Die Menschen auf dem Weg nach rechts fühlten sich "potenziell überflüssig",
warnte Theodor W. Adorno schon 1967.
Sich dem Rechtsradikalismus stellen - mit der Kraft der Vernunft
Jens-Christian Rabe - Süddeutsche Zeitung - 20. Juli 2019
Der Suhrkamp-Verlag hat sich endlich der Aufgabe angenommen, die Vorträge herauszugeben, die Theodor W. Adorno, Philosoph und Mitbegründer der Kritischen Theorie, in den Fünfziger- und Sechzigerjahren für ein allgemeines Publikum zu aktuellen Themen aller Art gehalten hat, im Radio, bei Fortbildungen, in Kulturhäusern. Ein erster echter Coup ist dabei der am 6. April 1967 auf Einladung von Studenten im Neuen Institutsgebäude der Wiener Universität gehaltene Vortrag "Aspekte des neuen Rechtsradikalismus". Verblüffend oft hat man den Eindruck, dass das, was dort steht, nicht vor einem halben Jahrhundert gedacht worden ist, sondern gerade eben erst. Abgesehen allerdings vom - auch immer etwas naiven - Schock, dass aktuelle politische Probleme so aktuell nun auch wieder nicht sind und manch Vernünftiges dazu schon vor langer Zeit gesagt worden ist, abgesehen davon schärft er den Blick für ein Phänomen, das heute selten beim Namen genannt wird, obwohl es so dringend nötig wäre wie lange nicht.
Anlass von Adornos Wiener Ausführungen sind die Erfolge der rechtsradikalen NPD. Nach ihrer Gründung im November 1964 war es ihr in kurzer Zeit gelungen, in die Landesparlamente in Hessen, Bayern, Bremen, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Schleswig-Holstein einzuziehen. Es erschien gut vorstellbar, dass es der ausdrücklich antiliberalen, völkisch-revanchistischen Partei bei der Bundestagswahl 1969 gelingen könnte, auch in den Bundestag gewählt zu werden. Die AfD ist nun nicht die NPD (der der Einzug in den Bundestag schließlich doch nie gelang), aber sie ist dafür längst mit einer beunruhigend großen Fraktion im Bundestag - und nach den Ereignissen der vergangenen Wochen steht zu befürchten, dass es dem Flügel um Björn Höcke, den Vorsitzenden der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag, gelingt, aus einer mehr oder weniger noch bürgerlich-rechtskonservativen doch eine rechtsradikale Partei zu machen. Die Veröffentlichung des Adorno-Vortrags zum neuen Rechtsradikalismus erscheint also gerade auf gespenstische Weise noch viel punktgenauer, als es sich die Verantwortlichen bei Suhrkamp erhofft haben dürften.
Nebenbei erklärt der Text konzise den Niedergang der SPD in der Gegenwart.
Am Anfang steht die berühmt-berüchtigte These Adornos, die er knapp zehn Jahre zuvor entwickelt hatte, in seinem auf einer Erzieherkonferenz präsentierten Vortrag "Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit". Sie lautet: Die gesell-schaftlichen Voraussetzungen des Faschismus bestehen nach wie vor fort. Wobei er dabei nicht an manifeste politische oder personelle Strukturen denkt, sondern - gut marxistisch-materialistisch - an die "Konzentrationstendenz des Kapitals". Eben diese Tendenz bedeute schließlich die "Möglichkeit der permanenten Deklassierung von Schichten, die ihrem subjektiven Klassenbewußtsein nach durchaus bürgerlich waren" und ihren Status eigentlich behalten, wenn nicht sogar verbessern wollen. Wer denkt da im 21. Jahrhundert nicht auch sofort an die großen Digitalkonzerne und ihre Macht, ganze Geschäftsmodelle mit einer kleinen Algorithmus-Änderung vernichten zu können?
Auch das an die wirtschaftliche Konzentration gebundene "Gespenst der technologischen Arbeitslosigkeit", wie es Adorno im Vortrag nennt, ist leider längst nicht nur ein Klassiker der kritischen Gesellschaftsanalyse, es scheint vielmehr realer denn je, in Zeiten, in denen die Forschung bei Robotik und künstlicher Intelligenz bislang unvorstellbare Fort-schritte macht. Adorno spricht davon, dass es längst so weit sei, dass auch die "Menschen, die im Produktionsprozeß drinstehen, sich bereits als potentiell überflüssig", als "potentielle Arbeitslose" fühlten.
Der Weg nach rechts sei für diese Menschen wiederum kürzer als nach links, weil sie erfahrungsgemäß "die Schuld an ihrer eigenen Deklassierung nicht etwa auf die Apparatur, die das bewirkt habe", schöben, sondern auf diejenigen, die dem System, in dem sie einmal Status besessen haben, kritisch gegenüberstanden. Was beschriebe konziser den Niedergang der SPD in der Gegenwart?
Rechtsradikale Bewegungen seien die "Narben einer Demokratie"
Auch die Analyse der ideologischen Macht des Nationalismus, die sich heute die AfD und ihre europäischen Verwandten systematisch zunutze machen, ist erschreckend gültig. In der Tatsache seiner Überholtheit in einer internationalisierten Welt sieht Adorno keine Schwäche, sondern unnachahmlich lakonisch die eigentliche Stärke des Nationalismus: Es sei schließlich so, dass "Überzeugungen und Ideologien gerade dann, wenn sie eigentlich durch die objektive Situation nicht mehr recht substanziell sind, ihr Dämonisches, ihr wahrhaft Zerstörerisches annehmen". Es sei kein Zufall, dass die Hexenprozesse in der Zeit der Gegenreformation stattgefunden hätten. Dieses Moment, das man vielleicht zwangs-läufige Selbstradikalisierung nennen kann, ist im Vortrag scharfsinnig beschrieben als das "Angedrehte, sich selbst nicht ganz Glaubende", wobei der Zweifel es dann wieder nötig mache, "ihn zu überspielen, damit man ihn sich selbst und anderen gleichsam einredet". Es passt auch gut zum Adorno-Wort in den "Minima Moralia", nach dem der Deutsche kein Mensch sei, der eine Lüge aussprechen könne, ohne sie sich selbst zu glauben.
Der wegen ihrer vermeintlichen Kompliziertheit und Unproduktivität viel geschmähten Dialektik Adornos kann man an Stellen wie diesen ganz einfach bei der Arbeit zusehen, auch das ist kein geringes Verdienst der Veröffentlichung der "Aspekte des neuen Rechtsradikalismus", dem später weitere neue alte Vorträge Adornos folgen sollen, von denen bislang nur Notizen und Tondokumente vorlagen. Unmittelbarer als in den sagenumwobenen Hauptwerken ist in ihnen zu sehen, dass Adorno selbst die Dialetik nicht als hermetische Theorie und klügelnde Spielverderberei verstand, sondern als praktische Methode zur "Verflüssigung geronnener Gegensätze", um "am eigenen wie am anderen des kritischen Gedankens mächtig" zu bleiben, wie es etwa in "Kultur und Culture" heißt, seinem spektakulär ausgewo-genen Vergleich des deutschen mit dem amerikanischen Kulturbegriffs.
Im Fall der "Aspekte des neuen Rechtsradikalismus" bedeutet Adornos Dialektik entsprechend auch, dass er es sich nie leicht macht mit seinen Urteilen. Noch viel mehr als die Detailanalysen des Vortrags erscheint seine Methode so aktuell und notwendig wie damals, wenn er sich etwa dagegen verwahrt zu glauben, dass bloß die Unbelehrbaren zum Rechtsradikalismus neigten, oder mahnt, nicht zu schematisch zu denken, die Industrie forciere den Faschismus. Das wäre falscher bürgerlicher Trost. Eher müsse verstanden werden, dass rechtsradikale Bewegungen so etwas wie Wundmale seien, "Narben einer Demokratie", die "ihrem eigenen Begriff eben doch bis heute noch nicht voll gerecht" werde.
Neben der Methode und der Alterslosigkeit vieler Beobachtungen bleibt nach der Lektüre vor allem zweierlei, dessen Notwendigkeit derzeit kaum zu überschätzen ist. Zuerst muss der politischen Kommunikation der neuen Rechten ihr alter Name zurückgegeben werden: Propaganda. Die Tricks der NPD, die Adorno im letzten Drittel genüsslich seziert, sind die unserer neuen Rechtspopulisten: Konkretismus (Protzerei mit Kenntnissen, die sich schwer kontrollieren lassen), plumpe Lügen, "Salami-Methode" (pseudowissenschaftliche Pedanterie zur Delegitimierung von Fakten), und die Monopolisierung des vermeintlich Volkseigenen, um alle Gegner als Feinde des Volkes erscheinen zu lassen.
Und dann ist da noch der gar nicht kritisch verhärmte Hinweis, den Rechtsradikalismus nicht als Naturkatastrophe zu betrachten. In einer solchen Haltung stecke ein viel zu "zuschauerhaftes Verhältnis zur Wirklichkeit". Es gelte vielmehr, sich zu stellen, aber nun nicht "Lüge gegen Lüge" zu setzen oder zu versuchen, "genauso schlau wie er zu sein", sondern mit der "durchschlagenden Kraft der Vernunft" entgegenzuarbeiten. Kann man es zuversichtlicher, kraftvoller, aktu-eller sagen?
Rede von Theodor W. Adorno in Frankfurt am Main gegen die geplante Verhängung der deutschen Notstandsgesetze durch die Große Koalition, 28. Mai 1968
Der vor 50 Jahren verstorbene Philosoph und Soziologe Theodor W. Adorno erforschte Entstehung und Soziologie des Faschismus. Seine Analysen sind bis heute hochaktuell.
Susan Bonath - RT Deutsch - 11.08.2019
Geschichte wiederholt sich nicht, jedenfalls nicht eins zu eins. So heißt es. Dennoch produzieren ähnliche ökonomische Bedingungen zwangsläufig ähnliche Verhaltensmuster, die ihrerseits die Charakterstrukturen und damit die Denkweise von Generationen ganzer Gesellschaften prägen. Ein Blick in die Geschichte ist daher bedeutsam. Der Philosoph und Soziologe Theodor W. Adorno, dessen Todestag sich am 6. August zum 50. Mal jährte, hat einiges dazu beigetragen, den Blick zu erhellen. Wer seine sozialpsychologischen Analysen zum deutschen Faschismus liest, stößt unweigerlich auf Dinge, die auch heute aktuell sind.
"Wundmale einer nie eingelösten Demokratie"
Adorno bezeichnet faschistische Bewegungen damals als "Wundmale" einer versprochenen, jedoch nie eingelösten Demokratie. So habe der Liberalismus seit dem 19. Jahrhundert in Aussicht gestellt, die spätfeudalistische Ständegesellschaft aufzubrechen. Ein jeder könne künftig, so heißt es seither, seines eigenen Glückes Schmied sein. Dies habe der Liberalismus nie eingehalten. Er habe es auch gar nicht umsetzen können, da er als Herrschaftsform innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise eben weder einen entsprechenden Rahmen schaffen könne noch wolle.
Adorno zufolge entsteht Faschismus immer im unmittelbaren Zusammenhang mit bestimmten ökonomischen Bedingungen. Zu diesen zählte er, wie er in einem Vortrag zum "neuen Rechtsradikalismus" im Jahr 1967 in der Universität Wien erläuterte, "die fortschreitende Konzentrationstendenz des Kapitals", die einem System, in dem ausschließlich zum Zweck der Profitmaximierung produziert werde, innewohne. Jede Krise beschleunige die faschistischen Tendenzen
Furcht vor Statusverlust und Verschiebung der Schuldfrage
"Auf der anderen Seite erzeugt dieser Prozess die permanente Bedrohung einer Deklassierung", so Adorno damals. Das versetze Menschen in subtile Angst, die verstärkt werde durch den technologischen Fortschritt, die damit verbundene mögliche Aussortierung aus dem Arbeitsprozess und die international und national zunehmende soziale Spaltung. "So kommt es, dass Schichten, die ihrem subjektiven Bewusstsein nach bürgerlich sind, unter der Bedrohung an ihrem Status und ihren Privilegien festhalten wollen."
Die dadurch entstehenden Aggressionen seien im kleinbürgerlichen Rahmen zwar passé, brächen sich aber dennoch Bahn, so Adornos Beobachtungen. Diese nach oben auszuleben, verbiete gerade die Anpassung in diese Richtung, also das Bestreben, "von denen da oben begünstigt zu werden". "Sie projizieren die Schuld an der eigenen potentiellen Deklassierung deshalb von den Verursachern auf jene, die dem System, in dem sie gefühlt Status haben oder hatten, kritisch gegenüberstehen", mahnte er. So richte sich ihr Hass gegen linke, soziale oder sozialistische Bestrebungen, deren Protagonisten sie als alleinigen Feind ausmachten.
Mit Propaganda zur "permanenten Neurose"
Diese Tendenz nutzten Rechtsradikale für ihre Propaganda. Dieser weist Adorno eine Schlüsselfunktion zu. Charakteristisch für faschistische Bewegungen sei "eine außerordentliche Perfektion der propagandistischen Mittel". Diese seien gar "die Substanz rechtsradikaler Politik". Die Erfahrung sei jedoch: Jenseits des Trommelns falle die Taktik der verbalen Überbietung schnell in sich zusammen.
Der Sozialforscher Leo Löwenthal, ein früher Weggefährte Adornos, der als Jude vor den deutschen Faschisten in die USA geflüchtet war, wies in seinem Werk "Falsche Propheten" detailliert nach, wie die Politik der NSDAP von systematischer, völlig überdrehter Propaganda lebte. Sie habe ihre Adressaten in einem "Zustand der permanenten Neurose gehalten; also permanent schon pathologische Züge des Verfolgungswahns getriggert". Dies sei darüber hinaus ein Merkmal aller bisherigen faschistischen Bewegungen. Letztlich, so Adorno dazu, geschehe dies nur mit einem Ziel: der Übernahme der Macht. Denn dies gelinge in einer bürgerlich-parlamentarischen Demokratie nur mit dem Rückhalt einer Massenbasis.
Ausmerzen zugunsten des Kapitals
Was vielen nicht klar sei, so Adorno weiter: Rechtsradikale seien zwar sehr vielseitig in ihren propagandistischen Versprechungen gegenüber "den kleinen Leuten". Letztlich seien sie aber nichts weiter als die Apologeten diverser verunsicherter Kapitalfraktionen, die mit ihrer Hilfe an der Macht bleiben oder an die Macht gelangen wollten. Sie strebten einen autoritären Staat an, der Menschengruppen, die ihnen dafür unbrauchbar erscheinen, ausmerzen solle – eine Diktatur der rohen Gewalt.
Dabei gingen sie keineswegs nur nach rassistischen oder antisemitischen Kriterien vor, sondern ganz klar sozialdarwinistisch. Die auszumerzenden Gruppen, gegen die – zunächst – agitiert werde, mehrten sich zusehends. In der Vergangenheit war es genauso: Favorisiert wurde der muskulöse, starke, kriegerische "Arier" und die gehorsame, ihre Kinder ebenso zum Gehorsam erziehende, deutsche Frau. Den Kommunisten folgten Sozialdemokraten, den Juden folgten Sinti und Roma, Slawen, Zeugen Jehovas und Arbeitslose in die Todeslager. Behinderte und Kranke wurden hingerichtet. Und im Krieg vernichtete die NSDAP-Diktatur nicht nur unzählige Zivilisten, darunter bis zu 27 Millionen Sowjetbürger. Sie schickte auch Millionen deutsche Arbeiter und Kleinbürger in Elend und Tod.
Märchen von Lösungen durch Machtübernahme
Die Agitation gegen antikapitalistische Kräfte – damals ging es gegen Kommunisten, Sozialdemokraten und alle Arbeiterorganisationen, wie Gewerkschaften – ist heute auch in der Propaganda der AfD verankert. Bereits am Anfang spiegelte sich die Angst vor Statusverlust in ihrer Agitation gegen die herrschende Politik sowie gegen die EU – zweifelsohne ein imperialistisches Kriegsbündnis – wider.
Sie kritisierten diese dabei aber nicht als Stütze von Kapitalismus und Imperialismus als Verursacher der Probleme. Vielmehr verbreiten sie bis heute die Mär, das Problem innerhalb dieser Wirtschaftsordnung mit ihrer Machtübernahme zu lösen. Man werde, so tönen sie, das Land durch Vertreibung oder gar Vernichtung von zu Feinden erklärten Menschengruppen "säubern".
Der autoritäre Charakter: Unterwerfen und unterdrücken
Laut Adorno und weiterer Soziologen und Psychoanalytiker, darunter etwa Erich Fromm, übe dieses "Macht-versprechen" eine ambivalente Anziehungskraft auf autoritäre Charaktere aus. Hier war es vor allem Fromm, der beschrieb, wie die kapitalistische Gesellschaft derartige Persönlichkeiten präge. Lohnabhängige seien stets gezwungen, sich selbst zu vermarkten. Der Verkauf ihrer Arbeitskraft an übermächtige Besitzende entfremde sie zudem von sich selbst und ihrem Handeln. Der bürgerliche Staat, so Fromm, richte Menschen darauf ab, einer auf Profitmaximierung ausgerichteten Wirtschaft dienstbar zu sein. Das erfordere totale Unterwerfung unter jene, die in der Statusskala höher stünden.
Autoritäre Persönlichkeiten sind laut Fromm und Adorno durch bestimmte Verhaltensmuster und Ideologien geprägt: Dazu gehörten einerseits eine starre Bindung an konventionelle Werte der Mittelschicht sowie die unkritische Unterwerfung unter idealisierte Machtpersonen, die der eigenen Gruppe zugeordnet werden. Hinzu komme andererseits die autoritäre Aggression, also die Tendenz, nach als "schwach" empfundenen Personen, die die idealisierten Werte missachteten, Ausschau zu halten, um sie zu bestrafen.
Hierarchisches Denken und Schuldprojektion
Fromm sprach von "sado-masochistischen Persönlichkeiten", die er nicht nur sexuell verstanden haben wollte. Insgesamt neigten die Menschen zum Gehorsam gegen Autoritäten und zugleich zur Unterdrückung Schwächerer oder als fremd empfundener Minderheiten sowie, und das betonte er, zur "Projektion eigener unbewusster Triebimpulse auf die Außenwelt". Der Denkrahmen derart konditionierter Menschen bewege sich, sind sich beide einig, innerhalb von Hierarchien und Machtstrukturen, zwischen Unterwürfigkeit und Aggression, Projektion und stereotypen Glaubensmustern.
Appelle an Humanismus oder Menschlichkeit, so war Adorno überzeugt, liefen angesichts dessen ins Leere. Das bringe die Adressaten "zum Weißglühen", da es ein "verhasstes Gefühl von Angst und Schwäche" erzeuge, sagte er einmal. Und weiter: "Das einzige, was mir etwas zu versprechen scheint, ist, dass man potentielle Anhänger des Faschismus warnt vor dessen Konsequenzen, die auch sie ins Unheil führen werden."
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https://deutsch.rt.com/meinung/91078-angst-vor-statusverlust-adorno/
Religiöser Glaube und Rechtsextremismus
Als einen aktuellen Beleg für rechtsextreme Gewalt führte Stefan Huber, Leiter des Instituts für Empirische Religions-forschung an der Universität Bern und Co-Autor der Studie, den Terroranschlag in Hanau an. Die Verschwörungs-mentalität, von der dieser Täter offenbar getrieben war, sei der Versuch, eine immer komplexer werdende Welt schlicht in Gut und Böse zu unterteilen und die Schuld für Missstände Fremden zuzuschieben. Eine solche Gedankenwelt spiegle sich auch im Aberglauben wider, welcher eng mit dem Hang zu Verschwörungstheorien zusammenhänge. Stefan Huber hat die Studie zusammen mit dem Religionssoziologen und Rechtsextremismusforscher Alexander Yendell vom Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung der Universität Leipzig durchgeführt.
In ihrer Studie untersuchten Huber und Yendell, inwieweit verschiedene Formen von Religiosität rechtsextreme Ein-stellungen begünstigen oder eher verhindern. Dazu analysierten sie Daten einer repräsentativen Erhebung in Deutsch-land (Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften, ALLBUS 2018). Die Autoren stellten fest, dass Religiosität mit Rechtsextremismus statistisch zusammenhängt. Ein wichtiges Ergebnis belegt, dass insbesondere im Osten Deutschlands die Anbindung an eine Kirche gegen rechtsextreme Einstellungen «immunisiert». Demnach sind Menschen, die in Ostdeutschland häufig den Gottesdienst besuchen und an kirchlichen Aktivitäten teilnehmen, deutlich seltener anfällig für rechtsextreme Einstellungen. Die empirischen Religionsforscher erklären dies damit, dass kirchlich aktive Menschen sich mit der offenen und toleranten Weltanschauung ihrer Kirche identifizieren und Werte Nächsten-liebe und Toleranz höchste Priorität hätten. Dies sei gerade im Osten Deutschlands der Fall, wo die Kirche beim Fall der Mauer 1989 eine wichtige Rolle gespielt habe, aber nur etwa 20 Prozent der Bevölkerung konfessionell gebunden seien. Die kirchlich Aktiven, so ein weiteres Ergebnis der Studie, wählen im Osten signifikant seltener die AfD als Menschen, die mit der Kirche nichts zu tun haben.
Zugleich zeigen die Forscher, dass im Osten wie auch im Westen Deutschlands Aberglaube mit rechtsextremen Ein-stellungen verbunden ist. Der Glaube an Glücksbringer, Wahrsager, Horoskope und Wunderheiler gehe häufig mit einer ethnozentrischen Sichtweise und rechtsextremen Einstellungen einher. Ihre Befunde würden Theodor Adorno mit seinen Studien zum autoritären Charakter bestätigen, wonach abergläubische Menschen häufig die Welt in Gut und Böse unterteilen und in diesem Kontext zu Vorurteilen gegenüber Fremden neigten.
Die beiden Forscher messen der der evangelischen und katholischen Kirche eine besondere Rolle im Kampf gegen den Rechtsextremismus zu. Weil sich die Kirchen für zugewanderte oder geflüchtete Menschen und interreligiösen Dialog einsetzten, könnten sie dazu beitragen, Vorurteile etwa gegenüber dem Islam, Muslimas und Muslimen abzubauen.
Das sind ermutigende Einschätzungen von zwei Religionsforschern, nehmen doch in machen kirchlichen Milieus Fundamentalisierungstendenzen und Intoleranz zu.
Prof. Dr. Michael Utsch, EZW - Berlin
Quelle:
Stefan Huber, Alexander Yendell: Does religiosity matter? Explaining right-wing extremist attitudes and the vote for the Alternative for Germany (AfD). Religion and Society in Central and Eastern Europe 12/2019, 63-83.
https://www.rascee.net/index.php/rascee/article/view/165/pdf (open access)
http://ezw.kjm6.de/nlgen/tmp/1585054072.html