Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen,
die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine von dem anderen zu unterscheiden.
Epiktet
Sorge nicht um das, was kommen mag,
weine nicht um das, was vergeht;
aber sorge, dich nicht selbst zu verlieren,
und weine, wenn du dahin treibst im Strome der Zeit,
ohne den Himmel in dir zu tragen.
Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher
Thomas von Aquin, Über den Lehrer, De magistro: Quaestiones disputatae de veritate, quaestio XI
Hamburg: Meiner 1988 / 2018
Der Lehrer ist für Thomas von Aquin (1225-1274) eine Person, die – selbst im Besitz von Erkenntnis – einem anderen zu seiner eigenen oder einer weitergehenden Erkenntnis verhilft, und zwar so, dass der andere selbständig das erkennt, was es zu erkennen gilt. Dieser Ansatz steht quer zu dem, was heute Didaktik genannt und als Didaktik gepriesen wird – und ist gerade darum (man bedenke: es handelt sich um einen Text aus dem Mittelalter!) höchst aktuell: Lehre ist nur dann erfolgreich und sinnvoll, wenn sie den Lernenden dazu motiviert, aus eigenem Interesse lernen zu wollen.
von links nach rechts:
Karl Heinz Haag, Max Horkheimer, Theodor W. Adorno und Alfred Schmidt
Gegen die Verachtung der Wahrheit
Jürgen Kaube - FAZ - 14.04.2021
Er gehörte zum Umkreis der Frankfurter Kritischen Theorie, Adorno widmete ihm seine Hegel-Studien: Zum zehnten Todestag des zu Unrecht unsichtbar gewordenen Philosophen Karl Heinz Haag.
Jürgen Habermas zufolge leben wir in einem nachmetaphysischen Zeitalter. Alles, was behauptet wird, muss durch das Nadelöhr rationaler Überprüfung hindurch. Nach Habermas lässt uns aber gleichwohl die Frage nach dem Glauben,
der nicht ohne Rest durch das Wissen geteilt werden kann, kaum los. Nicht nur verschwindet also die Religion in der Moderne nicht, sie kann auch nur zu hohen gedanklichen Kosten als „Aberglaube“ beschrieben werden. Es steckt sogar mehr in ihr als Daumendrücken. Wenn darum „Wissen“ bedeuten soll: Wissen über natürliche Sachverhalte, und wenn „natürlich“ heißen soll: empirisch ermittelbar, dann liegt das Problem auf der Hand. Wir leben in einem nach-metaphy-sischen Zeitalter, das metaphysische Fragen nicht loswird.
Metaphysik meint dabei seit 2500 Jahren den Versuch, Begriffe für das zu finden, was mehr ist als das Vorfindliche. Man kann aus Widerwillen gegen Spekulation darauf verzichten, doch dadurch sind die metaphysischen Fragen weder be-antwortet noch abgetan. Eine ganz bescheidene solcher Fragen lautet, woher denn die Empiriker und die Metaphysiker ihre Begriffe nehmen: beispielsweise die Begriffe „Empirie“ und „das Vorfindliche“.
Auf den Tag vor zehn Jahren starb der Philosoph Karl Heinz Haag sechsundachtzigjährig. Er gehörte zum Umkreis der Frankfurter Kritischen Theorie, auch wenn das beim Lesen seiner Schriften leicht übersehen oder vergessen werden kann. Denn sein äußerst konzentriertes Werk galt ganz den philosophischen Folgen des mittelalterlichen Nominalismus für die Metaphysik. Treffen unsere Bezeichnungen das Wesen der Dinge, oder sind sie nur Konventionen? Ist „Wesen“ überhaupt ein sinnvoller Begriff? Doch wenn man ihn prinzipiell aufgibt, was sichert dann die Wahrheit von Aussagen über die Natur?
Haag ergründete die Widersprüche
In Auseinandersetzung mit der philosophischen Tradition, die seit Platon so fragte, mit der scholastischen und der modernen Theologie sowie mit den physikalischen Begriffen von Zufall und Gesetz ist Haag in wenigen Schriften den Widersprüchen nachgegangen, in die sich das metaphysische Denken wie seine Kritik verfangen. „Der Fortschritt in
der Philosophie“ von 1982 und „Metaphysik als Forderung rationaler Weltauffassung“ ragen unter ihnen heraus. Nach seinem Tod versammelte der Band „Kritische Philosophie“ 2012 seine frühen Texte.
Zu sagen, Haag sei heute weitgehend vergessen, wäre eine Untertreibung. Er war es damals schon, es gab nicht einmal einen Nachruf auf ihn – zu Unrecht. Haag gehörte zu den ersten Schülern von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, als diese in den fünfziger Jahren aus dem amerikanischen Exil zurückkehrten. Er hatte die Jesuitenschule in Frankfurt-Oberrad absolviert, wurde von Horkheimer über Hegels Logik promoviert und habilitierte sich 1960 mit einer Kritik der Philosophie Martin Heideggers. Theodor W. Adorno widmete ihm seine Hegel-Studien. Die Schuloberhäupter ver-sprachen sich von Haag eine philosophische Grundlegung der Kritischen Theorie.
Horkheimer hatte ihn darüber hinaus als Nachfolger auf dem Lehrstuhl des verstorbenen Adorno im Sinn. Aber daraus wurde nichts. Zeitzeugen meinen, Haag hätte den Ruf ohnehin nicht angenommen. 1971 zog er sich ganz aus der von den Studenten malträtierten Universität zurück und lebte bis zu seinem Tod von einem kleinen Erbe und für sein Ideal der philosophischen Forschung: vierzig Jahre, dreihundert Seiten. Viele Manuskripte, etwa die seiner Vorlesungen, warf er weg, weil sie ihm nicht mehr genügten. Gleichwohl existiert ein Nachlass, um den sich die Stadt Frankfurt und ihre Universität verdient machen könnten.
In Jürgen Habermas’ jüngster Auseinandersetzung mit dem Begriffspaar von Glauben und Wissen, „Auch eine Ge-schichte der Philosophie“, findet sich keine Erwähnung, gar Auseinandersetzung mit Karl Heinz Haag. Eigentlich schade. Er ist einschlägig.