Wie die Grünen-Spitze den Pädophilie-Skandal totschweigt
Silke Hoock in DER WESTEN am 25.08.2013
Der Skandal um Pädophilie im grünen Parteiprogramm der 1980er Jahre zieht immer größere Kreise. Die Dis-kussion um den Stellenwert der aus heutiger Sicht eindeutig abzulehnenden Ideologie bleibt dabei einseitig - von Seiten der ehemaligen „Kinderschwärmer“ ist keine Stellungnahme zu hören.
Essen. Die Grünen sind keine Partei von Pädophilen und Kinderschändern. Aber Pädokriminelle, die Sex mit Kindern praktizierten und legalisieren wollten, waren in ihrer Mitte. Oder auch Mütter und Väter, die alles Bürgerliche verachteten und glaubten, sexueller Kontakt mit Kindern sei revolutionär. Ob sich aus dem Handeln von damals ein Schuldbewusstsein entwickelt hat, weiß niemand. Die Revolutionäre von einst schweigen.
Doch das Schweigen der Parteispitze, die sich lediglich zu einem „wir sind bestürzt“-Kommentar veranlasst sah und auf eine Aufklärungsstudie verweist, stößt auf Kritik. „Die haben etwas zu verbergen. Die, die damals von Sex mit Kindern schwärmten, sind heute an der Macht“, sagt Norbert Denef, Vorsitzender des bundesweit größten Netzwerks Be-troffener sexualisierter Gewalt (NetzwerkB).
Empathie nur für Opfer der anderen
Sind diese Leute so mächtig, dass sie gar einen kritischen Artikel über Grüne und Pädophilie in der taz verhindern konnten? Die Spitzengarde um Jürgen Trittin und Claudia Roth hätte aus der Feder von taz-Autor Christian Füller unter anderem Folgendes lesen können: „Pädophilie aber war keine Nebensache bei den Grünen, sondern in der Ideologie angelegt“, „Empathie gibt es bei den Grünen nur für Opfer der anderen“, „Jürgen Trittin (...) weicht jedem Vergleich mit der katholischen Kirche aus. Das ist insofern richtig, als die katholische Kirche anders aufklärt als die Grünen - besser und gründlicher“.
Den immer wieder von der Parteispitze bemühten Eindruck, es habe sich bei den „Kinderschwärmern“ nur um einzelne Verirrte gehandelt, können die Grünen nicht aufrecht halten. Denn inzwischen liegen Aussagen darüber vor, was in den 1980er Jahren wirklich passierte, in Wohngemeinschaften, in Grünen-Jugendcamps oder in Kinderläden. Betroffene, die als Kinder in einer Kommune in Kamp-Lintfort lebten, berichten von jahrelangem Missbrauch durch einen Grünen-Landespolitiker.
Sex mit Kindern für fortschrittlich gehalten
Die, die sich trauen, ihr Schweigen zu brechen, liefern ein erschütterndes Bild. So wie die Schriftstellerin Sophie Dannen-berg. Pädophilie habe in den 68er Kreisen als eine Spielart der Sexualität gegolten. In ihrem Buch „Das bleiche Herz der Revolution“ beschreibt sie das Klima in links-alternativen Familien, die ihre Kinder in Kinderläden schickten. „Unsere Eltern taten das nicht, weil sie pädophil waren. Sie taten es, weil sie Sex mit Kindern für fortschrittlich hielten, weil sie dachten, dass Scham und Hemmung bourgeois seien“, lässt sich Dannenberg zitieren.
Die Alternative Liste in Berlin verteidigte Pädophilie gar in einer eigenen Broschüre. „Ein Herz für Sittenstrolche“ gilt in pädophilen Kreisen immer noch als gelungenes Werk. Die Liste, die die Verstrickung der Grünen aufzeigt und die Behauptung von der Einzeltäterschaft widerlegt, wird immer länger.
Europa-Politiker Daniel Cohn-Bendit, der in seinem Buch „Der große Basar“ von der Erotik der Kinder schwärmte, brachte den Stein ins Rollen. Zu erwähnen sind die Stadtindianer. Sie gaben sich als Kinderrechtler. Ihre Forderung, Sex mit Kindern zu legalisieren, wurde in NRW ins Wahlprogramm aufgenommen. Kaum Beachtung findet dagegen Dieter F. Ullmann, der in den 1980ern bei der Alternativen Liste in Berlin für Demokratie und Umweltschutz zuständig war. Obwohl Ullmann mehrfach wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt war, koordinierte er die Grüne Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule, Päderasten und Transsexuelle.
Sie machen sich lustig
Norbert Denef (NetzwerkB), als Kind jahrelang von einem Priester missbraucht und vom Bistum Magdeburg mit 25.000 Euro entschädigt, scheiterte im vergangenen Jahr bei einem Versuch, beim Bundesparteitag der Grünen für die Aufhebung der Verjährungsfrist bei sexuellem Missbrauch von Kindern zu werben. „Das wollte niemand hören. Mir wurde kein Rederecht erteilt“, sagt Denef. Diese Verjährungsfrist spiele allen Tätern in die Karten. „Die Opfer haben nach all’ den Jahren keine Beweise. Und wenn sie den Mund aufmachen, werden sie mit Verleumdungsklagen über-zogen. Das hält niemand aus.“ Die Grünen verhielten sich schlimmer als die katholische Kirche. Immerhin habe die Kirche ihr eigenes Versagen eingestanden und die Opfer um Entschuldigung gebeten, eine Hotline eingerichtet. Aber die Grünen?
Die sonst so aufmüpfige taz hätte es auf den Punkt gebracht, wäre der Grünen-kritische Artikel erschienen: „Denn anders als Erzbischof Zollitsch weigert sich der grüne Bischof Trittin eine Anlaufstelle für Opfer grüner Täter einzurichten. Darum schert sich bei den Grünen niemand, mehr noch, man macht sich lustig.“
Berliner Grüne und Kindesmissbrauch
Warum sich Pädophile bei den Grünen engagieren konnten
Der Bericht der „Kommission Aufarbeitung“ erschüttert die Berliner Grünen. Drei frühere Parteimitglieder konnten bis in die neunziger Jahre im sogenannten Schwulenbereich der Grünen für Pädophilie werben
Wer waren die Parteimitglieder?
Kurt Hartmann, Dieter F. Ullmann und Fred Karst werden in dem Bericht namentlich genannt. Ullmann und Karst steuerten die Diskussion unter den schwulen Grünen, obgleich bekannt war, dass beide wegen sexuellen Missbrauchs von Jungen im Gefängnis gewesen waren. Ullmann kandidierte als Freigänger 1981 für die Bezirksliste der Neuköllner Grünen für das Abgeordnetenhaus. Karst trat der West-Berliner Vorgänger-Organisation der Grünen, der Alternativen Liste (AL), 1983 bei, während der in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel eine Haftstrafe wegen sexuellen Missbrauchs verbüßte. Er gründete 1992 im Schwulenbereich die Gruppe „Jung und Alt“, in der sexuelle Beziehungen zu Minder-jährigen thematisiert wurden. Programmatisch waren die Grünen im Bund wie in Berlin seit Mitte der 80er Jahre auf Abstand zu den Forderungen der Pädophilen – doch in Berlin ließen sie den institutionellen Zusammenhang zwischen dem Schwulenbereich und der Gruppe „Jung und Alt“ zu. Die Berliner Grünen-Chefs Bettina Jarasch und Daniel Wesener wiesen am Mittwoch darauf hin, dies sei die einzige direkte Verbindung zwischen Grünen und Pädophilen gewesen. Der Kreuzberger „Falckensteinkeller“, in dem Karst Jungen missbraucht haben soll, war zumindest Kreuzberger Grünen suspekt, stand aber nicht in Verbindung mit der Partei.
Warum konnten sich Pädophile bei den Grünen engagieren?
Zum Selbstverständnis der Grünen beziehungsweise der AL gehörten zwei Prinzipien: Jede Minderheit hat ihre Daseins-berechtigung – die AL ist nur deren Plattform. Zweitens: Meinungsverschiedenheiten werden diskutiert, aber nicht per Führungsbeschluss beseitigt. Für die Pädosexuellen bedeutete dies, dass sie bei den Grünen für ihre sexuellen Auf-fassungen werben konnten, auch wenn die grüne Programmatik dies nicht vorsah. Wolfgang Wieland, AL-Mitgründer, ehemaliger Bundestagsabgeordneter und Mitglied der Berliner Kommission Aufarbeitung, sprach als früher führender Grüner von persönlicher Verantwortung dafür, dass man an die Opfer der Pädophilen nicht gedacht habe. Er wies aber auch auf ein politisches Umfeld hin, indem die Alternativen nach allem gefragt wurden, von ihrer Einstellung zur Gewalt bis zu ihrer Haltung zur DDR; nur nach den Pädosexuellen habe niemand gefragt.
Die AL-Mitgründerin und ehemalige Berliner Fraktionschefin Renate Künast sagte dem Tagesspiegel, sie könne sich das institutionelle Versagen heute nicht erklären: „Ich kann nur mit Grausen daran denken, was wir Menschen angetan haben, indem wir überhaupt Debatten über die Straffreiheit von Sex mit Kindern zugelassen haben. Im Zuge der großen kriminalpolitischen Reformdebatte haben wir nicht erkannt, dass dabei auch Tabus aufgebrochen werden, die man nicht aufbrechen darf. Es gab einen Mangel an Gefühl dafür, wer schutzbedürftig ist.“ Daniel Wesener, grüner Landesvorsitzender, sprach von einem gewissen „Opportunismus“ der Schwulen gegenüber den Pädophilen. Kritisch gegenüber den Pädophilen war innerparteilich nur eine Kreuzberger Frauengruppe, die von „einvernehmlicher Sexualität“ zwischen Erwachsenen und Kindern nichts wissen wollte. Dagmar Riedel-Breitenstein, Mitglied der Gruppe und der Kommission, sagte, bei den Grünen habe es eine gewisse „Gleichgültigkeit“ für die Ziele der Pädophilen gegeben.
Wie bewerten die Berliner Grünen das Ergebnis der Untersuchung?
An deutlichen Worten mangelte es der Berliner Parteivorsitzenden Bettina Jarasch nicht. „Wir schämen uns für das institutionelle Versagen unserer Partei.“ Man habe „jahrelang“ mindestens zwei strafrechtlich verurteilte Pädosexuelle in der Partei geduldet. „Wir bitten um Entschuldigung“, sagte Jarasch, die ihre Worte auch an die Opfer sexuellen Missbrauchs richtete. Der Bericht der Kommission sei „kein Abschlussbericht“. Der Landesvorstand hofft, dass sich Opfer melden würden. Man sei mit einem Betroffenen im Gespräch.
Was bieten die Berliner Grünen Missbrauchsopfern an?
Der Landesverband beteiligt sich an der Opfer-Anlaufstelle, die von der Bundespartei eingerichtet wurde. Die Hotline ist donnerstags von 18 bis 20 Uhr unter 030-28 44 21 97 erreichbar. Jarasch und Wesener betonten, dass sie beide auch Ansprechpartner seien. Opfer sexuellen Missbrauchs können eine „Anerkennungszahlung“ erwarten. Jarasch merkte an, dass es für Missbrauch keine Entschädigung respektive „Entschädigungszahlung“ geben könne. Man habe den Begriff „Anerkennungszahlung“ gewählt.
Wie gehen die Bundesgrünen mit der Pädophilie-Debatte um?
Im Sommer vor der Bundestagswahl beauftragten die Grünen den Göttinger Parteienforscher Franz Walter, das dunkle Kapitel der Parteigeschichte zu untersuchen. Die Debatte über die Straffreiheit von angeblich einvernehmlichen sexuellen Handlungen zwischen Erwachsenen und Kindern habe Mitte der 60er Jahre begonnen. Die Grünen hätten in ihrer Offenheit für Minderheiten solche Positionen „ideologisch veredelt“, sagte Walter. Nach der Bundestagswahl 2013 setzten die Grünen auf Bundesebene eine eigene Kommission zur Aufarbeitung ein. Die Leitung übernahm Parteichefin Simone Peter, die sich mehrfach dafür entschuldigte, dass die Partei erst viel zu spät Verantwortung übernommen habe.
Volker Beck täuschte Öffentlichkeit über Pädophilie-Text
In der Pädophilie-Debatte gerät jetzt auch der Grüne Volker Beck unter Druck: Ein umstrittener Text des Fraktionsgeschäftsführers von 1988 über Sex zwischen Kindern und Erwachsenen ist nach SPIEGEL-Recherchen doch nicht vom Herausgeber inhaltlich verfälscht worden. Beck aber hatte das stets behauptet.
Ann-Katrin Müller im SPIEGEL ONLINE am 20.09.2013
Berlin - In der Affäre um die pädophilen Verstrickungen der Grünen hat der Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck die Öffentlichkeit jahrelang hinters Licht geführt. SPIEGEL-Recherchen im Archiv der Heinrich-Böll-Stiftung belegen, dass ein Manuskript aus dem Schwulenreferat der grünen Bundestagsfraktion, dessen Referent Beck war, nahezu identisch ist mit einem Gastbeitrag Becks für das Buch "Der pädosexuelle Komplex".
In dem 1988 erschienenen Buch schreibt Beck: "Eine Entkriminalisierung der Pädosexualität ist angesichts des jetzigen Zustandes ihrer globalen Kriminalisierung dringend erforderlich."
Der Bundestagsabgeordnete aus Köln war wegen des Beitrags immer wieder scharf angegriffen worden. Mehrfach verteidigte er sich mit dem Argument, der Text sei vom Herausgeber nachträglich im Sinn verfälscht worden. Auf SPIEGEL-Anfrage und nach Ansicht des Manuskripts verwies er darauf, dass der Herausgeber seine zentrale Aussage durch Kürzen der Überschrift gestrichen habe.
Vergleicht man allerdings die beiden Texte, ist Becks zentrale Aussage noch enthalten, im Sinn verfälscht wurde der Gastbeitrag durch die Änderung des Herausgebers keineswegs. Beck räumt ein, dass seinem Beitrag der falsche Gedanke zugrunde liege, dass es theoretisch gewaltfreien und einvernehmlichen Sex zwischen Erwachsenen und Kindern geben könne. Dafür entschuldige er sich.
Erst am Montag war bekannt geworden, dass Spitzenkandidat Jürgen Trittin 1981 das kommunalpolitische Wahl-programm einer Göttinger Grünen-Liste presserechtlich verantwortet hatte, in dem unter anderem die Straffreiheit von gewaltfreiem Sex zwischen Erwachsenen und Kindern gefordert wird. Darauf waren die Parteienforscher Stephan Klecha und Franz Walter gestoßen, sie veröffentlichten in der Tageszeitung "taz" einen entsprechenden Artikel.
Bereits am Dienstag konfrontierte der SPIEGEL Beck mit dem Fund. Der grüne Politiker entschied sich daraufhin offen-sichtlich für Vorwärtsverteidigung und gab das Dokument am Mittwoch mit einer Stellungnahme an verschiedene Medien weiter, darunter die "Frankfurter Rundschau". Offenbar soll so der Eindruck entstehen, er sei Aufklärer in eigener Sache.
Immer noch beharrt Beck jedoch auf seiner Aussage, dass der Herausgeber den Sinn des Textes durch das Ändern der Überschrift entstellt habe. Auch die Göttinger Wissenschaftler rund um Professor Walter, die das Thema für die Grünen aufarbeiten, waren auf das Dokument gestoßen und hatten Beck Anfang der Woche zu dem Fundstück befragt. Ihre Forschungen dazu sind noch nicht abgeschlossen.