Kontroverse: Kant versus Brentano

 

Brentano und Kant. Ein Beitrag zur Geschichte des platonischen Aristotelismus

 

H. Fels, Sechtem, Philosophisches Jahrbuch 1943

 

Daß die Geschichte der Philosophie die Geschichte der menschlichen Irrtümer sei (1) ist ein unberechtigter Pessimis-mus. Daß die Geschichte der Philosophie die Geschichte der Höhen­wanderungen des Menschengeistes sei, ist unbe-rechtigter Optimis­mus. Wozu treiben wir denn Philosophiegeschichte? Jedenfalls doch nur um der Wahrheit willen.

Und die Wahrheit liegt hier, und sie liegt dort, und jeder ernste Denker hat seinen Teil dazu beigetragen, die Wahrheit

zu ergründen. So wird also die Ge­schichte der Philosophie zur Geschichte der Wahrheitsergrün­dung.

 

Nun haben aber auch alle großen Denker sich ge­mäß ihrer Geistes- und Seelenhaltung um die Erforschung der Wahr-heit bemüht, denn „was für eine Philosophie man wähle, hängt davon ab, was für ein Mensch man ist; denn ein philosophi-sches System ist nicht ein toter Hausrat, sondern es ist beseelt durch die Seele des Menschen, der es hat“. (Fichte)

 

Und so wird also die Geschichte der Philosophie zur Geschichte der philosophischen Systeme. Das System ist bestimmt durch die Methode. Es ist nun die Frage: Welche Methode gibt uns die meisten Wahrheitserkenntnisse? Haben wir diese Methode ge­funden, dann ist es selbstverständlich, daß wir sie für uns als die einzig berechtigte Methode anerkennen und auch versuchen, sie zur allgemeinen Anerkennung zu führen.

 

Durch diese Ten­denz ist der Streit der Meinungen unter den Philosophen un­vermeidlich, weshalb sich auch unsere Gegenwartsphilosophie den nicht unberechtigten Vorwurf der Uneinigkeit und Unklar­heit gefallen lassen muß. Auch das Mißtrauen, mit dem die Laien der Philosophie entgegen kommen, hat hier seinen Grund (2), doch braucht uns heute diese Tatsache nicht in dem Maße zu entmutigen wie zur Zeit Brentanos (3), in der Kritizismus, Idealis­mus, Psychologismus und Materialismus sich gegenseitig scharf befehdeten.

 

Wer heute in den breiten Strom der Gegenwartsphilosophie hineinschaut, erkennt bald, daß heute eigentlich nur zwei große Richtungen philosophischen Denkens einander gegenüber stehen: das ist die Philosophie, die gekennzeichnet ist durch die Namen Plato, Aristoteles, Augustin, Thomas, Leibniz, Bolzano, Baader, Trendelenburg, Brentano, Akos von Pauler (4) und die Philosophie, die die Namen Kant, Fichte, Schelling, Hegel, Hus­serl, Scheler, Heidegger aufweist. Diesen beiden Grundrichtun­gen gegenwärtigen Philosophierens ordnen sich die anderen mehr peripherischen Größen mehr oder weniger willig unter.

 

Die erste Richtung möchten wir nach ihren Begründern den pla­tonischen Aristotelismus — denn es geht heute um eine Synthese von Plato und Aristoteles — und die zweite Richtung können wir — weil ihr Objektivismus mehr logischer als erkenntnistheoretischer Natur ist — den Idealismus nennen. Damit haben wir denn zugleich auch schon den Unter-schied der beiden Hauptrich­tungen angegeben. Der Objektivismus des platonischen Aristo­teles intendiert das reale, wirkliche Sein; der Objektivismus des Idealismus ist der Objektivismus des „Logischen“ , er intendiert das ideelle Objekt.

 

Es ist nun diese Gegenüberstellung nicht so zu verstehen, als ob die beiden Richtungen sauber gegeneinander und voneinander getrennt wären, vielmehr besteht ein ständiges, lebhaftes Hin und Her zwischen ihnen, so daß im platoni-schen Aristotelismus, der sich seines noch nicht ganz geklärten Dran­ges wohl bewußt, um eine Synthese von Denken und Intuition bemüht, viele idealistische Momente stecken und — umgekehrt.

 

Beide Methoden wollen zunächst Klarheit über sich selbst: der Idealismus dadurch, daß er sich auf seine Methode be-sinnt, der platonische Aristotelismus durch den Hinweis auf seine große Tradition, die in Jahrtausende altem Denken die meisten Wahrheitserkenntnisse geliefert hat. Daß diese Klärungs­arbeit zunächst immer mehr die beiden Richtungen vonein­ander trennt und schließlich zu einer gegenseitigen Ablehnung (5) führt, ist notwendig, um sich dann aber wieder einander zu nähern und eine friedliche Synthese einzugehen. Als Gesamtheit lehnt der platonische Aristotelismus den Idealismus heute noch nicht ab, wohl aber ist die gegenwärtige Phase der Entwicklung charakterisiert durch die partielle und auch totale Ablehnung, in der sich einzelne Vertreter der beiden Richtungen gegenüberstehen. Ein typisches Bei-spiel für diese Tatsache ist das Verhältnis zwischen Brentano und Kant.

 

Brentano lehnt Kant und seine Nachfolger (einschließlich Husserl) grundsätzlich und radikal ab. Warum Brentano ein

so energischer Gegner Kants war, soll hier gezeigt werden. (6) Zugleich soll aber auch durch die Darstellung des Verhält-nisses der beiden Denker die Erkenntnis gewonnen werden, daß wir in der Philosophie noch mehr Historiker werden müssen und weiterhin, daß der plato­nische Aristotelismus die Methode ist, die zur allgemeinen Aner­kennung geführt werden muß. Denn, daß wir Kant (und mit ihm seine Nachfolger) überwinden müssen, ist eine Forderung, die selbst von den meist Kantianern praktisch anerkannt wird; daß wir aber Kant noch lange nicht überwunden haben, ist eine Tat-sache, der wohl kaum widersprochen wird. (7)

 

Franz Brentano faßte seine Stellung gegen Kant program­matisch zusammen in seinen metaphysischen Vorlesungen, die er in den Jahren 1868 - 1891 an den Universitäten Würzburg und Wien gehalten hat (8). Hier heißt es:

 

„Was muß es Ihnen nun zunächst für einen Eindruck machen, wenn ich Ihnen sage, was andere, die es bereits ebenso gut einsehen, gewöhnlich zu sagen sich scheuen: daß Kant der große Reformator nicht war; daß er nicht eine strenge und wahrhaft fruchtbare Methode, son­dern eine Methode der Willkür in die Philosophie eingeführt hat, welche ihn und andere zu den unberechtigtsten Konstruktionen verleitete; daß er in der Psychologie ein sehr unvollkommener Beobachter war; daß er in der Ethik mit seinem imaginären kategorischen Imperativ die Eingangspforte selbst verfehlte; daß er die Logik, ihren Zweck verkennend, zur sogenannten formalen Logik verkümmern und in so rudimentärer Gestalt für ihre wesentlichsten Funktionen unbrauchbar werden ließ, und daß er in der Kritik der reinen Vernunft selbst ein Gebäude aufgeführt hat, das so wenig festgefügt ist, daß die Voraussetzung, auf der das Ganze ruht, selbst eine Illusion ist? An Widersprüchen und Un­klarheiten im einzelnen ist das berühmte Werk auch nicht arm." (9).

 

Durch Klarheit war Kant überhaupt nicht ausgezeichnet; darin war ihm Hume entschieden überlegen. Wenn kein eben-so klarer, war Kant aber doch ein ebenso mächtiger, ja ein mächtigerer Geist als Hume. Er hat seine ganze Zeit, ja sein ganzes Jahr­hundert mit sich fortgerissen und so Epoche gemacht wie kaum ein anderer, womit freilich nicht gesagt ist, daß die von ihm ein­geleitete Epoche in der Philosophie eine solche wahren Fortschrit­tes gewesen sei.“ (S. 82 f.)

 

Nach einem Wort Lewes ist Kant für Brentano mehr der Schriftsteller der Macht als der Schriftsteller der Wahrheit. Brentano geht sogar so weit, zu behaupten:

 

Kant gehört gewiß zu den mächtigsten Geistern, und sein Name wird in der Geschichte unserer Wissenschaft allezeit genannt werden, wenn auch sein Werk nicht ewig bestehen wird und in gewissem Sinne für uns, die wir erkannt haben,

daß alles auf Illusionen ruht, und nichts ein logisch festes Gefüge hat, schon heute nicht mehr besteht“. (S. 121.)

 

Und noch deutlicher spricht Brentanos Ablehnung Kants aus den Worten, daß Brentano „jedem, den das längere Ver-weilen bei kritischen Beobachtungen nicht abschreckt, anschaulich machen will, wie weit Kant davon entfernt ist, zu den klaren Köpfen gerechnet werden zu dürfen“ (10). Über den Kritizismus Kants, von dem viele meinen, daß er die Philo-sophie erst zu einer wissenschaftlichen gemacht habe, urteilt Brentano, daß der Kritizismus „an die Stelle der wissen-schaftlichen Philo­sophie oder eines Strebens nach ihr eine Philosophie der Vor­urteile setzt“ (11)

 

Um seine ablehnende Haltung der Kantischen Philosophie zu begründen, erinnerte Brentano auch einmal an ein Wort Herbarts über Kant. Herbart hat einmal gesagt, Kant habe wohl einen Funken schlagen, an dem man ein Licht hätte anzünden können, aber sein Erbe sei „in die Hände eines tau­melnden Geschlechtes“ gefallen. Aus dieser Ansicht Her-barts über Kant und seine Nachfolger schließt Brentano, daß „sofort Kant alles außer Rand und Band geriet“. Und eben das sei nicht möglich gewesen, wenn Kant „wirklich ein Entdecker richtiger Methoden und Prinzipien gewesen“ wäre

(12). Und stellen wir Kant hinein in die Philosophie vor ihm und nach ihm, dann kommt Brentano zu dem Urteil, daß die Philosophie Kants „eine als Reaktion gegen die Skepsis einsetzende Surrogatphilosophie“ sei.

 

Wo immer also Brentano Kant erwähnt, tut er es, um ihn abzulehnen, und zwar grundsätzlich abzulehnen. Wie Bolzano (13) so lehnt Brentano nicht nur die verfehlte und unheilvolle Methode und „den ganzen Rattenschwanz von konfuses-ten Widersprüchen, in welche die Kantische Lehre verwickelt“ ist (14), ab, sondern auch im einzelnen wird die Lehre Kants dauernd als falsch und ab­wegig dargestellt; dabei aber ist Brentano stets bemüht, nachdem er die Unhaltbarkeit der betreffenden Lehre Kants sachlich er­wiesen hat, das Richtige an die Stelle des Verurteilten zu setzen.

 

In der Logik sind es besonders die synthetischen Urteile und Erkenntnisse a priori, die Brentano als unmöglich nach-weist, Kant rede hier „von Erkenntnissen, wo Urteile vorliegen“ (15) ; in der Metaphysik greift Brentano besonders die Kritik Kants an den Gottesbeweisen an und stellt fest, daß „das verwerfende Ur­teil, das Kant über den physikotheologi-schen Beweis gefällt hat, durchaus unbegründet ist“ , jedoch hebt er anerkennend hervor, daß Kant sehr wohl erkannt habe, „daß das Böse und Üble in der Welt nichts gegen die Annahme eines göttlichen Urhebers und Beherrschers der Welt beweist“. (16)

 

In der Erkenntnistheorie ist es Kants vermeintliche kopernikanische Tat, die Brentano als Fiktion abtut; in der Psycho-logie hebt Brentano hervor den „Mangel an Begabung für feinere psychologische Apperzeptio­nen, was sich überall bei Kant verrät und sowohl seine vielfachen Begriffsverwechselungen verschuldet hat, als überhaupt für seine Philosophie verhängnisvoll geworden ist“ (17). Auch bei einzelnen Untersuchungen, wie z. B. Kants Lehre über Anschauung und Be-griff, ist Kant „in mehrfache Irrtümer verfallen“ (18); in der Ethik fordert der kategorische Imperativ die Kritik Brentanos heraus (19); von der Geschichte der Philosophie habe Kant kaum eine Ahnung.

 

Dieser Beispiele für die Gegnerschaft Brentanos gegen Kant ließen sich in den einzelnen Disziplinen noch eine große Fülle angeben ,,wodurch jedoch nicht mehr erreicht würde, als wir durch diese charakterisierenden Beispiele erreicht haben. Wir haben gesehen, daß Brentano Kant auf der ganzen Linie ablehnt aus der Erkenntnis heraus, daß die Kanti-sche Philoso­phie unter Einschluß ihrer Voraussetzung, „auf der das Ganze ruht, selbst eine Illusion ist“. Den Nachweis für diese Tatsache hat Brentano nach seiner Meinung, die im allgemeinen das Richtige getroffen hat, in seinen Werken erbracht, und zwar von seinem Standpunkt des Aristotelismus. Seine klaren, sachlichen und gründlichen Widerlegungen sind im wesentlichen so über­zeugend, daß man ihre Richtigkeit fast mit Händen greifen kann. Es genügt schon das Studium seines großen Werkes Vom Da­sein Gottes, um diese Tatsache einzusehen. Brentano hat also Kant überwunden, was er ja auch selbst betont, indem er sagt, daß Kants Werk nicht ewig bestehen werden und in gewissem Sinne für uns, die wir erkannt haben, daß alles auf Illusionen ruht, und nichts ein logisch festes Gefüge hat, schon heute nicht mehr besteht“.

 

Notwendig muß nun auch Brentano den Kantianismus, in welcher Form er auch immer aufgetreten ist, ablehnen; er hat ihn auch de facto abgelehnt. Über den Idealismus urteilt er, nachdem er an ein Wort Grillparzers über seine Begegnung mit Hegel erinnert hat (20), in seinem Vortrag „Über Schellings Philo­sophie“ , den er am 17. Dezember 1889 in der Wie-ner Philoso­phischen Gesellschaft gehalten hat: „Das also ist das klare Ergebnis, zu welchem wir gelangen. Der Genialität, dem Fleiße jener berühmten Männer, welche man vormals Philosophen nannte, mögen wir jedes Lob spenden. Als Philosophen oder überhaupt als wissenschaftliche Forscher werden wir sie nicht ehren können. Ihre Werke, als philo-sophisch beurteilt, sind schlechterdings und rückhaltlos und von Anfang bis zu Ende als völlig wertlos zu verdammen. (21)

 

Und wie und warum Brentano die „Philosophie“ seines Schülers Husserl verwarf, erzählt uns Husserl, der vielleicht nicht sehr erfreut ist darüber, daß seine Phänomenologie als eine „Philosophie“ erkannt wird, die auch unter dem dominie-renden Einfluß Kants entstanden ist, in den Erinnerungen an seinen Lehrer. (22) Oskar Kraus, jedenfalls einer der besten Kenner Brentanoschen Denkens, hat dem Verhältnis Brentanos zu Husserl eine tiefgründende Darstellung gewidmet, die keinen Zweifel dar­über aufkommen läßt, daß Brentano von der Phänomenologie Husserls nichts wissen wollte, und daß Husserl, wenn er .sich für seine Lehre auf Brentano beruft, diesen völlig mißversteht. (23)

 

Wenn nun die Forderung zu Recht besteht, daß wir Kant und seine Nachfolger überwinden müssen, dann ist mit dieser Forde­rung zugleich auch die Forderung nach einem eifrigen Studium der Werke Brentanos ausgesprochen; denn wer

so viel nimmt, wie Brentano durch seine Kritik an Kant dem deutschen Philo­sophieren genommen hat, der muß auch etwas bieten, das fähig ist, die Lücke auszufüllen, die durch die Überwindung Kants entstanden ist. Brentano hat in seinem Aristotelismus der Philosophie eine Gabe geboten, die — kein Ersatz für Kants Philosophie — berufen zu sein scheint, dem gegenwärtigen Philo­sophieren Weg und Ziel zu weisen.

 

Der Aristotelismus, im engeren Sinne die Philosophie des Aristoteles, reicht mit seinen Wurzeln tief hinein in die Philo­sophie Platos. Aber nicht diese Tatsache soll durch den Aus­druck „platonischer Aristotelismus“ gekennzeichnet werden; vielmehr verstehen wir unter dem platonischen Aristotelismus eine Methode, die zur Bildung eines Systems führen soll. Wir sind bereits auf dem Wege zu diesem System; denn nicht zuletzt unter dem Einfluß Schelers (24) sind wir zu Plato zurückgekehrt und auf dem Wege zu Aristoteles begriffen.

 

Der platonische Aristotelismus will eine Synthese der beiden Hauptrichtungen in der Gegenwartsphilosophie, nicht

eine Scheidung zwischen beiden, wie Brentano sie gewollt hat. Und das ist die große Synthese der Gegenwart: Die Anschauung, wie sie durch die Phänomenologie wieder zu Ehren gekommen ist, soll mit dem diskursiven, streng logischen Denken verbunden werden. Die Anschauung (Intuition) ist in Platos Philosophie zum ersten Male in der Geschichte der Philosophie — man denke an die Ideenlehre — klar ausgeprägt worden, wohingegen das diskur­sive, streng logische Denken die Philosophie des Aristoteles aus­zeichnet.

 

Wir erkennen den Wert der einen wie der anderen Methode, und wir sehen in der Verbindung dieser beiden Me­thoden den Weg zur Philosophie der Zukunft. Nicht Trennung, Synthese tut uns not; darum stimmen wir auch Brentanos Kritik an Kant und seinen Nachfolgern nicht in allem zu. Es ist doch wohl nicht so, daß nun alles bei diesen Denkern „auf Illu-sion“ beruht. Aber Brentano mußte ja schon so energisch die Fehler in der Philosophie Kants herausstellen, damit die alles über­ragende Autorität des großen Königsbergers Denkers nur erst einmal ins Wanken geriet.

 

Es liegt hier der Tatbestand ähnlich wie bei Leibniz, der sich um die Synthese der mittelalterlichen und neuzeitlichen Philosophie bemühte, weshalb sich sogar Spinoza und Locke es gefallen lassen mußten, daß ihre unver­söhnlichen Gedanken zusammengeschlossen wurden (25). Wir gehen jedoch nicht so weit wie Leibniz; vielmehr ist es wohl jedem klar, der die Entwicklung des philosophischen Denkens seit Plato kennt, daß bis zur „Kritik der reinen Vernunft“ das Streben nach einer Synthese von Plato und Aristoteles tatsäch­lich immer die Gemüter bewegt hat, bald weniger (Bonaventura), bald mehr (Aristoteles selbst, Augustin, Thomas, Leibniz, Bolzano, Baader bis in die Gegenwart hinein) (26). Und eben in diesem Streben nach der Synthese ist es auch begründet, daß die Philosophie eine organische Ent-wicklung durchmachte, die von Kant zwar nicht unterbrochen, aber doch stark gehemmt wurde. Denn der Aufbau des platonischen Aristotelismus als System wäre fraglos schon weiter gediehen, wenn die Philosophie des 19. Jahrhunderts nicht unter der Aegide Kants und seiner Nachfolger gestanden, sondern zutiefst beeinflußt worden wäre von den Ge-danken eines Baader, Bolzano, Brentano.

 

Der pla­tonische Aristotelismus ist also nichts Neues. Trotzdem glauben wir nicht, in dieser Studie das letzte Wort über das Problem des platonischen Aristotelismus gesagt zu haben, vielmehr sollten nur historische Tatsachen aufgewiesen und ein Programm auf gestellt werden (27). Wohl aber sind wir überzeugt, daß der platonische Aristotelismus das ist, was Husserl von seiner Phänomenologie behauptet, nämlich: die Philosophie, in der die geheime Sehnsucht der ganzen neuzeitlichèn Philosophie erfüllt wird. (28)

 

Endnoten

 

1 Geyser, J., Das Prinzip vom zureichenden Grunde. Regensburg 1930. S. 18.

 

2 Hertling, G. v., Reden, Ansprachen und Vorträge, gesammelt von A. Dyroff. Köln 1929. S. 223.

 

3 Brentano, F., Über die Zukunft der Philosophie. Herausgegeben von O. Kraus. Leipzig 1929, F. Meiner. S. 85 ff

 

4 Fels, H., Bernard Bolzano, Leipzig 1929. Einleitung

 

5 Brentano, F., Über die Zukunft der Philosophie. Hrsg; von O. Kraus. Leipzig 1929, F. Meiner. S. 85 ff.a

 

6 Brentanos Stellung zum Idealismus überhaupt habe ich eingehender dargestellt in meinem Buche Bernard Bolzano und in meinen Abhandlungen Bolzano und Brentano im Regensburger Korrespondenzblatt 1927/28 und Der Streit um die Phänomenologie in der akademischen Monatsschrift Unitas 1928

 

7 Scheler, M., Vom Ewigen int Menschen. Leipzig 1921.

 

8 Brentano, F., Vom Dasein Gottes. Hrsg. von Alfred Kastil. Leipzig 1929.

 

9 Vaihinger, H., Die Philosophie des Als-Ob. Leipzig 1920.

 

10 Brentano, F., Versuch über die Erkenntnis. Hrsg. von Alfred Kastil. Leipzig 1925, S. 48.

 

11 Brentano, Ebenda S. 5.

 

12 Brentano, F., Vom Dasein Gottes.  S. 84

 

13 Fels, H., Bernard Bolzano. S. 19 ff.

 

14 Brentano, Versuch über die Erkenntnis. S. 47.

 

15 Ebenda S. 7.

 

16 Brentano, F., Die vier Phasen der Philosophie. Hrsg. von O. Kraus. Leipzig 1926, S. 83 ff.

 

17 Brentano, F., Versuch über die Erkenntnis. S. 29.

 

18 Brentano, F., Psychologie vom empirischen Standpunkt. Hrsg. von O. Kraus. Leipzig 1925, II, S. 204

 

19 Brentano, F., Vom Dasein Gottes S. 83 und Ursprung der sitt­lichen Erkenntnis. Hrsg. von O. Kraus. Leipzig 1921.

 

20 Brentano, F., Über die Zukunft der Philosophie. Hrsg. von O. Kraus. Leipzig 1929. Nach einer Mitteilung Brentanos (159) be­richtete Grillparzer über seine Begegnung mit Hegel, die von diesem in der schmeichelhaftesten Weise provoziert worden war. „Ich fand Hegel so ange­nehm, verständig und rekonziliant, als ich in der Folge sein System abstrus und absprechend gefunden habe. Lieber als ein solches (Hegelsches) System glaube ich an alle hundert Mirakel“.

 

21 Brentano, F., Über die Zukunft der Philosophie, S. 127.

 

22 Kraus, O., Franz Brentano. Zur Kenntnis seines Lebens und seiner Lehre. Mit Beiträgen von C. Stumpf und E. Husserl. München 1919. S. 153 ff.

 

23 Kraus, O., Einleitung in Brentanos Psychologie vom empirischenStandpunkt.

 

24 Scheler, M., Vom Ewigen im Menschen.

 

25 Fels, H., a. a. O. S. 17.

 

26 Hertling, G. v., Augustin. Mainz 1911. Stefan Gilson, Der hlg. Bonaventura. Hellerau 1929. Rolfes, E., Die Philosophie des Aristoteles. Leipzig 1923. Jaeger, W., Aristoteles. Grundlegung einer Geschichte seiner Entwicklung. Berlin 1923. Sertillanges, A. D., Der hlg. Thomas von Aquin. Hellerau 1928. Wundt, W., Leibniz. Leipzig 1917. Kiefl, F. X., Leibniz, Mainz 1913. Fels, H., Bernard Bolzano. Leipzig 1929. Sautor, Joh., Baader und Kant. Jena 1928. Pauler, A. v., Grundlagen der Philosophie. Berlin 1925.

 

27 In meiner demnächst erscheinenden Schrift Der platonische Aristo­telismus werde ich die hier nur programmatisch angedeuteten Gedanken ein­gehend darstellen.

 

28 Fels, H., Augustinus, Abhdlg. in der akad. Monatsschrift Unitas 1930.

 

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