teleologischen Finalität der Pflanzen und Tiere ist jedoch der wesentliche Grund für die seit der Neuzeit und Aufklä-rung anhaltende Mißachtung der Eigenständigkeit der Lebewesen und des Eigenwertes des Lebendigen auf der Erde.

 

Die Verkennung, dass Menschen wie Tiere vitale Interessen haben und natürliche Ziele verfolgen und daher in die teleologischen Netzwerke der irdischen Natur eingebettet sind und von ihnen existenziell abhängig sind, war und ist seither der wesentliche Grund für die wissenschaftlich-technische Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, Fossilien, Pflanzen und Tiere und für die Vernichtung unzähliger Arten von Pflanzen und Tieren bis hin zu der Zerstörung der natürlichen Bedingungen des (menschlichen) Lebens auf der Erde. Die mechanistische Physik der Frühen Neuzeit und das reduktionistische Naturverständnis der Aufklärung haben also nicht nur erhellendes Licht ins Dunkel des früheren Verständnisses vom Dasein des Menschen in der irdischen Natur und im schier unendlichen Universum gebracht, sondern sie haben auch das Verständnis für die natürlichen Bedürfnisse und Ziele der Planzen und Tiere vermindert.

 

Spinozas Gedanken zur biblischen Hermeneutik, d.h. zur historisch-kritischen Exegese (Auslegung) der biblischen Schriften entsprangen seinem philosophischen Zweifel am Wahrheitsgehalt und am Offenbarungscharakter der bibli-schen Schriften der Juden und Christen. Sie wurden im 18. Jahrhundert von den beiden Aufklärern Samuel Reimarus und Gotthold Ephraim Lessing aufgenommen und im 19. und 20. Jahrhundert von den damals führenden Protestantischen Theologen Daniel Friedrich Ernst Schleiermacher, Adolf von Harnack und Ernst Troeltsch  fortgeführt. Aufklärung und Liberalisierung wurden bis zum 20. Jahrhundert jedoch immer nur als Voraussetzung für den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt verstanden. Sie waren jedoch auch Voraussetzung für die Ausbreitung des ökonomisch-politi-schen Kapitalismus und für seine Zerstörung der natürlichen Lebensbedingungen auf der Erde. Last, but not least ver-nichteten die Nazis mit ihrer industriellen Tötungsmaschinerie Millionen von Juden, Tausende von Sinti und Roma, sowie Tausende religiöse und politische Dissidenten aufgrund einer reduktionistischen und rassistischen Auffassung von Menschen.

 

Die historisch-kritische Hermeneutik avancierte im 20. Jahrhundert zur führenden biblischen Hermeneutik in der protestantischen Theologie. Eine maßgebliche Rolle spielte dabei die biblische Hermeneutik und "liberale Theologie" des Marburger Theologen für Neues Testament Rudolf Bultmann, der selbst in seinem Denken stark von dem damals einflussreichen charismatischen Existenzphilosophen Martin Heidegger beeinflusst wurde, der bis zu seinem Lebens-ende ein überzeugter Antisemit und Nationalsozialist gewesen ist (vgl dazu: Rektoratsrede, Freiburger Vorlesung über Metaphysik und Schwarze Hefte). Rudolf Bultmanns Hermeneutik wurde von seinem ideologischen Reformprogramm einer radikalen Entmythologisierung und existenzialistischen Interpretation der biblischen Schriften bestimmt und ge-leitet. Bultmann war zwar selbst weder ein Antisemit noch Nationalsozialist, aber seine Interpretation des Johannes-Evangeliums war immer noch von alten anti-judaistischen Vorurteilen und Fehldeutungen bestimmt.

 

Auch wenn es zweifelsohne einen geschichtlichen Abstand und eine weltanschauliche Differenz zwischen dem Gottes-, Welt- und Menschenbild, Ethos und Politikverständnis des antiken Israel vor und nach Christus und unserem neuzeitlich geprägten und modernen Gottes-, Welt- und Menschenbild, Verständnis von Ethik und Politik gibt, sodass jede biblische Interpretation und christliche Verkündigung mit unserem zeitgenössischen Verständnis von Gott, Mensch und Welt  vermittelt werden muss, wäre es ziemlich hochmütig im Sinne des neuzeitlichen Fortschrittsglaubens zu meinen, dass das antike Gottes-, Welt- und Menschenbild einfach nur überholt sei, weil unser modernes Gottes-, Welt- und Menschenbild besser und richtiger sei. Vor allem darf durch die Wahrnehmung der historischen und kulturellen Differenzen der befreiende Kern des Evangeliums und des christlichen Glaubens weder aufgegeben noch zerstört werden. Aber nach dem Holocaust an den Juden und anderen Menschen, der selbst auch eine schreckliche Folge des neuzeitlichen Szientismus gewesen ist, wurde der jüdische und christliche Glaube an den einen Schöpfer und seine Schöpfung so sehr erschüttert, dass die historisch-kritische Bibelexegese im Verbund mit Bultmanns Generationen-Projekt der Entmythologisierung auch den Kern des Evangeliums in den alles verschlingenden Abgrund der glaubens-fremden "Hermeneutik des Verdachtes" gerissen hat.

 

Obwohl Rudolf Bultmann nicht den sog. "Deutschen Christen" angehörte, die den Nationalsozialismus begrüßten, kritisierte er mit seinem Programm der Entmythologisierung an der orthodoxeren Einstellung der Theologen der "Bekennenden Kirche" nur deren Festhalten an mythologischen Inhalten des Gottes-, Welt- und Menschenbildes. Allerdings waren es die Dialektischen Theologen (Barth, Bonhoeffer und Brunner), die sich den Nationalsozialisten widersetzten, während sich die Liberalen Theologen ideologisch und politisch angepasst haben. Bultmann forderte

nur eine angemessene Übertragung der existenziell relevanten Inhalte der Evangelien in eine zeitgenössische Sprache und Denkweisen. Dabei ging es ihm nicht um eine Verabschiedung des Evangeliums oder der Leugnung seiner Her-kunft aus der Welt des Alten Israel, sondern um seine Bewahrung und Verkündigung in einer durch die neuzeitliche Wissenschaft und moderne Technik radikal veränderten Welt. Bultmann konnte jedoch weder ahnen noch verhindern, dass sein Projekt der Entmythologisierung später auch zum Schaden des Evangeliums missbraucht werden würde.

 

Liberale Theologen sind immer wieder den politischen Ideologien und Moden des Zeitgeistes verfallen: zuerst im 19. Jahrhundert dem deutschen Nationalismus, dann im 20. Jahrhundert dem Nationalsozialismus und nach dem Zweiten Weltkrieg dem Sozialismus, dann dem Freudianismus und dem Marxismus, dann dem utopischen Pazifismus und dem ideologischen Feminismus (im Unterschied zum berechtigten Einsatz für Gleichberechtigung und Chancengleichheit) und aktuell dem vernunftkritischen Postmodernismus und dem ideologischen Genderismus der fanatisierten Anhänger der intoleranten LGBTIQ-Bewegung, die die Freiheit von Wissenschaftlern, Andersdenkenden und Andersgläubigen  nicht respektieren. Statt das Evangelium unverfälscht zu verkünden und die wissenschaftliche Theologie der historisch-kritischen Hermeneutik von modischen Ideologien frei zu halten, stellen sich viele Landeskirchen der EKD in den Dienst parteipolitischer und regierungspolitischer Interessen. (z.B. konformistische Haltung während der Coronakrise: Verleug-nung eigener Interessen, Selbstständigkeit und Unabhängigkeit von der Regierung)

 

Das Hauptproblem der Liberalen Theologie nach Bultmann besteht daher darin, dass die ganze Bibel inzwischen unter einem modernitäts- und technikgläubigen Generalverdacht des Unzeitgemäßen steht. Dadurch entstand eine fragwürdige "Hermeneutik des Verdachtes", eine Kultivierung der eigenen Vorurteile und ein mangelnder Respekt

vor den biblischen Schriften als uns fremd gewordenen Texten. Diese mißtrauische Hermeneutik verstößt jedoch gegen das hermeneutische Prinzip des Wohlwollens (principle of charity) und vergisst die geistige Offenheit (open mindedness), die man Anderen und Fremden entgegen bringen muss, um sie zu verstehen. Nicht nur die Schriften von Platon und Aristoteles, von Buddha oder Lau Dse, sondern auch die biblischen Schriften kann man nur angemessen verstehen, wenn man seine eigenen Vorurteile kennt und zurückhält und die fremden Schriften mit einem offenen Geist und mit einem wohlwollenden Herzen interpretiert.

 

Der gut klingende Name "Liberale Theologie" ist daher etwas irreführend geworden, weil diese Theologie in der Zwischenzeit weder liberal noch tolerant ist. Vielmehr ist sie sogar sehr dogmatisch und autoritär geworden. Denn sie verabsolutiert die analytischen Methoden der modernen Wissenschaften und Technik und huldigt mittlerweile einem "Wissenschaftsaberglauben" (Jaspers) bzw. "Szientismus" (Habermas). Auch liest, interpretiert und untersucht sie die biblischen Schriften zwar zurecht mit historisch-hermeneutischen Methoden, aber unter der dogmatischen Voraus-setzung eines methodischen Atheismus und einer skeptizistischen Einstellung. Andersdenkende Theologen werden

den theologischen Seminaren staatlicher Universitäten geschnitten und gemobbt, nicht befördert und verstoßen.

 

Manche Liberale Theologen neigen daher, den Autoren der biblischen Schriften ihr eigenes Gottes-. Welt- und Menschenbild sowie ihre eigenen Vorstellungen von Ethik und Politik überzustülpen. Sie erklären allzu schnell alles Mögliche zu einem unglaubwürdigen Glaubensinhalt oder zu einem bloßen Mythos, was von ihren eigenen Ansichten und Vorstellungen abweicht: da sie dabei nicht einmal vor der Aufgabe des Glaubens an die leibliche Auferstehung Christi zurückschrecken zeigt, dass das Programm der Entmythologisierung längst zu einer dogmatischen Ideologie geworden ist. Kein Anthropologe oder Philologe würde heute noch so mit den Schriften einer fremden Kultur oder anderen Religion umspringen können. Schließlich versuchen sie sich dann auch mit allen hochschul- und kirchen-politischen Mitteln der Kritik, der Exklusion und der Bekämpfung anderer Denkansätze durchzusetzen. Diese Ein-stellung und diese Methoden sind jedoch alles andere als liberal oder tolerant.

 

Die Selbstzerstörung des christlichen Glaubens von innen heraus hin zu einer vagen Ganzheitsschwärmerei, zur egozentrischen Selbstverwirklichung und zu einem modischen Allerweltshumanismus entspringt aber nur einer

maßlos angewandten historisch-kritischen Methode und einer strikten Ideologisierung der entmythologisierenden Hermeneutik und der existentialistischen Philosophie Rudolf Bultmanns. Denn nicht das historische und kontextuelle Verstehen selbst ist das methodische Problem, sondern nur die szientistische Absicht, sie am Ende sogar gegen die

überlieferten Wahrheitsansprüche Jesu und der Evangelien anzuwenden.

 

Denn es ist sicherlich angemessen und erhellend, die ganze Bibel historisch und kontextuell zu lesen und zu verstehen, um einem doktrinären und weltfremden Bibelfundamentalismus entgegenzuwirken. Aber es gibt für die meisten Bibel-Leser auch noch andere hermeneutische Interessen und existenzielle Einstellungen, die für meisten Laien  sogar existenziell relevanter sind als die strikten Methoden der Bibelwissenschaften. Diese Interessen und Einstellungen dürfen nicht erst in den Gemeinden und Kirchen, in der Praktischen Theologie und Pastoralausbildung eine Rolle spielen, sondern sie müssen auch schon in der historisch-hermeneutischen Erforschung des Alten und Neuen Testa-mentes berücksichtigt werden. Jedenfalls kann und darf es kaum zur leitenden Intention theologischer Lehre und zur vorherrschenden Methode hermeneutischer Praxis werden, dass vorwiegend skeptische Einstellungen und atheistische Überzeugungen an die Bibel herangetragen werden, um die darin bezeugten Glaubensweisen und Botschaften nur zu "dekonstruieren" und zu diskreditieren, wie es im Anschluss an die historisch-kritische Exegese und das szientistisch mißverstandene Programm der Bultmannschen Entmythologisierung geschehen ist.

 

Die kulturelle Folge war wie nur allzu häufig eine Ideologisierung, Politisierung und Instrumentalisierung des christ-lichen Glaubens für politische Zwecke. Aber wenn schon innerhalb der theologischen Seminare, kirchlichen Verwal-tungen und christlichen Gemeinden der Kern des christlichen Glaubens verwässert wird und das Evangelium nicht

mehr angemessen verkündet wird, sodass die Zweifel unter Christen selbst wachsen, wie sollen dann noch Menschen

zu ihrem eigenen Wohlergehen für den christlichen Glauben gewonnen werden?

 

Mit einem Allerweltbekenntnis zum "Leben" überhaupt ist es jedenfalls nicht getan. Das sind billige Vertröstungen ohne eine tiefere Überzeugungskraft. Denn Menschen kommt nicht nur wie allen Lebewesen ein Leben im biologischen Sinn zu, sondern sie können und müssen auch ein Leben im biographischen Sinn führen. Auch genügt es nicht, zwar mit aller Welt Weihnachten unterm grünen Tannenbaum zu feiern, aber Karfreitag und Ostern peinlich zu meiden oder zu einem Hasen- und Eierfest für Kinder und Familien umzufunktionieren. Im viel beschworenen Leben befinden sich auch die Armen und Ausgeschlossenen, die Behinderten und Kranken, die Flüchtlinge und Vertriebenen dieser Welt, die nachweislich mehr leiden und früher sterben als die Starken und Gesunden. Das "Leben" findet nicht nur statt, wenn man reich und berühmt, fit und gesund ist und kräftig was zu feiern hat. Außerdem entspringt der Osterglaube der stärksten und tiefsten "Ehrfurcht vor dem Leben" (Albert Schweitzer) und Achtung für alles Lebendige, da die alles vernichtende Macht des Todes ihren ultimativen Schrecken verloren hat.

 

Die Verletzbarkeit und Sterblichkeit der Menschen und die Bedrohung durch die jeden Sinn vernichtende Macht des Todes sind immer noch das größte Tabu in unseren vermeintlich aufgeklärten westlichen Gesellschaften, für die dieses Leben immer nur die "letzte Gelegenheit" (Marianne Gronemeyer) ist, um möglichst viel zu erleben, zu konsumieren und aus ihm "herauszuholen". Der instrumentalistische Zeitgeist betrachtet das menschliche Leben gar nicht als etwas, das auch schon an und für sich genommen besonders wertvoll ist, sondern nur als ein Materiallager, aus dem man erst "etwas machen" soll. Leute, die sich jedoch immer mehr dem modernen Zeitgeist und der kapitalistischen Verwertungs-logik der Produktions- und Konsumgesellschaft unterwerfen, entfremden sich jedoch nicht nur vom Evangelium, son-dern letzten Endes auch von sich selbst. UWD

 


 

Jörg Lauster, Der ewige Protest – Reformation als Prinzip, München: Claudius 2017

 

Welche Zukunft hat Religion überhaupt in der heutigen Gesellschaft? Radikale Entchristlichung auf der einen, entschlossener Fundamentalismus auf der anderen Seite, dazwischen klerikal-hochkirchliche und kuschelreligiöse Rettungsinseln oder überpolitisiertes, moralisch anstrengendes Weltverbesserertum.

 

Protestant zu sein heißt, das Unzähmbare an der Kraft des Heiligen selbst zu verstehen. Reformation ist Prozess und Prinzip, vor allem aber ein dem Christentum selbst innewohnender Antrieb.

 

Jörg Lauster, einer der profiliertesten Vertreter der Liberalen Theologie, plädiert für eine Überwindung der landes-kirchlich und konfessionell erstarrten Gestalt des deutschen Protestantismus und für eine Ökumene, die wesenhaft mehr sein muss als dogmatische Übereinstimmungserzielung.

 


 

Widerstand der Bekennenden Kirche gegen die Diktatur der Nationalsozialisten

 

Die meisten Anhänger von Schleiermachers und Harnacks "Liberaler Theologie" und von Feuerbachs naturalistischer Anthropologisierung der Theologie waren nicht nur staatstreue Mitläufer in der nationalistischen Begeisterung für den Ersten Weltkrieg, sondern wurden auch bald korrupte Mitglieder der von den Nationalsozialisten vereinnahmten "Deutschen Christen" innerhalb der EKD während des "Dritten Reiches".

 

Hitlers Anhänger verehrten Hitler auch als vermeintlichen Heilsbringer aufgrund ihrer unbestimmten religiösen Erfah-rungen von etwas "Unbedingtem". Und Hitler selbst dankte nach jedem mißglückten Attentat der "Vorsehung", die angeblich "den Führer" gerettet hat. Von einer solchen allgemeinen romantischen Frömmigkeit der am ganzen Leib empfundenen "schlechthinnigen Abhängigkeit" von einer "höheren Macht", wie sie die Liberalen Theologen seit Schleiermacher predigten, mussten sich widerständige Christen abgrenzen und geistig unterscheiden!

 

Zum Widerstand der "Bekennenden Kirche" gehörten hingegen Karl Barth und Emil Brunner und Dietrich Bonhoeffer, die sog. Dialektischen Theologen und deutlichsten Kritiker der "Liberalen Theologie". Die weniger krisenfeste Liberale Theologie ist in der Weimarer Republik und in dem sich anschließenden Nationalsozialismus an ihrer eigenen Belang-losigkeit und Unbestimmtheit gescheitert.

 

Zu Emil Brunners Kritik an der Theologie Schleiermachers - siehe vor allem: Emil Brunner, Die Mystik und das Wort (1942).

 

Mehr dazu im Wikipedia-Artikel zu der Barmer Theologischen Erklärung von 1945:

 

https://de.wikipedia.org/wiki/Barmer_Theologische_Erkl%C3%A4rung