Scheinobjekte des Philosophierens

 

 

 

Es gibt verschiedene Scheinobjekte des philosophischen Denkens, die dadurch erdacht und vorgestellt werden, dass Philosophen fälschlich meinen, von etwas Wirklichem zu sprechen, indem sie den grammatikalischen Regeln ihrer Sprache folgend über bestimmte Objekte des Bewußtseins und Denkens nachdenken, sprechen und schrei-ben, deren Existenz überhaupt erst dadurch vorgetäuscht wird, dass aus synsemantischen Wörtern, wie z.B.

  • aus dem unregelmäßigen Verb "sein" (existere, to be, etre, etc.) das Pseudo-Objekt "das Sein",
  • aus dem aus dem Pronomen "ich" (ego, I/me, je, etc.) das Pseudo-Objekt "das Ich",
  • aus dem Pronomen "nichts" (nihil, nothing, rien, etc.) das Pseudo-Objekt "das Nichts"

konstruiert wird. Indem aus Verben oder Pronomen ein Substantiv mit dem dazugehörigen definitivem Artikel "der", "die", "das" gebildet wird, wird die Illusion erzeugt, dass man sich mit diesen Substantiven auf reale Objekte beziehen würde, die es wirklich gibt und uns nicht nur durch sprachliche Konstruktionen vorgekaukelt werden.

 

Angesichts der Künstlichkeit solcher sprachlichen Konstruktionen staunten und wunderten sich Generationen

von Philosophen, um was für seltsame Objekte oder schwer verständliche Realitäten es sich dabei handeln könnte. Dabei bemerken sie oft selbst nicht, dass sie sich selbst bloße Schimären des tiefsinnigen und abstrakten Nachdenkens geschaffen haben, die sie dann zu Idolen der Philosophie erhoben haben.

 

Angesichts solcher geistiger Verirrungen in das scheinbar tiefsinnige Grübeln über Schimären oder Pseudo-Objekte helfen nur semantische, logische und psychologische Analysen, wie sie Franz Brentano, Rudolf Carnap, Ludwig Wittgen-stein, Bertrand Russell und Jean Piaget geliefert haben, um diese gedanklichen Seifenblasen zerplatzen zu lassen, damit die Menschen realisieren, dass es sich nur um gedankliche Schimären oder sophistische Luftnummern handelt.

  • Franz Brentano, Über die mannigfache Bedeutung des Seienden bei Aristoteles
  • Rudolf Carnap, Scheinprobleme in der Philosophie
  • Ludwig Wittgenstein, Über Gewißheit
  • Bertrand Russell, Geschichte der abendländischen Philosophie
  • Jean Piaget, Weisheit und Illusionen der Philosophie

Vielleicht erscheint es jemand aufgrund seiner Ehrfurcht und Bewunderung vermeintlich großer Philosophen und aus Achtung gewisser philosophischer Traditionen ein zu starker Vorwurf zu sein, dass es sich bei manchen Problemen der Philosophie um hausgemachte Scheinprobleme und um selbst fabrizierte Schimären gehandelt hatte. Aber es könnte nur eine Sache unserer philosophischen Halbbildung sein, dass wir zwar gewisse Bildungskenntnisse haben, aber nicht selbst den Sachen auf den Grund gegangen sind, wie das paradigmatische Philosophen wie Aristoteles, Kant und Hegel und einige Andere nach ihnen getan haben..

  • Wer denkt bei der philosophischen Rede vom sog. Sein nicht an Parmenides oder Heidegger?
  • Und doch hat Hegel gemeint, dass das sog. Sein und das sog. Nichts zusammenfallen und ein und dasselbe seien.
  • Wer denkt bei der philosophischen Rede vom sog. Nichts nicht an Meister Eckehart und Sartre?
  • Und doch hat Kant den philosophischen Begriff von einem sog. Nichts sehr kritisch unter die Lupe genommen.
  • Wer denkt bei der philosophischen Rede vom sog. (absoluten) Ich nicht an Fichte und Husserl?
  • Und doch haben Hume, Kant und Wittgenstein die philosophische Überzeugung, dass es ein konstantes und substantielles Ich gäbe, als Gedanken und Reden über ein Scheinobjekt entlarvt.

Was ist die Konsequenz dieser generalisierten Beobachtung und Überlegung. Mir scheint, dass die Konsequenz nur sein kann, sich die philosophischen Rede vom Sein bei Parmenides oder Heidegger erneut zu untersuchen, um gewissenhaft und vorurteilsfrei zu prüfen, ob und was daran haltbar ist. Ebenso wäre dann mit der philosophischen Rede vom sog. Nichts bei Sartre und Camus oder mit der philosophischen Rede vom sog. (absoluten) Ich bei Fichte und Husserl vor-zugehen.

 

Daher ist die philosophische Hermeneutik Hans-Georg Gadamers so wichtig und unverzichtbar. Denn wir müssen zuerst einmal verstehen, was Philosophen der Vergangenheit überhaupt gemeint haben, wenn sie über gewisse seltsam klingende Dinge gesprochen und geschrieben haben, die uns irgendwie merkwürdig oder gar verdächtig vorkommen. Vorschnelle Entlarvungen können nämlich auch auf unseren eigenen Vorurteilen beruhen und durch den Zeitgeist unserer Epoche geprägt sein. Vielleicht haben wir nämlich nur das Staunen verlernt, das den Zugang zu uns fremden Gedanken und Erfahrungen ermöglichen würde.

 


Nichts

 

Vom lat. non ens, „Nicht-Sein, Nicht-Dasein“. Das, was nicht ist, oder das, was am Ursprung der Verneinung steht.

 

Nach Parmenides ist es unmöglich, nach Gorgias (Autor einer Abhandlung über das Nichtseiende) bloß äußerst anspruchsvoll und raffiniert, das Nichts zu denken.

 

Erst bei Platon, der zugesteht, dass das Nichts auf gewisse Weise existiert („dem Nichtseienden irgend Seiendes zu-kommt“), weil es ansonsten unmöglich wäre, etwas zu verneinen, bekommt das Nichts eine Art von erster Konsistenz.

 

Für Aristoteles ist dieser Begriff, der nur in der Vorstellung und im Denken gilt, jedoch nicht in der Natur, dann mit den logischen Kategorien des Mangels und der Negation zu vergleichen.

 

Kant unterscheidet vier Formen des „Nichts“: Es bezeichnet demzufolge entweder einen leeren Begriff ohne einen entsprechenden Erfahrungsgegenstand (wie Gott oder die Freiheit), die Abwesenheit einer bestimmten Eigenschaft oder Qualität, die prinzipiell erfahrbar ist (wie zum Beispiel der Schatten oder die Kälte), eine leere Anschauungsform ohne mögliche Darstellung (wie zum Beispiel reiner Raum, ohne Gegenstand) oder, schließlich, einen reinen Wider-spruch (eine unmögliche Form wie ein rechteckiger Kreis).

 

Hegel wiederum sieht im Nichts ein Äquivalent zum Sein, in der Hinsicht, dass sie beide vollkommen unbestimmt sind.

 

Es ist aber vor allem der Existentialismus, der den Sinn dieses Begriffs vertieft: das Nichts, wie das Seiende, verstanden als Partizip der Gegenwart, wird für Heidegger zu dem, wodurch das Sein sich offenbart. Es ist nicht nichts, sondern eine Anwesenheit, die sich in der Angst zeigt, dadurch fühlbar wird. Als reiner Schwindel gehört es zum Wesen des Seins.

 

Für Sartre setzt deshalb die bloße Möglichkeit, Nein zu sagen, die Anwesenheit des Nicht-Seins in uns voraus, weil „das Nichts das Sein heimsucht“. Dieses „Loch im Sein“, das in uns ist und das uns erlaubt, die Welt zu negieren, bzw. daraus alles zu entfernen, was nicht das Objekt unserer Intention ist (zum Beispiel muss ich, um an Pierre denken zu können, alle anderen Personen, die ich kenne, für einen Moment negieren, aus meinem Denken ausschließen), offenbart unsere Fähigkeit zu wählen, Entscheidungen zu treffen und somit frei zu sein.

 

Quelle: Philosophie-Magazin https://www.philomag.de/lexikon/nichts