Die feministische Selbstdemontage
Der moderne Feminismus hat ein Problem: Viele Anhängerinnen diskutieren zu laut und zu wütend über Sprache, Mütter und Vorstandsposten. Kritik lassen sie kaum gelten.
Meike Lobo in der ZEIT vom 7. März 2016
Spätestens die Ereignisse von Köln haben mit schonungsloser Deutlichkeit gezeigt, dass die Gesellschaft einen Femi-nismus braucht. Der selbsternannte Postfeminismus, die Müdigkeit, sich mit feministischen Themen zu befassen, weil wir dieses ganze Geschlechterdings angeblich längst hinter uns haben, wurde durch die sexuellen Massenübergriffe gegen Frauen in der Silvesternacht als bequeme Selbsttäuschung entlarvt. Frauen werden immer noch durch Männer in ihrer Freiheit eingeschränkt, in einigen Situationen sicher stärker als in anderen, aber von einem allgemeinen Respekt vor der Unantastbarkeit der sexuellen Selbstbestimmung der Frau kann keine Rede sein. Unsere Gesellschaft braucht deshalb einen Feminismus, der Betroffene nicht mit den spezifischen Problemen, die sich aus dem zerrütteten Ge-schlechterverhältnis ergeben, alleine lässt und der unablässig dafür kämpft, diese Probleme zu lösen.
Man darf bezweifeln, dass der moderne Feminismus in seiner derzeitigen Form diesem Anspruch gerecht wird oder überhaupt gerecht werden kann. Sucht man nach einem Beispiel für die sprichwörtliche verbrannte Erde, dann ist die Frauenbewegung ein ziemlich geeignetes Terrain. Feministische Themen lassen die Kommentarspalten von Medien und Blogs zuverlässig mit Beschimpfungen überquellen. Diese offenbaren eine ungeheure Wut gegen die Bewegung, gegen ihre Positionen und die Menschen, die in ihrem Namen sprechen. Die Anfeindungen reichen dabei von harmlosen Be-leidigungen bis hin zu Vergewaltigungs- und Todesdrohungen. Einhundert Jahre nach den ersten Protesten englischer Suffragetten, die für das Wahlrecht der Frauen eintraten, ist das eine erschütternde Bilanz.
Die leichte Entflammbarkeit feministischer Diskussionen ist jedoch nicht allein das Resultat männlicher Angst vor dem Machtverlust. In Blogs und Medien findet sich neben den obligatorisch beleidigten Männerrechtlern immer öfter auch berechtigte, sachliche Feminismuskritik von Autoren und Autorinnen, die sich durchaus mit den Zielen der Frauenbewe-gung identifizieren können. Der Grund für diesen scheinbaren Widerspruch liegt unter anderem darin, dass der Femi-nismus selbst allzu oft Ressentiments schürt, auch unter potenziellen Unterstützern.
Die Galionsfiguren der modernen Frauenbewegung lassen solche Kritik, unabhängig davon, aus welchem Lager sie kommt, meist als Ablenkungsmanöver ("Derailing") oder "überflüssige Meta-Diskussion" an sich abperlen. Sie ver-weisen dann darauf, dass es den einen Feminismus gar nicht gibt, sondern nur individuelle Positionen. Die unange-nehme "Bist du nicht mein Freund, so bist du mein Feind"-Rhetorik vieler Feministinnen, bei Twitter kursierende schwarze Listen mit unerwünschten Personen sowie die Ablehnung von Männern als Mitstreiter entlarven den plura-listischen Feminismus jedoch als Hirngespinst. In Großbritannien werden Veranstaltungen über Geschlechter-themen von FeministInnen boykottiert und bisweilen bedroht, wenn dabei unliebsame Personen auftreten. Unliebsam ist dabei mitunter schon, "wer keine Gebärmutter" besitzt. Die Zuspitzung jeder minimalen Abweichung vom eigenen Stand-punkt zu seinem kompletten Gegenteil ist derzeit in vielen Diskursen zu beobachten, es ist die Diskurskrankheit des 21. Jahrhunderts. Kritische Kommentare oder Fragen führen zuverlässig zu der umgehenden Beschimpfung als Nazi, als Antifeminist, als homo- oder islamophob.
Die Mitglieder der Frauenbewegung sägen mit dieser abschottenden Haltung an dem Ast, auf dem sie sitzen. Denn der Erfolg einer Gesellschaftsbewegung hängt nicht nur von ihrem Selbstverständnis, sondern in besonderem Maße auch von ihrer Außenwirkung ab. Feministinnen müssen deshalb lernen, Kritik ernst zu nehmen.
Wie ein Kind, das "Feuer!" schreit
Einer der Gründe für die schlechte Außenwirkung ist neben der Kritikresistenz die Übererregbarkeit weiter Teile der feministischen Bewegung. Sie pumpt oft jedes noch so kleine Konfliktchen zwischen den Geschlechtern zu einem staatstragenden Skandal auf, der unverzüglich zu einer Kündigung oder Verhaftung des Mannes zu führen hat. Ver-diente Wissenschaftler müssen zum Beispiel weinend vor die Kameras treten, um sich für die Wahl ihres Oberhemdes zu entschuldigen, andere werden für gedankenlose Witze gleich gefeuert.
Die grellen Stimmen des Feminismus finden nichts dabei, den wütenden Mob zu geben. In ihrer Empörung ist jemand, der vor Kameras ein Shirt mit Pin-up-Motiven trägt, praktisch das Gleiche wie jemand, der eine Frau vergewaltigt. Die moralischen und juristischen Abstufungen männlicher Übergriffe sind für sie irrelevant, wodurch allmählich eine Über-kriminalisierung der Männer entsteht. Die empfindlichen Teile der Frauenbewegung sind laut, paranoid und nicht im entferntesten an einer Welt, in der alle Geschlechter friedlich und ebenbürtig miteinander leben, interessiert. Es geht ihnen hauptsächlich darum, ein Ventil für ihre Wut zu finden, und dafür scheinen ihnen auch niedrigere Anlässe will-kommen.
Mit dieser Hysterie ist der Feminismus wie das Kind, das "Feuer!" schreit, obwohl es gar nicht brennt. Nachdem es die Leute zum x-ten Mal umsonst aufgeschreckt hat, glaubt ihm keiner mehr und als es wirklich brennt, winken alle nur verärgert ab. Die moderne Frauenbewegung gefährdet aktiv die Unterstützung für die Opfer männlicher Gewalt, indem sie immer nichtigere Anlässe zu gewaltsamen Akten erklärt, etwa verbal violence nach verunglückten Dates. Der ge-fährliche Missbrauch des Themas Gewalt führt nicht etwa zu mehr Solidarität mit Opfern, sondern ganz im Gegenteil zu mehr Skepsis gegenüber Berichten über Gewalterfahrungen. Der Feminismus arbeitet damit der rape culture zu, die Opfern zu wenig Glauben schenkt und die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung allzu oft als Lappalie abtut.
Der Prinzessinnen-Mythos in Reinkultur
Gut möglich, dass sich hier, nach Jahrtausenden der Unterdrückung, eine Wuteruption Bahn bricht. Doch das lautstarke Zetern über die Zumutungen der Männerwelt scheint eher Programm als Ausrutscher zu sein. Was fehlt, sind Analysen, Ursachenforschung und die für alle verständliche Vermittlung der Mechanismen der Ungerechtigkeit.
Beobachtbar war das gerade auch nach den Übergriffen von Köln, als sich innerhalb kurzer Zeit das feministische Bündnis #ausnahmslos bildete, das nicht nur pauschal die Abschaffung von sexueller Gewalt, sondern auch – da die Täter überwiegend dem muslimisch geprägten Kulturraum entstammten – von Rassismus forderte. Eine Analyse sowohl der Auslöser als auch der strukturellen und kulturellen Ursachen der Übergriffe unterblieb auch hier, während para-doxerweise gleichzeitig die Wichtigkeit einer differenzierten Debatte betont wurde.
Der Feminismus ist heute kaum mehr als die ständige Neuformulierung der immer gleichen Haltung: "Männer, Ihr macht die Welt schlecht für Frauen, hört auf damit." Mit seiner anklagenden, passiven Erwartungshaltung redet der Feminismus den Frauen ständig ein, dass sie kaum Einfluss auf den Verlauf ihres Lebens und die Erfahrungen, die sie in dieser Welt machen, nehmen können. Das ist das Gegenteil von empowerment. Vermutlich ohne es zu wollen, be-schwört er immer wieder das Narrativ vom schwachen Geschlecht, das nur durch das gute Verhalten ehrbarer Männer frei sein kann, ein Prinzessinnen-Mythos in Reinkultur.
Sie kopieren die kapitalistischen Alphamänner
Die Frauenbewegung lehnt jede Verantwortung der Frau für eine Verbesserung der Verhältnisse ab und verstärkt da-durch die weibliche Passivität. Er ist zu einer niemals endenden Arbeitsbeschaffungsmaßnahme geworden, die ihm selbst und den unterdrückten Frauen die Illusion vermittelt, es täte sich etwas, obwohl die Ursachen der Unterdrückung und Gefährdung von Frauen seit Jahrtausenden unangetastet bestehen bleiben. Vielleicht ist das auch dem feministi-schen Selbsterhaltungstrieb geschuldet, denn eine unabhängige, selbstbestimmte Frau hat die Bewegung nicht mehr nötig. Doch so oder so: Eine Frau in einer ausbeuterischen Anstellung braucht nicht die Bestätigung ihrer Ohnmacht, sondern eine Ermutigung darin, diese Ohnmacht zu überwinden und selbst etwas zu tun, um die Welt mitzugestalten.
Doch nicht nur klagt der moderne Feminismus zu symptombezogen über die Benachteiligung der Frauen, er tut dies zu allem Überfluss auch noch auf sehr hohem Niveau. Natürlich gibt es Folgen der Geschlechterungerechtigkeit, die für die betreffenden Frauen so dramatische Auswirkungen haben, dass man ihre Behebung nicht aufschieben kann, bis das Problem an der Ursache beseitigt ist. Aber anstatt etwa häuslicher Gewalt oder der überwiegend schlechten Situation alleinerziehender Mütter den Kampf anzusagen, verbringt der moderne Feminismus viel Zeit damit, über social freezing, geschlechtergerechte Sprache und Vorstandsposten zu diskutieren. Es ist der gelangweilte, übersättigte Selbstverwir-klichungsfeminismus privilegierter Frauen, die kaum noch echten Grund zum Klagen haben.
Feindbild: Frau mit Halbtagsstelle
Magazine wie Edition F unterfüttern die "Ich will alles!"-Haltung mit einer mitunter befremdlichen Mischung aus Karriere- und Shopping-Tipps. Feminismus zwischen Business und Business-Mode. Die Prioritäten weiter Teile der Frauenbewegung sind derart befremdlich, dass sich schließlich eine ihrer bekanntesten Vertreterinnen, die englische Feministin Laurie Penny, von diesem Lager distanzierte. Zu wenig würde sich um die echten Probleme normaler Durchschnittsfrauen – Frauen also, die nicht übermäßig hübsch, schlank und gebildet sind – gekümmert und statt-dessen zu sehr versucht, die kapitalistischen Ziele privilegierter Alphamänner zu kopieren.
Die Imitation männlicher Lebensmodelle ist möglicherweise auch ein Grund dafür, dass sich auch immer mehr Frauen von der Bewegung abwenden. Der Feminismus hat jahrzehntelang versucht, ihnen einzureden, sie seien wie Männer und lediglich soziale Prägung hindere sie daran, auch so zu leben. Obwohl es zahlreiche Hinweise darauf gibt, dass die Geschlechter nicht gleich sind, lässt die Frauenbewegung angeborene Faktoren, die über reine Körperanatomie hinaus-gehen, bis heute kaum gelten. Der große Einfluss etwa der Geschlechtshormone, der unter anderem dazu führt, dass Wortfindungstests und Experimente zu räumlichem Denken bei Männern und Frauen unterschiedlich verlaufen, ist dem Feminismus nicht mehr als eine ärgerliche Marginalie, auf die er mit einem infantilen "Aber trotzdem!" reagiert.
Grund für diese Verleugnung ist die hartnäckige Abwertung des Weiblichen durch das Patriarchat. In unserer kapita-listischen Leistungsgesellschaft war lange kein Platz für ein Geschlecht, das zumindest ursprünglich sehr viel stärker in die Fortpflanzung eingespannt war als das andere. Frauen wurden über Jahrhunderte von Männern weggetätschelt, wenn es um gesellschaftliche Gestaltung, intellektuelle Zeitfragen und logische Probleme ging, weil man ihnen nicht zutraute, Teil der Lösung zu sein. Mehr als eine Milchbar auf zwei Beinen und die Verheißung sexueller Erleichterung hat man lange nicht in ihnen gesehen. Statt aber an einer Welt zu arbeiten, in der diese konstante Abwertung des Weib-lichen aufhört, erklärt es der Feminismus kurzerhand für nichtexistent. Unter dem Deckmäntelchen der Chancen-gleichheit wird weiblicher Identität und Individualität ein männliches Lebensmodell übergestülpt.
Es ist die ultimative Assimilation des Weiblichen: Willst du frei sein, lebe wie ein Mann. Doch trotz dieses feministischen Mantras nutzt ein Großteil der Frauen die Möglichkeiten, die sich durch die Öffnung der Arbeitswelt ergeben, nicht im selben Maße wie die männlichen Kollegen.
Der Erzfeind der Frauenbewegung ist heute nicht das Patriarchat, sondern die Frau, die ihr Leben der Kindererziehung widmet und sich mit einer Halbtagsstelle zufrieden gibt. Es ist die Frau, die durch ihr ganzes Sein zeigt, dass sie andere Interessenschwerpunkte, andere Lebensprioritäten, eine andere Weltsicht als die meisten Männer hat, kurz: dass die Geschlechter aufgrund ihrer unterschiedlichen biologischen Anlagen unterschiedlich funktionieren, also nicht gleich sind. Sie stellt den feministischen Makel dar, sie ist die Verräterin, die die Forderungen der Bewegung, die auf den behaupteten Nicht-Unterschieden der Geschlechter basieren, ins Wanken bringt. Diese Frau kann, ungeachtet ihrer gesellschaftlichen Leistungen, nicht auf feministische Unterstützung hoffen.
Die männliche Wut
Der Feminismus möchte normative Signale vermeiden, die Frauen dazu bringen könnten, auf Beruf und Karriere zu verzichten, und verweigert der beruflich unehrgeizigen Mutter, die Kind und Haushalt mindestens ebenso viel Zeit widmet wie dem Beruf, daher jede Form von Anerkennung. Von der Ermutigung, eigene Wege zu gehen, bleibt letztlich nur die Abwertung des traditionell weiblichen Weges, weil die Frauenbewegung ausschließt, dass auch der traditionelle Weg ein selbstbestimmter sein kann. Und so offenbart sich der Feminismus nicht als Bewegung gegen die Unfreiheit, sondern gegen eine ganz bestimmte Art zu leben. Er kämpft nicht gegen den gesellschaftlichen Druck auf die Frau, sondern für das Recht, diesen Druck selbst auszuüben.
Dass typische Frauentätigkeiten mitunter gar nicht als Arbeit, sondern als Selbstverständlichkeit gelten, etwa die Pflege alter und kranker Angehöriger in der Familie, oder aber schlecht bezahlt werden und kaum eine Lobby haben, ist daher auch die Schuld der Frauenbewegung. Während der wirtschaftlich relevante Lokführerstreik im Frühjahr 2015 über die gesamte Dauer flächendeckend medial begleitet wurde, fand der Streik der Kindergärtnerinnen (es sind bisher mehr als 95 Prozent Frauen, die diesen Beruf ausüben) im Vergleich fast im Verborgenen statt.
Ähnlich erging es einem Streik der überwiegend weiblichen Pflegebranche, von dem nur erfuhr, wer gezielt danach suchte. Der Feminismus hat kaum etwas dafür getan, dass diese erzieherischen und pflegerischen Tätigkeiten mehr Wertschätzung erfahren, denn Wertschätzung hätte Frauen dazu ermutigen können, diese niederen Arbeiten auch weiter zu verrichten. Die Folge ist nicht etwa eine Welt, in der Frauen mehr Respekt für die überwiegend von ihnen geleistete Arbeit bekommen, sondern eine, in der diese Arbeit, ungeachtet ihrer gesellschaftlichen Relevanz, im allgemeinen Ansehen ganz unten steht.
Solange die destruktiven Teile des Feminismus auch die lautesten sind, erzeugt ihr Schreien nach außen den Eindruck einer überwiegend undifferenzierten, aggressiven und bevormundenden Bewegung. Sie machen den Feminismus damit zu einem leichten Ziel für Feinde und zu einer unzitierbaren Quelle für Freunde. Diese Pseudofeministinnen bezeichnen zwar jede Kritik als antifeministisch, tatsächlich aber ist das Gegenteil der Fall. Viele Menschen, die die Ziele der Frauenbewegung grundsätzlich bejahen, möchten lieber nicht "offiziell" als Unterstützer auftreten, um nicht mit der kreischenden Masse in einem Topf zu landen. Gerade diese besonneneren Stimmen sind aber für die Bewegung wichtig, um das schlechte Bild zurechtzurücken. Sie sollten sich beteiligen, gerade weil das Image des Feminismus so schlecht ist. Der Appell muss deshalb auch ihnen gelten, denn durch ihre Zurückhaltung tragen sie genauso zur Schwächung des Feminismus bei wie das hysterische Lager auf der anderen Seite.
Millionen von Frauen weltweit leben in katastrophalen Verhältnissen, in denen sie ohne Aussicht auf Bildung in Abhängigkeiten leben und täglich Übergriffen wie denen von Köln ausgesetzt sind. Diese Frauen brauchen den Feminismus und jeder feministisch interessierte Mensch sollte sich fragen, welchen sie bekommen sollen: einen lösungsorientierten, die Geschlechter versöhnenden oder einen unreifen, paranoiden, der die Frauen letztlich zusätzlicher männlicher Wut aussetzt.
Meike Lobo ist Bloggerin und Biologin. Sie schreibt auf ihrer Seite fraumeike.de und lebt in Berlin.
https://www.zeit.de/kultur/2016-03/feminismus-kritik-debatte-frauen/komplettansicht
„Man hält krampfhaft am Opferdiskurs fest“
Interview mit Svenja Flaßpöhler in CICERO ONLINE am 13. Juli 2018
Mit dem Hashtag #metoo wollten Frauen auf sexistische Übergriffe aufmerksam machen. Doch damit haben sie dem Feminismus einen Bärendienst erwiesen haben, sagt Svenja Flaßpöhler, Chefredakteurin des Philosophie Magazins. Warum?
Frau Flaßpöhler, sowohl in den USA als auch in Deutschland, mit den Enthüllungen über Dieter Wedel, sorgte der Hashtag #metoo für Wirbel. Sie haben ein Buch über die Debatte geschrieben. Warum?
Weil mich an der Metoo-Debatte die Undifferenziertheit stört. Mich stört, dass überhaupt nicht klar ist, was mit #metoo gemeint ist. „Me too“, das suggeriert: Mir ist etwas passiert. Auch ich bin Opfer geworden. Aber es bleibt offen, worauf sich das bezieht. Geht es hier um Situationen, in denen Frauen tatsächlich keine Handlungsoption haben? Bezieht sich das auf Vergewaltigung, Nötigung? Oder geht es um verbale Belästigung und Situationen, in denen man sich unwohl fühlt, in denen man das Gefühl hat, dass jemand einen Schritt zu weit geht? Das ist nicht eindeutig, und dadurch entsteht der Eindruck einer „patriarchalen Struktur“, die Frauen unterdrückt. Was soll das wiederum heißen? Rechtlich gesehen leben wir natürlich nicht mehr in einem Patriarchat.
Wenn Frauen begehren würden, gäbe es kein #metoo?
Um es klar zu sagen: Dass Frauen sich gegen handfeste männliche Gewalt zur Wehr setzen, gegen die sie schon rein körperlich chancenlos sind – und sei es nachträglich durch ein „metoo“ – ist natürlich begrüßenswert. Doch der Gegenstand der Initiative hat sich ja rasant ausgedehnt auf alle möglichen Situationen, in denen Frauen durchaus Handlungsoptionen hätten, aber sie nicht nutzen. Hier setzt meine Kritik an. Wir müssen in den Blick bekommen, warum Frauen oft so eigentümlich reaktionsarm bleiben, sich passiv verhalten, den Mann gewähren lassen – und sich dann hinterher über seine Übergriffigkeit beschweren.
Woher rührt diese Passivität?
Dieses Verhalten geht zurück auf eine Jahrhunderte alte Kulturgeschichte, die Frauen keine eigene sexuelle Position zugestanden hat. Frauen begehren nicht. Frauen haben ein Nichts zwischen den Beinen. Sie sind einzig dazu da, das Begehren des Mannes zu spiegeln. Aus dieser Position haben sich Frauen offenbar immer noch nicht befreit, und das erklärt meinen Ruf nach weiblicher Potenz: Eine potente Frau wehrt sich direkt in den konkreten Situationen. Sie tritt nicht hinterher hilflos nach. Und deshalb braucht sie auch kein #metoo, das Frauen zu hilflosen Wesen stilisiert, die sich selber nicht wehren können.
Was ist Ihr Ansatz?
Anstatt Frauen zu infantilisieren, müssen wir sie zu Autonomie und Mündigkeit ermutigen! Ein konkretes Beispiel: Es wird ja immer wieder gesagt, dass Frauen, die von ihrem Chef aufs Hotelzimmer gebeten werden, sich nicht wehren könnten. Sie würden dann eventuell ihren Job riskieren. Fakt ist aber, dass sich Autonomie dadurch auszeichnet, das man sich selbst ein Gesetz gibt. Dass man die ist, die man sein will und sich aus selbstverschuldeter Unmündigkeit befreit. Das heißt eben auch, dass der Mensch Risiken eingeht und Widerstände überwindet. Es ist absurd zu behaupten, dass wir nur in risikofreien Situationen autonom handeln könnten.
Wie kann sich eine Frau wehren, um kein Opfer mehr zu sein?
Sie muss sich aus der Spiegelfunktion befreien, indem sie ihr eigenes Gewordensein begreift: Warum fällt es mir so schwer, mich einem Mann gegenüber klar zu verhalten? Gar selbst den ersten Schritt zu machen? Offensiv zu sein? Selbst zu verführen, anstatt verführt zu werden? Oder im Zweifelfsfall auch klar „Nein“ zu sagen, anstatt zu denken,
dass man ihn dadurch kränkt? Wir dürfen den Männern nicht die Schuld für die eigene Passivität in die Schuhe schieben.
Nun kann man die Idee hinter #metoo auch weiter drehen und den Hashtag für Geschichten verwenden, in denen man sich explizit gewehrt hat. Das hätte dann auch ein Vorbild für heranwachsende Frauen.
Klar, dann wäre metoo nicht länger auf die Objektposition fokussiert, sondern auf die Subjektposition. Die handelnde, potente Frau als „Rolemodel“, das wäre in der Tat eine zukunftsweisende Wendung. Das würde den Frauen aber eben auch etwas abverlangen. Genau das vermisse ich im Moment. Metoo verlangt alles vom Staat, von den Institiutionen, von den Männern, aber nichts von den Frauen. Auf diese Weise wird die Frau zu einem unmündigen Kind.
Aber führt das Hashtag nicht dazu, dass sich Frauen solidarisieren?
Nein, sich solidarisch zeigen heißt: Ich stelle mich klar vor jemanden, der schwächer ist als ich. Ich setze mich für ihn ein. Ich riskiere etwas. Ein Tweet aber fordert mir absolut nichts ab. Ich stelle mir ernsthaft die Frage, was genau Metoo eigentlich will. Einen starken Staat, der für die Frauen ihr Sexualleben regelt? Institutionen, die Männer schon beim Verdacht auf verbale Belästigung rausschmeißt oder ihre Kunstwerke nicht ausstellt? Gläserne Türen in Universitäten? Männer, die man einschüchtert mit der Drohung: Pass auf, sonst bist du als nächstes dran? Das Fundament einer funktionierenden liberalen Demokratie ist die Mündigkeit der Bürger. Untergraben wir dieses Fundament, haben wir ein ernsthaftes Problem.
Ein „Anklagediskurs“ ist #metoo auch deswegen, weil Männer in der Debatte überhaupt nicht zu Wort kommen, oder?
Was ausgesprochen schade ist. Ich würde mir hier auch mehr Mut auf männlicher Seite wünschen. Warum wehren sich Männer nicht dagegen, dass sie auf ein triebgesteuertes Tier reduziert werden? Warum schildern sie Verführungs-situationen nicht mal aus ihrer Sicht? Das wäre doch hochinteressant. Im Moment wird der Diskurs von Frauen gegen die Männer geführt, die Öffentlichkeit fungiert hier als Richter. Übrigens hat ganz sicher nicht jede missratene Situation zwischen den Geschlechtern, die bei #metoo geschildert wird, ihren Ursprung im Unterdrückungswillen des Mannes. Oft handelt es sich um Missverständnisse oder um fehlerhafte Deutungen von Signalen.
Warum hört man eigentlich keine männlichen Stimmen in der Debatte?
Es ist sicher so, dass Männer weniger Leidensdruck haben, was natürlich auch auf die Kulturgeschichte zurückgeht. Männer waren lange das dominierende Geschlecht. Sie bestimmen in zwischengeschlechtlichen Situationen den Ton, machen den ersten Schritt. Genau das ist das Problem. Diese Dynamik würde sich ja tatsächlich ändern, wenn sich zwei gleich potente Geschlechter begegnen würden. Natürlich ist das schwierig. Kulturgeschichtlich wurde die verführende Frau für ihre Verführungskraft immer abgestraft. Das haben wir heute noch im Hinterkopf: Verführende Frauen sind Schlampen oder Huren. Insofern gibt es Misogynie natürlich noch, der Punkt ist nur, dass auch wir Frauen sie verinner-licht haben. Wir müssen hinterfragen, inwieweit wir immer noch in bestimmten Denkmustern feststecken.
In Ihrem Buch bemängeln Sie eine Stagnation des Feminismus. Ist #metoo Ursache oder Wirkung dieser Stagnation? Ich würde eher sagen: #metoo ist das Symptom.
Und zwar auch ein Symptom für den Feminismus der vergangenen zwanzig Jahre, der die heterosexuelle Position der Frau nicht gestärkt, sondern eher geschwächt hat. Ich spreche hier von dem dekonstruktiven Feminismus, der auf der einen Seite für die gesamte Entwicklung der feministischen Theorie extrem wichtig war. Er hat immerhin gezeigt, welche Ausgrenzungsmechanismen damit einhergehen, wenn man Frauen auf ein Wesen reduziert und Heterosexualität zur natürlichen Norm erklärt.
Das klingt ja erstmal gut.
Das Problem ist aber, dass der dekonstruktive Feminismus das Kind mit dem Bade ausgeschüttet hat und von einer „zwangsheterosexuellen Matrix“ spricht. Das bedeutet, dass Emanzipation nur durch Zwischenpositionen möglich ist, also: durch queere, lesbische, transsexuelle Identitäten. Ich glaube, wir merken jetzt, dass die heterosexuelle Frau durch diesen Feminismus nicht repräsentiert wurde; letztlich also hat auch dieser Feminismus ausgegrenzt.
Wie muss ein Feminismus aussehen, der nicht in diese Falle tappt?
Was wir brauchen, ist ein Feminismus, der die Frau nicht auf ein „Wesen“ reduziert, aber andererseits auch nicht sagt: Alles ist Konstruktion. Noch gibt es kein feministisches Subjekt. Ich plädiere daher für einen Feminismus der der körperlichen Erfahrung. Im Augenblick aber fühle ich mich durch den #metoo-Diskurs eher in die fünfziger Jahre zurückversetzt. Hier wird eine gesellschaftliche Realität heraufbeschworen, die wir längst überwunden haben. Es ist insofern auch auffällig, dass die Protagonisten dieser Geschichten alte Männer sind. Die individuellen und gesellschaft-lichen Entwicklungen werden ausgeblendet, stattdessen hält man krampfhaft am Opferdiskurs fest. Dabei sind Frauen so frei wie nie zuvor. Warum also nutzen wir die Möglichkeiten nicht, die uns offen stehen?
Svenja Flaßpöhler. „Die potente Frau“, Ullstein-Verlag, 48 Seiten, 8 Euro
https://www.cicero.de/innenpolitik/metoo-feminismus-debatte-unmuendigkeit-sexismus-
„Letzten Endes braucht man einen Arsch in der Hose“
Antje Hildebrandt in CICERO ONLINE am 24. Juni 2019
Der moralische Totalitarismus der Linken treibt immer bizarrere Blüten. Jetzt darf sich ausgerechnet in der ur-linken „taz“ eine der beliebtesten Hassfiguren linker Feministinnen darüber mokieren: Svenja Flaßpöhler. Sie
hat ein ganz einfaches Rezept, um den Diskurs zu versachlichen.
Es ist ein Satz, der das ganze Dilemma der Debattenkultur auf den Punkt bringt: „Wenn an die Stelle von Argumenten Gefühle treten, ist an Diskutieren nicht zu denken.“ Svenja Flaßpöhler hat diesen Satz jetzt im Interview mit der taz gesagt. Flaßpöhler? Das ist die Chefredakteurin des Philosophie Magazins, die die aufgeregte #MeToo-Debatte gegen den Strich bürstete, als sie die Frauen in ihrer Streitschrift „Die potente Frau. Für eine neue Weiblichkeit“ aufforderte, sich endlich aus ihrer Opferrolle zu befreien.
„Seither“, verriet sie jetzt im Interview mit der taz, „gelte ich in linken Kreisen als rechtsreaktionär.“ Dieses Geständnis ist die Ouvertüre zu einer Abrechnung mit Genderwahn und anderen bizarren Auswüchsen der political correctness, und es kostet nicht viel Phantasie sich vorzustellen, wie den Stammlesern/*innen der taz bei solchen Worten die Halsader schwillt. Dass sich ausgerechnet das Zentral-Organ der Linken traut, der in ihren Kreisen umstrittenen Feministin eine Bühne zu geben, verdient einen Tapferkeitsorden am lila-farbenen Bande.
Zumal Flaßpöhler ihre Kommentare über moralischen Totalitarismus genauso pointiert formuliert wie ihr Buch. Uner-schrocken beklagt sie die Folgen der „Habermaschen A-priori-Ausgrenzung“ von bestimmten Positionen, die zu einem linken Elitismus führe, „der sehr gefährlich ist, weil man dem anderen immer schon von vornherein abspricht, über-haupt diskursfähig zu sein.“ So deutliche Worte hat man schon lange nicht mehr gelesen, und vielleicht ist es genau das, woran die Debattenkultur krankt. Dass es zu wenige Svenja Flaßpöhlers gibt. Ob sie gar keine Angst vor einem Shit-storm habe, wird sie von den beiden Interviewern, dem Autor Peter Unfried und dem Soziologen Harald Welzer, gefragt. Ihre Antwort möchte man sich einrahmen und über den Schreibtisch hängen: „Scheiß auf den Shitstorm. Wenn jetzt schon Journalisten-Kollegen damit anfangen zu sagen, hmmm, wenn ich jetzt so schreibe, dann wird die taz-Leserin das nicht liken, dann wird es wirklich gefährlich. Letzten Endes braucht man einen Arsch in der Hose.“
https://www.cicero.de/innenpolitik/svenja-flasspohler-me-too-moralischer-totalitarismus-taz