Philosophisches

 

 

Georg Friedrich Wilhelm Hegel

 

Über das Wesen der philosophischen Kritik überhaupt und ihr Verhältnis zum gegenwärtigen Zustand der Philosophie insbesondere

 

 

[171] Die Kritik, in welchem Teil der Kunst oder Wissenschaft sie ausgeübt werde, fordert einen Maßstab, der von dem Beurteilenden ebenso unabhängig als von dem Beurteilten, nicht von der einzelnen Erscheinung noch der Besonderheit des Subjekts, sondern von dem ewigen und unwandelbaren Urbild der Sache selbst hergenommen sei. Wie die Idee schöner Kunst durch die Kunstkritik nicht erst geschaffen oder erfunden, sondern schlechthin vorausgesetzt wird, ebenso ist in der philosophischen Kritik die Idee der Philosophie selbst die Bedingung und Voraussetzung, ohne welche jene in alle Ewigkeit nur Subjektivitäten gegen Subjektivitäten, niemals das Absolute gegen das Bedingte zu setzen hätte.

 

Da die philosophische Kritik sich von der Kunstkritik nicht durch Beurteilung des Vermögens zur Objektivität, das in einem Werke sich ausdrückt, sondern nur durch den Gegenstand oder die Idee selbst unterscheidet, welche diesem zugrunde liegt und welche keine andere als die der Philosophie selbst sein kann, so müßte (da, was das erste betrifft, die philosophische Kritik mit der Kunstkritik gleiche Ansprüche auf allgemeine Gültigkeit hat), wer derselben gleichwohl Objektivität des Urteils absprechen wollte, nicht die Möglichkeit bloß verschiedener Formen der einen und selben [171] Idee, sondern die Möglichkeit wesentlich verschiedener und doch gleich wahrer Philosophien behaupten, – eine Vor-stellung, auf welche, so großen Trost sie enthalten mag, eigentlich keine Rücksicht zu nehmen ist. Daß die Philosophie nur eine ist und nur eine sein kann, beruht darauf, daß die Vernunft nur eine ist; und sowenig es verschiedene Vernunf-ten geben kann, ebensowenig kann sich zwischen die Vernunft und ihr Selbsterkennen eine Wand stellen, durch welche dieses eine wesentliche Verschiedenheit der Erscheinung werden könnte; denn die Vernunft absolut betrachtet und insofern sie Objekt ihrer selbst im Selbsterkennen, also Philosophie wird, ist wieder nur eins und dasselbe und daher durchaus das Gleiche.

 

Da der Grund einer Verschiedenheit in der Philosophie selbst nicht im Wesen derselben liegen kann, welches schlecht-hin eines ist, auch nicht in der Ungleichheit des Vermögens, die Idee derselben objektiv zu gestalten, weil nämlich, philosophisch betrachtet, die Idee selbst alles ist, das Vermögen aber, sie dar zustellen, das zu ihrem Besitz hinzukommt, der Philosophie nur noch eine andere, ihr nicht eigentümliche Seite gibt, so könnte also eine Möglichkeit unendlich vieler und verschiedener Reflexe, deren jeder, seinem Wesen nach verschieden vom anderen gesetzt, gleiches Recht hätte, sich gegen die anderen zu behaupten, nur dadurch herausgebracht werden, daß, indem die Philosophie als ein Erkennen des Absoluten bestimmt wird, dieses, es sei als Gott oder in irgendeiner anderen Rücksicht als Natur, in unbeweglicher und absoluter Entgegensetzung gegen das Erkennen als subjektives gedacht würde.

 

Allein auch bei dieser Ansicht würde die Verschiedenheit sich selbst aufheben und verbessern müssen. Denn indem das Erkennen als etwas Formelles vorgestellt wird, wird es in seinem Verhältnisse zum Gegenstand als durchaus passiv gedacht und an das Subjekt, das dieses Empfangens der Gottheit oder des reinen objektiven Anschauens der Natur fähig sein soll, gefordert werden, daß es überhaupt sich gegen [172] jedes andere Verhältnis zu irgendeiner Beschrän-kung verschließe und aller eigenen Tätigkeit sich enthalte, indem dadurch die Reinheit des Empfangens getrübt würde. Durch diese Passivität des Aufnehmens und die Gleichheit des Objekts würde dasjenige, was als Resultat vorgestellt wird, das Erkennen des Absoluten, und eine daraus hervorgehende Philosophie durchaus wieder nur eine und allent-halben dieselbe sein müssen.

 

Dadurch, daß die Wahrheit der Vernunft sowie die Schönheit nur eine ist, ist Kritik als objektive Beurteilung überhaupt möglich, und es folgt von selbst, daß sie nur für diejenigen einen Sinn habe, in welchen die Idee der einen und selben Philosophie vorhanden ist, ebenso nur solche Werke betreffen kann, in welchen diese Idee als mehr oder weniger deutlich ausgesprochen zu erkennen ist. Das Geschäft der Kritik ist für diejenigen und an denjenigen Werken durchaus verloren, welche jener Idee entbehren sollten. Mit diesem Mangel der Idee kommt die Kritik am meisten in Verlegenheit, denn wenn alle Kritik Subsumtion unter die Idee ist, so hört da, wo diese fehlt, notwendig alle Kritik auf, und diese kann sich kein anderes unmittelbares Verhältnis geben als das der Verwerfung. In der Verwerfung aber bricht sie alle Beziehung desjenigen, worin die Idee der Philosophie mangelt, mit demjenigen, in dessen Dienst sie ist, gänzlich ab. Weil das gegenseitige Anerkennen hiermit aufgehoben wird, erscheinen nur zwei Subjektivitäten gegeneinander; was nichts miteinander gemein hat, tritt eben damit in gleichem Recht auf, und die Kritik hat sich, indem sie das zu Beurteilende für alles andere, nur nicht für Philosophie und, weil es doch nichts sein will als Philosophie, dadurch für gar nichts erklärt, in die Stellung eines Subjektiven versetzt, und ihr Ausspruch erscheint als ein einseitiger Machtspruch, -eine Stellung, welche, da ihr Tun objektiv sein soll, unmittelbar ihrem Wesen widerspricht; ihr Urteil ist eine Appellation an die Idee der Philosophie, die aber, weil sie nicht von dem Gegenpart anerkannt wird, für diesen ein fremder [173] Gerichtshof ist. Gegen dies Verhältnis der Kritik, welche die Unphilosophie von der Philo-sophie abscheidet, auf einer Seite zu stehen und die Unphilosophie auf der entgegengesetzten zu haben, ist unmittelbar keine Rettung. Weil die Unphilosophie sich negativ gegen die Philosophie verhält und also von Philosophie nicht die Rede sein kann, so bleibt nichts übrig, als zu erzählen, wie sich diese negative Seite ausspricht und ihr Nichtssein, welches, insofern es eine Erscheinung hat, Plattheit heißt, bekennt; und da es nicht fehlen kann, daß, was im Anfang nichts ist, im Fortgang nur immer mehr und mehr als Nichts erscheine, so daß es so ziemlich allgemein als solches erkannt werden kann, so versöhnt die Kritik durch diese von der ersten Nullität aus fortgesetzte Konstruktion wieder auch die Unfähigkeit, welche in dem ersten Ausspruch nichts als Eigenmächtigkeit und Willkür sehen konnte.

 

Wo aber die Idee der Philosophie wirklich vorhanden ist, da ist es Geschäft der Kritik, die Art und den Grad, in welchem sie frei und klar hervortritt, sowie den Umfang, in welchem sie sich zu einem wissenschaftlichen System der Philosophie herausgearbeitet hat, deutlich zu machen.

 

Was das letztere betrifft, so muß man es mit Freude und Genuß annehmen, wenn die reine Idee der Philosophie ohne wissenschaftlichen Umfang mit Geist als eine Naivität sich ausdrückt, welche nicht zur Objektivität eines systematischen Bewußtseins gelangt; es ist der Abdruck einer schönen Seele, welche die Trägheit hatte, sich vor dem Sündenfall des Denkens zu bewahren, aber auch des Muts entbehrte, sich in ihn zu stürzen und seine Schuld bis zu ihrer Auflösung durchzuführen, darum aber auch zur Selbstanschauung in einem objektiven Ganzen der Wissenschaft nicht gelangte. Die leere Form solcher Geister aber, die ohne Geist in kurzen Worten Wesen und Hauptsache der Philosophie geben wollen, hat weder wissenschaftliche noch sonst eine interessante Bedeutung.

 

Wenn aber die Idee der Philosophie wissenschaftlicher wird, [174] so ist von der Individualität, welche unbeschadet der Gleichheit der Idee der Philosophie und der rein objektiven Darstellung derselben ihren Charakter ausdrücken wird, die Subjektivität oder Beschränktheit, welche sich in die Darstellung der Idee der Philosophie einmischt, wohl zu unter-scheiden; an den hierdurch getrübten Schein der Philosophie hat sich die Kritik vorzüglich zu wenden und ihn herunter zu reißen.

 

Wenn es sich hier zeigt, daß die Idee der Philosophie wirklich vorschwebt, so kann die Kritik an die Forderung und an das Bedürfnis, das sich ausdrückt, das Objektive, worin das Bedürfnis seine Befriedigung sucht, halten und die Ein-geschränktheit der Gestalt aus ihrer eigenen echten Tendenz nach vollendeter Objektivität widerlegen.

 

Es ist aber hierbei ein gedoppelter Fall möglich. Entweder hat sich das Bewußtsein über die Subjektivität nicht eigentlich entwickelt; die Idee der Philosophie hat sich nicht zur Klarheit freier Anschauung erhoben und bleibt in einem dunkleren Hintergrunde stehen, etwa auch weil Formen, in denen sich viel ausgedrückt findet und die eine große Autorität haben, noch den Durchbruch zur reinen Formlosigkeit oder, was dasselbe ist, zur höchsten Form hindern. Wenn die Kritik das Werk und die Tat nicht als Gestalt der Idee kann gelten lassen, so wird sie doch das Streben nicht verkennen; das eigentlich wissenschaftliche Interesse dabei ist, die Schale aufzureiben, die das innere Aufstreben noch hindert, den Tag zu sehen; es ist wichtig, die Mannigfaltigkeit der Reflexe des Geistes, deren jeder seine Sphäre in der Philosophie haben muß, sowie das Untergeordnete und Mangelhafte derselben zu kennen.

 

Oder es erhellt, daß die Idee der Philosophie deutlicher erkannt worden ist, daß aber die Subjektivität sich der Philo-sophie insoweit, als um sich selbst zu retten nötig wird, zu erwehren bestrebt ist.

 

Hier gilt es nicht darum, die Idee der Philosophie emporzuheben, sondern die Winkelzüge aufzu-decken, welche die [175] Subjektivität, um der Philosophie zu entgehen, anwendet, sowie die Schwäche, für welche eine Beschränktheit ein sicherer Halt ist, teils für sich, teils in Rücksicht auf die Idee der Philosophie, die mit einer Subjektivität vergesellschaftet wird, anschaulich zu machen; denn wahre Energie jener Idee und Subjektivität sind unverträglich.

 

Es gibt aber noch eine Manier, an die sich die Kritik vorzüglich zu heften hat, nämlich diejenige, welche im Besitz der Philosophie zu sein vorgibt, die Formen und Worte, in welchen große philosophische Systeme sich ausdrücken, ge-braucht, viel mitspricht, aber im Grunde ein leerer Wortdunst ohne inneren Gehalt ist. Ein solches Geschwätze ohne die Idee der Philosophie erwirbt sich durch seine Weitläufigkeit und eigene Anmaßung eine Art von Autorität, teils weil es fast unglaublich scheint, daß soviel Schale ohne Kern sein soll, teils weil die Leerheit eine Art von allgemeiner Verständ-lichkeit hat. Da es nichts Ekelhafteres gibt als diese Verwandlung des Ernsts der Philosophie in Plattheit, so hat die Kritik alles aufzubieten, um dies Unglück abzuwehren.

 

Diese verschiedenen Formen finden sich im allgemeinen mehr oder weniger herrschend in dem jetzigen deutschen Philosophieren, worauf dieses kritische Journal gerichtet ist. Dabei haben sie aber die Eigentümlichkeit, daß – seitdem durch Kant und noch mehr durch Fichte die Idee einer Wissenschaft und besonders der Philosophie als Wissenschaft aufgestellt worden und die Mög-lichkeit, durch mancherlei philosophische Gedanken über diesen oder jenen Gegen-stand, etwa in Abhandlungen für Akademien, sich als Philosophen geltend zu machen, vorbei ist und das einzelne Philosophieren allen Kredit verloren hat – jedes philosophische Beginnen sich zu einer Wissen-schaft und einem System erweitert oder wenigstens als absolutes Prinzip der ganzen Philosophie aufsteht und daß dadurch eine solche Menge von Systemen und Prinzipien entsteht, die dem philo-sophierenden Teil des Publikums eine äußere Ähnlichkeit mit jenem Zustande der Philosophie in Griechenland gibt, als jeder [176] vorzüglichere philosophische Kopf die Idee der Philosophie nach seiner Individualität ausarbeitete. Zugleich scheint die philosophische Freiheit, die Erhebung über Autorität und die Selbständigkeit des Denkens unter uns so weit gediehen zu sein, daß es für Schande gehalten würde, sich als Philosophen nach einer schon vorhandenen Philosophie zu nennen, und das Selbstdenken meint sich allein durch Originalität, die ein ganz eigenes und neues System erfindet, ankündigen zu müssen.

 

So notwendig das innere Leben der Philosophie, wenn es sich zur äußeren Gestalt gebiert, ihr von der Form seiner eigentümlichen Organisation mitgibt, sosehr ist das Originelle des Genies verschieden von der Besonderheit, die sich für Originalität hält und ausgibt; denn diese Besonderheit, wenn sie näher ins Auge gefaßt wird, hält sich in Wahrheit innerhalb der allgemeinen Heerstraße der Kultur und kann sich nicht einmal rühmen, aus dieser heraus zur reinen Idee der Philosophie gekommen zu sein; denn wenn sie diese ergriffen hätte, würde sie dieselbe in anderen philosophischen Systemen erkennen und eben damit, wenn sie ihre eigene lebendige Form zwar behalten muß, doch sich nicht den Namen einer eigenen Philosophie beilegen können. Was sie innerhalb jener Heerstraße sich Eigenes erschaffen hat, ist eine besondere Reflexionsform, aufgegriffen von irgendeinem einzelnen und darum untergeordneten Standpunkt, die in einem Zeitalter, das den Verstand so vielseitig ausgebildet, besonders auch ihn so mannigfaltig an der Philosophie verarbeitet hat, wohlfeil zu haben ist. Eine Versammlung solcher origineller Tendenzen und des mannigfaltigen Bestrebens nach eigenen Formen und Systemen bietet mehr das Schauspiel der Qual der Verdammten, die entweder ihrer Beschränktheit ewig verbunden sind oder von einer zu der anderen greifen und alle durchbewundern und eine nach der anderen wegwerfen müssen, als das Schauspiel des freien Aufwachsens der mannigfaltigsten lebendigen Gestalten in den philosophischen Gärten Griechenlands dar. [177]

 

Was die Arbeit betrifft, eine solche Besonderheit zum System zu erweitern und sie als das Ganze darzustellen, so hält diese Arbeit freilich härter, und die Besonderheit müßte an ihr scheitern; denn wie wäre das Beschränkte fähig, sich zu einem Ganzen auszudehnen, ohne eben damit sich selbst zu zersprengen? Schon die Sucht nach einem besonderen Prinzip geht darauf, etwas Eigentümliches und nur sich selbst Genügendes zu besitzen, das sich dem Anspruch an Objektivität des Wissens und an Totalität desselben entzieht. Und doch ist das Ganze mehr oder weniger in objektiver Form, wenigstens als Materialien, als eine Menge des Wissens vorhanden; es ist schwer, ihm Gewalt anzutun und konsequent seinen eigentümlichen Begriff durch dasselbe durchzuführen; zugleich ist es nimmer erlaubt, es beifällig, weil es einmal da ist, ohne Zusammenhang aufzuführen. Am genialischsten sieht es aus, sich darum nicht zu beküm-mern und sein eigentümlichstes Prinzip einmal als das alleinige hinzustellen, um den Zusammenhang mit welchem sich das übrige Wissen selbst bekümmern möge; es scheint eher eine niedrige Arbeit zu sein, dem Grundprinzip seinen wissenschaftlichen objektiven Umfang zu geben. Soll aber dieser Umfang teils nicht fehlen, teils doch die Mühe erspart sein, das Mannigfaltige des Wissens in den Zusammenhang unter sich und mit der Beschränktheit des Prinzips zu bringen, so vereinigt diejenige Manier alle diese Forderungen, welche provisorisch philosophiert, d.h. das Vorhandene nicht aus dem Bedürfnisse eines Systems des Wissens, sondern aus dem Grunde aufführt, weil es scheint, daß es doch auch seinen Gebrauch, den Kopf zu üben, habe, – denn wofür wäre es sonst vorhanden?

 

In dieser Rücksicht hat die kritische Philosophie einen vorzüglich guten Dienst geleistet. Indem nämlich durch sie erwiesen worden ist, um es in ihren Worten zu sagen, daß die Verstandesbegriffe nur ihre Anwendung in der Erfahrung haben, die Vernunft als erkennend sich durch ihre theoreti-schen Ideen nur in Widersprüche verwickelt und dem Wissen [178] überhaupt seine Objekte durch die Sinnlichkeit gegeben werden müssen, so wird dies dahin benutzt, auf die Vernunft in der Wissenschaft Verzicht zu tun und sich dem krassesten Empirismus zu ergeben. Wenn die rohesten, in die Erfahrung hineingetragenen Begriffe, eine durch die grellsten Geburten einer geistlosen Reflexion verunreinigte An-schauung für innere und äußere Erfahrung und für Tatsachen des Bewußtseins ausgegeben und unter diesem Titel alles zusammengerafft wird auf irgendwoher erhaltene Versicherung, daß es im Bewußtsein sich vorfinde, so geschieht dies mit Berufung auf die kritische Philosophie, welche die Erfahrung und Wahrnehmung zur Erkenntnis für notwendig erweise und der Vernunft kein konstitutives, sondern nur ein regulatives Verhältnis zum Wissen erlaube. Außerdem, daß die Unphilosophie und Unwissenschaftlichkeit, wie sie sonst die Philosophie frei verachtete, eine philosophische Form zu ihrer Rechtfertigung angenommen hat, hat sie hierdurch zugleich noch höhere Vorteile erreicht, nämlich den gesunden Menschenverstand und jedes beschränkte Bewußtsein und die höchsten Blüten desselben, nämlich die jeweiligen höchsten moralischen Interessen der Menschheit mit der Philosophie ausgesöhnt.

 

Wenn aber die Subjektivität ohne Rücksicht der Schwierigkeit, welche sie findet, sich als ein System darzustellen, auch darum, weil bereits die kritische Philosophie wenigstens einen großen Umfang endlicher Formen verdächtig oder unbrauchbar gemacht hat, mit einer Einsicht in ihre Beschränktheit und einer Art von bösem Gewissen behaftet ist und sich scheut, sich als absolut hinzustellen, wie mag sie unerachtet des eigenen besseren Wissens und der vorschweben-den Idee der Philosophie erhalten und geltend gemacht werden? – Mit einer als endlich anerkannten Form soll nur fürs erste angefangen werden, sie soll nichts vorstellen als den dem Scheine nach willkür-lichen Anfangspunkt, der sich zwar nicht für sich selbst trägt, aber den man vorderhand, weil sich seine Nützlichkeit schon zeigen werde, gelten, nur [179] provisorisch, problematisch und hypothe-tisch auf Bitte einstweilen ohne weitere Prätention sich gefallen lassen soll; hinten nach werde er sich schon legitimieren; – wenn wir nun von ihm aus zu dem Wahren gelangen, so werde die Dank-barkeit für das Wegweisen jenen willkürlichen Anfangspunkt für ein Notwendiges erkennen und ihn bewährt finden. Allein weil das Wahre keines Gängelbandes bedarf, um an demselben herbeigeführt zu werden, sondern gleich für sich selbst aufzutreten die Kraft in sich tragen muß, und weil das Beschränkte, für was es darin, daß es nicht in sich den Gehalt des Bestehens zu haben, sondern nur etwas Hypothetisches und Problematisches zu sein eingestanden wird, selbst anerkannt ist, denn doch noch am Ende als ein wahres Wahres bewährt werden soll, so erhellt, daß es hauptsächlich um die Rettung der Endlichkeit zu tun war; was hinterher nicht mehr hypothetisch sein soll, kann es auch nicht von Anfang sein, oder was anfangs hypothetisch ist, kann hinterher nicht mehr katego-risch werden, sonst trete es gleich als absolut auf; aber da es dazu, wie billig, zu schüchtern ist, bedarf es eines Umwegs, um es einzuschwärzen.

 

Daß ein solcher endlicher Anfangspunkt für etwas einstweilen Hypothetisches ausgegeben wird, bringt, da er mit dem Scheine, ohne alle Prätention zu sein, auftritt, nur eine Täuschung weiter herein; er trete bescheiden als ein hypothe-tischer oder sogleich als ein gewisser auf, so führt beides zu demselben Resultat, daß das Endliche als das, was es ist, in seiner Trennung erhalten und das Absolute eine Idee, ein Jenseits, d.h. mit einer Endlichkeit behaftet bleibt.

 

Der gewisse Anfangspunkt, der, um gewiß zu sein, im unmittelbaren Bewußtsein aufgegriffen wird, scheint [das], was ihm dadurch, daß er ein endlicher ist, abgeht, durch seine unmittelbare Gewißheit zu ersetzen; und das reine Selbst-bewußtsein, da es, insofern es Anfangspunkt ist, als ein reines in unmittelbarer Entgegensetzung gegen das empirische gesetzt wird, ist ein solcher; um solche endliche Gewißheit[en] kann es an und für sich der Philosophie [180] nicht zu tun sein. Eine Philosophie, die, um an eine Gewißheit sich anzuknüpfen, von dem allgemeingültigsten, jedem Menschen-verstande nahen Satze oder Tätigkeit ausgeht, tut entweder mit dieser Nützlichkeit etwas Überflüssiges, denn sie muß, um Philosophie zu sein, doch sogleich über diese Beschränktheit hinausgehen und sie aufheben; der gemeine Menschenverstand, der damit verführt werden sollte, wird es sehr gut merken, wenn man seine Sphäre verläßt und ihn über sich hinausführen will; oder wenn dieses endliche Gewisse als solches nicht aufgehoben, sondern als ein Fixes bleiben und bestehen soll, so muß es wohl seine Endlichkeit anerkennen und Unendlichkeit fordern, aber das Unend-liche tritt damit eben nur als eine Forderung, als ein Gedachtes auf, nur als eine Idee, welche als notwendige und umfassende, alles beschließende Vernunftidee doch darum noch ein Einseitiges ist, weil dasjenige, das sie denkt (oder sonst irgend das Bestimmte, mit dem angefangen wurde), und sie selbst als getrennt gesetzt werden. Diese Arten von Rettungen des Beschränkten – durch welche das Absolute zur höchsten Idee, nur nicht zugleich zum einzigen Sein erhoben wird, und da von hier an erst die Wissenschaft der Philosophie anfängt, in dem ganzen System derselben der Gegensatz herrschend und absolut bleibt – sind gewissermaßen das, was unsere neuere philosophische Kultur charakterisiert, so daß in diesen Begriff ziemlich alles fällt, was in unseren Tagen für Philosophie gegolten hat. Wenn auch die höchste philosophische Erscheinung der letzten Zeit die fixe Polarität des Innerhalb und Außerhalb, Diesseits und Jenseits nicht so weit überwunden hat, daß nicht eine andere Philosophie, mit der man sich im Wissen dem Absoluten nur nähert, und eine andere, die im Absoluten selbst ist (gesetzt, die letztere werde auch nur unter dem Titel des Glaubens statuiert), als entgegengesetzte zurückblieben, und wenn auf diese Art dem Gegensatze des Dualismus seine höchste Abstraktion gegeben und die Philosophie damit nicht aus der Sphäre unserer Reflexionskultur heraus-geführt worden ist, so ist schon die [181] Form der höchsten Abstraktion des Gegensatzes von der größten Wichtigkeit und von diesem schärfsten Extrem der Übergang zur echten Philosophie um so leichter, weil die Idee des Absoluten, die aufgestellt wird, eigentlich selbst schon den Gegensatz, den die Form einer Idee, eines Sollens, einer unendlichen Forderung mit sich führt, verwirft. Es ist nicht zu übersehen, wie sehr durch die mannigfaltige Bearbeitung, welche der Gegensatz überhaupt, den jede Philosophie überwinden will, dadurch erfahren hat, daß gegen eine Form desselben, in der er in einer Philosophie herrschend war, sich eine folgende Philosophie richtete und sie überwand, wenn sie schon bewußtlos wieder in eine andere Form desselben zurückfiel, das Studium der Philosophie überhaupt gewonnen hat, zugleich aber, in welcher Mannigfaltigkeit der Formen sie sich herumzuwerfen fähig ist.

 

Dagegen hat eine andere herrschende Manier durchaus nur nachteilige Seiten, nämlich diejenige, welche sogleich die philosophischen Ideen, wie sie hervortreten, populär oder eigentlich gemein zu machen bestrebt ist. Die Philosophie ist ihrer Natur nach etwas Esoterisches, für sich weder für den Pöbel gemacht noch einer Zubereitung für den Pöbel fähig; sie ist nur dadurch Philosophie, daß sie dem Verstande und damit noch mehr dem gesunden Menschenverstande, wo-runter man die lokale und temporäre Beschränktheit eines Geschlechts der Menschen versteht, gerade entgegen gesetzt ist; im Verhältnis zu diesem ist an und für sich die Welt der Philosophie eine verkehrte Welt. Wenn Alexander an seinen Lehrer, als er hörte, dieser mache Schriften über seine Philosophie öffentlich bekannt, aus dem Herzen von Asien schrieb, daß er das, was sie zusammen philosophiert hätten, nicht hätte sollen gemein machen, und Aristoteles sich damit verteidigte, daß seine Philosophie herausgegeben und auch nicht herausgegeben sei, so muß die Philosophie zwar die Möglichkeit erkennen, daß das Volk sich zu ihr erhebt, aber sie muß sich nicht zum Volk erniedrigen. In diesen Zeiten der Freiheit und Gleichheit aber, in welchen sich ein so großes [182] Publikum gebildet hat, das nichts von sich ausgeschlossen wissen will, sondern sich zu allem gut oder alles für sich gut genug hält, hat das Schönste und das Beste dem Schicksal nicht entgehen können, daß die Gemeinheit, die sich nicht zu dem, was sie über sich schweben sieht, zu erheben vermag, es dafür so lange behandelt, bis es gemein genug ist, um zur Aneignung fähig zu sein; und das Platt-machen hat sich zu einer Art von anerkannt verdienstlicher Arbeit emporgeschwungen. Es ist keine Seite des besseren Bestrebens des menschlichen Geistes, welche dieses Schicksal nicht erfahren hätte; es braucht eine Idee der Kunst oder der Philosophie sich nur blicken zu lassen, so geht es gleich an ein Zubereiten, bis die Sache für Kanzel, Kompendien und für den Hausbedarf des Reichsanzeigerischen Publikums zurecht gerührt ist. Leibniz hatte durch seine Theodizee diese Mühe für seine Philosophie zum Teil selbst übernommen und seiner Philosophie dadurch nicht, aber seinem Namen großen Eingang verschafft, und jetzt finden sich sogleich genug dienstfertige Leute zu diesem Zweck. Mit einzelnen Begriffen macht sich die Sache von selbst; es ist nichts nötig, als ihren Namen auf das, was man in seinem bürgerlichen Leben längst hat, zu ziehen. Die Aufklärung drückt schon in ihrem Ursprung und an und für sich die Gemeinheit des Verstandes und seine eitle Erhebung über die Vernunft aus, und daher hat es keiner Veränderung ihrer Bedeutung bedurft, um sie beliebt und faßlich zu machen; aber man kann annehmen, daß das Wort »Ideal« nunmehr die allge-meine Bedeutung dessen trägt, was keine Wahrheit in sich hat, oder das Wort »Humanität« desjenigen, was überhaupt platt ist. – Der scheinbar umgekehrte Fall, welcher aber im Grunde mit jenem ganz gleich ist, tritt da ein, wo schon der Stoff populär ist und Popularitäten, die mit keinem Schritt die Sphäre des gemeinen Begreifens überschreiten, durch philosophische und methodische Zubereitung zum äußeren Ansehen der Philosophie gebracht werden sollen. So wie im ersten Fall die Voraussetzung gemacht wird, daß, was philosophisch [183] ist, doch zugleich populär sein, so im zweiten, daß, was seiner Beschaffenheit nach populär ist, auf irgendeine Weise philosophisch werden könne, – also in beiden Kompatibilität der Flachheit mit der Philosophie.

 

Man kann diese mancherlei Bestrebungen überhaupt auf den in allen Dingen sich regenden Geist der Unruhe und des unsteten Wesens beziehen, welcher unsere Zeit auszeichnet und der den deutschen Geist nach langen Jahrhunderten der härtesten Zäheit, der es die fürchterlichsten Krämpfe kostet, eine alte Form abzustreifen, endlich so weit gebracht hat, auch philosophische Systeme in den Begriff des immer Wechselnden und der Neuigkeiten zu ziehen; doch müßte man diese Sucht des Wechselnden und Neuen nicht mit der Indifferenz des Spiels, welches in seinem größten Leichtsinn zugleich der erhabenste und der einzig wahre Ernst ist, selbst verwechseln; denn Jenes unruhige Treiben geht mit der größten Ernsthaftigkeit der Beschränktheit zu Werke; aber doch hat das Schicksal ihr notwendig das dunkle Gefühl eines Mißtrauens und eine geheime Verzweiflung gegeben, die zunächst dadurch sichtbar wird, daß, weil die ernsthafte Beschränktheit ohne lebendigen Ernst ist, sie im ganzen nicht viel an ihre Sachen setzen kann und darum auch keine große oder höchst[ens] ephemerische Wirkungen tun kann.

 

Sonst, wenn man will, kann man jene Unruhe auch als eine Gärung betrachten, durch welche der Geist aus der Ver-wesung der verstorbenen Bildung zu einem neuen Leben sich empor ringt und unter der Asche hervor einer verjüngten Gestalt entgegen quillt. Gegen die Cartesische Philosophie nämlich, welche den allgemein um sich greifenden Dualis-mus in der Kultur der neueren Geschichte unserer nordwestlichen Welt – einen Dualismus, von welchem als dem Untergange alles alten Lebens die stillere Umänderung des öffentlichen Lebens der Menschen sowie die lauteren politischen und religiösen Revolutionen überhaupt nur verschiedenfarbige Außenseiten sind – in philosophischer Form ausgesprochen hat, mußte, wie gegen die allgemeine Kultur, die sie ausdrückt, [184] jede Seite der lebendigen Natur, so auch die Philosophie Rettungsmittel suchen; was von der Philosophie in dieser Rücksicht getan worden ist, ist, wo es rein und offen war, mit Wut behandelt worden; wo es verdeckter und verwirrter geschah, hat sich der Verstand dessel-ben um so leichter bemächtigt und es in das vorige dualistische Wesen umgeschaffen. Auf diesen Tod haben sich alle Wissenschaften gegründet, und was noch wissenschaftlich, also wenigstens subjektiv lebendig an ihnen war, hat die Zeit vollends getötet, so daß, wenn es nicht unmittelbar der Geist der Philosophie selbst wäre, der, in dieses weite Meer untergetaucht und zusammen geengt, die Kraft seiner wachsenden Schwingen um so stärker fühlt, auch die Langeweile der Wissenschaf-ten – dieser Gebäude eines von der Vernunft verlassenen Verstandes, der, was das ärgste ist, mit dem geborgten Namen entweder einer aufklärenden oder der moralischen Vernunft am Ende auch die Theologie ruiniert hat – die ganze flache Expansion unerträglich machen und wenigstens eine Sehnsucht des Reichtums nach einem Tropfen Feuers, nach einer Konzentration lebendigen Anschauens und, nachdem das Tote lange genug erkannt worden ist, nach einer Erkenntnis des Lebendigen, die allein durch Vernunft möglich ist, erregen müßte.

 

Es muß notwendig an die Möglichkeit einer solchen wirklichen Erkenntnis, nicht bloß an jenes negative Durchwandern oder perennierende Aufschießen neuer Formen geglaubt werden, wenn eine wahre Wirkung von einer Kritik derselben, nämlich nicht ein bloß negatives Zerschlagen dieser Beschränktheiten, sondern von ihr eine Wegbereitung für den Einzug wahrer Philosophie erwartet werden soll; sonst, in wiefern sie nur die erste Wirkung sollte haben können, ist es wenigstens immer billig, daß Beschränktheiten auch die Prätention und der Genuß ihres ephemerischen Daseins ver-bittert und abgekürzt wird, und wer mag, kann in der Kritik auch nichts weiter als das ewig sich wälzende Rad, das jeden Augenblick eine Gestalt, welche die Welle oben hinauf [185] trug, hinunterzieht, erblicken, – es sei, daß er, auf der breiten Base des gesunden Menschenverstandes ruhend, seiner selbst sicher, nur an diesem objektiven Schauspiel des Erscheinens und Verschwindens sich weidet und aus ihm selbst sich noch mehr Trost und Befestigung für seine Ent-fernung von der Philosophie holt, indem er a priori durch Induktion die Philosophie, an welcher das Beschränkte schei-tert, auch für eine Beschränktheit ansieht, – oder daß er mit inniger und neugieriger Teilnahme das Kommen und Gehen der aufschießenden Formen bewundernd und mit vieler Bemühung aufgreift, dann mit klugen Augen ihrem Verschwinden zusieht und schwindelnd sich forttreiben läßt.

 

Wenn die Kritik selbst einen einseitigen Gesichtspunkt gegen andere ebenso einseitige geltend machen will, so ist sie Polemik und Parteisache; aber auch die wahre Philosophie kann sich gegenüber von der Unphilosophie des äußeren polemischen Ansehens um so weniger erwehren, da ihr, weil sie nichts Positives mit dieser gemein hat und darüber in einer Kritik sich mit ihr nicht ei-lassen kann, nur jenes negative Kritisieren und das Konstruieren der notwendig einzel-nen Erscheinung der Unphilosophie und, weil diese keine Regel hat und in jedem Individuum auch wieder anders sich gestaltet, auch des Individuums, in dem sie sich aufgetan hat, übrigbleibt. – Weil aber, wenn eine Menge eine andere Menge sich gegenüberstehen hat, jede von beiden eine Partei heißt, aber wie die eine aufhört, etwas zu scheinen, auch die andere aufhört, Partei zu sein, so muß einesteils jede Seite es unerträglich finden, nur als eine Partei zu erscheinen und den augenblicklichen, von selbst verschwindenden Schein, den sie sich im Streit gibt, nicht vermeiden, sondern sich in Kampf, der zugleich die werdende Manifestation des Nichts der anderen Menge ist, einlassen. Andernteils, wenn eine Menge sich gegen die Gefahr des Kampfs und der Manifestation ihres inneren Nichts damit retten wollte, daß sie die andere nur für eine Partei erklärte, so hätte sie diese eben damit für etwas anerkannt und sich [186] selbst diejenige Allgemeingültigkeit abgesprochen, für welche das, was wirkliche Partei ist, nicht Partei, sondern vielmehr gar nichts sein muß, und damit zugleich sich selbst als Partei, d.h. als Nichts für die wahre Philosophie, bekannt. [187]

 

Erstdruck in: Kritisches Journal der Philosophie, herausgegeben von Friedrich Wilhelm Joseph Schelling und Georg Wilhelm Friedrich Hegel, 1. Band, 1. Stück, Tübingen (Cotta) 1802. Der Text wurde von Hegel unter Mitwirkung Schellings verfaßt.