Ein Reformator, der weniger leidenschaftlicher und durchsetzungsstarker Politiker als vielmehr engagierter, aber kluger und humanistisch gebildeter Theologe gewesen ist. Luther soll am Ende seines Lebens seine ganzen theologischen Werke als Zweckschriften im Dienst des Kirchenkampfes bezeichnet haben. Das erklärt einige ihrer leidenschaftlichen Übertreibungen und überspitzten Formulierungen, die mehr auf rhetorische Wirkung als auf erkannte Wahrheit und situative Angemessenheit oder biblische Texttreue bedacht waren.
Als wesentlicher Ertrag und als theologische Summe der reformatorischen Theologie soll Luther daher dessen Schrift Loci communes rerum theologicarum von 1521 zur Lektüre und
theologischen Lehre empfohlen haben. Bekannter und vermutlich auch wirksamer wurde jedoch die wesentlich kürzere Schrift Confessio Augustana von 1530, die der kurzen Darstellung
des protestantischen Glaubens in reformatorischer Abgrenzung und kritischer Auseinandersetzung mit den theologischen Lehren, den kirchlichen Riten und den institutionellen Strukturen der
Römisch-Katholischen Kirche diente.
Besonders relevant scheint mir der 18. Artikel Vom freien Willen ´zu sein, weil er Luthers zwiespältige und m.E. seelisch, moralisch und geistig verderbliche "Lehre von Unfreien Willen" durch eine größere begriffliche Differenziertheit stark abgemildert und wesentlich korrigiert hat. UWD
Ist Gott für uns, wer mag gegen uns sein?
Römer 8, 31
Melachthon, Confessio Augustana, Der 18. Artikel: Vom freien Willen
Vom freien Willen wird gelehrt, daß der Mensch weitgehend einen freien Willen hat, äußerlich ehrbar zu leben und zu wählen unter denen Dingen, die die Vernunft begreift. Aber ohne Gnade, Hilfe und Wirkung des heiligen Geistes vermag der Mensch nicht Gott zu gefallen, an Gott herzlich zu glauben und ihm mit Ehrfurcht zu begegnen oder angeborene böse Begierden aus dem Herzen zu vertreiben, denn das geschieht nur durch den heiligen Geist, der durch Gottes Wort gegeben wird. Denn Paulus spricht im 1. Brief an die Korinther, 2: Der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geist Gottes.
Und damit man erkennen möge, daß hierbei keine Neuigkeit gelehrt wird, so sind das die klaren Worte des Augustinus vom freien Willen, hinzu geschrieben aus dem dritten Buch Hypognosticon:
Wir bekennen, daß in allen Menschen ein freier Wille ist, denn sie haben alle jeweils einen natürlich angeborenen Verstand und Vernunft, aber nicht etwa dass sie damit vermögen, mit Gott zu handeln, und Gott von Herzen zu lieben und zu fürchten, sondern allein in den Werken dieses Lebens haben sie Freiheit, Gutes oder Böses zu wählen. Mit “gut” meine ich, alles das, was die Natur vermag, wie z.B. auf dem Acker zu arbeiten oder nicht, zu essen, zu trinken, zu einem Freund zu gehen oder nicht, ein Kleid an- oder auszuziehen, zu bauen, ein Handwerk zu treiben und dergleichen etwas Nützliches und Gutes zu tun.
Alles das geschieht und gibt es aber nicht ohne Gott, sondern alles geschieht nur aus ihm und gibt es nur durch ihn. Dagegen kann der Mensch auch Böses aus eigner Wahl vornehmen, wie z.B. vor einem Götzen niederzuknieen, einen Totschlag zu begehen, etc.
Melanchthon in der Apologie zur Augsburgischen Konfession:
Artikel 18: Vom freien Willen
Den 18. Artikel nehmen die Widersacher an vom freien Willen, obwohl sie etliche Sprüche der Schrift heranziehen, die sich auf die Sache nicht reimen. Auch machen sie ein großes Geschrei davon, daß man zwar den freien Willen nicht solle zu so hoch bewerten wie die Pelagianer, aber ihm auch nicht zu viel wegnehmen wie die Manichäer.
Ja, das ist alles wohl geredet. Was ist aber für ein Unterschied zwischen den Pelagianern und unseren Widersachern,
da sie doch beide lehren, daß die Menschen ohne den Heiligen Geist können Gott lieben, Gottes Gebote halten quoad substantiam actuum, das heißt, dass sie (gute) Werke allein durch natürliche Vernunft tun können, ohne den Heiligen Geist, durch den sie die Gnade Gottes verdienen?
Wie viele, unzählige Irrtümer folgen aus dieser pelagianischen Lehre, die sie gleichwohl in ihren Schulen stark treiben und predigen! Dieselben Irrtümer bekämpft Augustinus in Berufung auf Paulus auf das heftigste, dessen Meinung wir oben im Abschnitt über die Rechtfertigung De iustificatione finden.
Und wir sagen auch, daß die Vernunft weitgehend einen freien Willen hat. Denn in den Dingen, welche mit der Vernunft zu fassen, zu begreifen sind, haben wir einen freien Willen. Es ist weitgehend in uns ein Vermögen, äußerlich ehrbar zu leben, von Gott zu reden, einen äußerlichen Gottesdienst oder heilige Gebärden zu vollziehen, der Obrigkeit und den Eltern zu gehorchen, nicht zu stehlen, nicht zu töten.
Denn nach des Menschen Sündenfall ist die natürliche Vernunft gleichwohl geblieben, sodaß wir Böses und Gutes kennen in den Dingen, die mit den Sinnen und der Vernunft zu begreifen sind, und so ist es auch weitgehend das Vermögen unseres freien Willens, ehrbar oder unehrbar zu leben.
Das nennt die Heilige Schrift die Gerechtigkeit des Gesetzes oder des Fleisches, die die Vernunft weitgehend ohne den Heiligen Geist vermag, obwohl die angeborne böse Begierde so gewaltig ist, daß die Menschen ihr öfter folgen als der Vernunft, und obwohl der Teufel, der, wie Paulus sagt, kräftig in den Gottlosen wirkt, ohne Unterlaß die arme, schwache Natur zu allen Sünden reizt.
Und das ist die Ursache dafür, warum auch nur wenige der natürlichen Vernunft nach ein ehrbares Leben führen, so wie wir sehen, daß auch wenige Philosophen, die sich doch heftig darum bemüht haben, wirklich ein äußerlich ehrbares Leben geführt haben.
Das aber ist falsch und erdichtet, daß diejenigen ohne Sünde sein sollten, die solche (gute) Werke außerhalb der Gnade tun, oder daß solche gute Werke de congruo Vergebung der Sünden und Gnade verdienen sollten. Denn die Herzen, die ohne den Heiligen Geist sind, die sind ohne Gottesfurcht, ohne Glauben, ohne Vertrauen, denn sie glauben nicht, daß Gott sie erhöre, daß er ihre Sünden vergebe, daß er ihnen in Nöten helfe. Darum sind sie gottlos.
Nun kann „ein böser Baum nicht gute Frucht tragen” und „ohne Glauben kann niemand Gott gefallen.“ Darum, ob wir gleich zugeben, daß es unser Vermögen sei, solch äußerlichen Werke zu tun, so sagen wir doch, daß der freie Wille und die Vernunft in geistlichen Sachen nichts vermögen, nämlich wahrhaft an Gott zu glauben und sich gewiß darauf zu verlassen, daß Gott bei uns sei, uns erhöre, uns unsere Sünden vergebe usw.
Denn das sind die rechten, hohen, edelsten, guten Werke der ersten Tafel in den zehn Geboten; die vermag kein Menschenherz ohne das Licht und die Gnade des Heiligen Geistes zu tun, wie Paulus zu den Korinthern sagte: „Der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geist Gottes.“ Das ist, ein Mensch, der nicht erleuchtet ist durch Gottes Geist, vernimmt gar nichts aus natürlicher Vernunft von Gottes Willen oder von göttlichen Sachen.
Und das empfinden die Menschen, wenn sie ihr Herz fragen, wie sie gegen Gottes Willen gesinnt seien, ob sie auch gewiß dafürhalten, daß Gott sie wahrnehme und sie erhöre. Denn solches gewiß zu glauben und also auf einen unsichtbaren Gott sich ganz zu verlassen und, wie Petrus in 1. Brief des Petrus 1,8 sagt, den Christus, den wir nicht sehen, zu lieben und groß zu achten, das fällt auch den Heiligen schwer; wie sollte es dann den Gottlosen leicht fallen?
Dann fangen wir an, recht zu glauben, wenn unsere Herzen zuerst erschreckt werden und dann durch Christus wieder aufgerichtet werden, indem wir durch den Heiligen Geist neugeboren werden, wie oben gesagt. Darum ist es gut, daß man dieses klar unterscheidet, nämlich, daß die Vernunft und der freie Wille vermögen, äußerlich weitgehend ehrbar zu leben; daß aber diejenigen, die neugeboren werden, inwendig ein anderes Herz, einen anderen Sinn und Mut kriegen, das bewirkt allein der Heilige Geist.
Also bleibt weltliche Disziplin nur äußerliche Disziplin; denn Gott will ein ungeschicktes, wildes, freches Wesen und Leben nicht haben, und daher wird doch ein rechter Unterschied gemacht zwischen äußerlichem Weltleben und Frömmigkeit und der Frömmigkeit, die vor Gott gilt, die nicht philosophisch äußerlich ist, sondern inwendig im Herzen.
Und diesen Unterschied haben wir nicht erdichtet, sondern die Heilige Schrift macht das ganz klar. So behandelt es auch Augustinus. Und es wurde neuerdings auch von Guilielmo Parisiensi fleißig geschrieben und gehandelt.
Aber diejenigen, die sich selbst erdichten und erträumen, dass die Menschen Gottes Gesetze ohne den Heiligen Geist zu halten vermöchten, und dass der Heilige Geist uns Gnade geben würde in Ansehung unseres Verdienstes, haben diese nötige Lehre schändlich unterdrückt.
P.S. Beide Originaltexte wurden von mir sprachlich modernisiert. UWD
Philipp Melanchthon
Vertrauter Luthers und führender Reformator nach Luthers Tod
Philipp Melanchthon gilt neben Martin Luther als der wichtigste deutsche Reformator. Er wurde am 16. Februar 1497 als Philipp Schwarzerdt in Bretten geboren. Schon als Kind beeindruckte er mit seiner außergewöhnliche Begabung für alte Sprachen.
So ehrte ihn sein Mentor Johannes Reuchlin 1509, indem er Philipps Familiennamen Schwarzerdt in das griechische Melanchthon übersetzte. Erste Veröffentlichungen umfassten Übersetzungen historischer Texte, Gedichte und eine griechische Grammatik.
Melanchthons Wirken an der Wittenberger Universität
Gerade 21jährig wurde Melanchthon von Friedrich dem Weisen an die noch junge Wittenberger Universität berufen. Bereits in seiner Antrittsvorlesung verlangte er Reformen des scholastischen Bildungssystems und forderte die Studenten auf: „Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!" Als er 1523 Rektor der Wittenberger Universität wurde, begann er die erforderlichen Reformen umzusetzen.
Im Laufe der Jahre wurde er für Luther zu einem engen Vertrauten in der Reformation. Gemeinsam verfassten sie unzählige reformatorische Schriften, Schul- und Gottesdienstordnungen und arbeiteten an der Bibelübersetzung. So begleitete auch Melanchthon die sächsischen Kurfürsten zu den entscheidenden Reichstagen in Speyer (1529) und Augsburg (1530). In Augsburg verfasste er die wichtigste protestantische Bekenntnisschrift, die Confessio Augustana.
Aufstieg zum führenden Reformator
Nach Luthers Tod 1546 fiel Melanchthon die führende Stellung unter den Wittenberger Reformatoren zu. Er wurde für den neuen Kurfürsten Moritz von Sachsen ein wichtiger theologischer Berater und konnte dank dieser Stellung nach dem Ende des Schmalkaldischen Krieges den Bestand der Wittenberger Universität sichern.
Bereits 1520 hatte Philipp Melanchthon auf Vermittlung Luthers die Wittenberger Bürgertochter Katharina Krapp geheiratet. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor: Anna, Georg, Philipp und Magdalena. Trotz guter Angebote anderer Universitäten blieb Melanchthon bis zu seinem Tod Wittenberg treu. Hier starb er am 19. April 1560 im Melanchthonshaus, in dem er seit 1536 mit seiner Familie lebte.
Im Laufe seines Lebens gründete Melanchthon viele Schulen und Universitäten, verfasste unzählige Schriften und stand mit Gelehrten in ganz Europa in Kontakt. Wie kaum ein anderer beeinflusste er das Bildungswesen des 16. Jahrhunderts. Zu Recht ging er als „Praeceptor Germaniae" - als "Lehrer Deutschlands" in die Geschichte ein.
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