Bradley Manning, der "Chelsea" genannt werden möchte, seit er "einen auf Frau macht". Woran erkennt man den (Selbst)Betrug? Der Körper lügt nicht: Da hilft auch keine Schminke oder gestisches Getue.
Was bedeutet eigentlich «sexuelle Identität»? Was «misgendern»?
Wie Aktivisten die Sprache umkrempeln
Sprachliche Eingriffe suggerieren eine harmlose Anpassung an neue Verhältnisse. Tatsächlich steckt eine ideologische Agenda dahinter.
Rieke Hümp, NZZ, 13.09.2022
Wenn der Vater zum verkaterten Sohn am Frühstückstisch sagt: «Du hast doch eine Birne», dann meint er natürlich nicht das Kernobstgewächs mit dem wissenschaftlichen Namen Pyrus, sondern den Brummschädel seines Sprösslings. Die Bedeutung eines Wortes je nach Kontext zu begreifen, ist für unser Gehirn ein Kinderspiel. Das Bild einer Matschbirne veranschaulicht das Kopfgefühl nach zu viel Alkoholkonsum. Im Volksmund hat der alte Begriff eine zweite Bedeutung bekommen.
Einem Begriff eine neue Bedeutung zu geben, kann die Sprache also ungemein bereichern. Doch kann es sie auch zerstören. Aktivisten arbeiten mit Begriffsumdeutungen, allerdings heisst das Ziel nicht Veranschaulichung, sondern Verwirrung. Damit soll eine politische Agenda umgesetzt werden. Der Begriff «rechts» beispielsweise, ursprünglich auf die Sitzordnung im französischen Parlament bezogen, verortet nun plötzlich eine gesellschaftlich zu ächtende, weil angeblich menschenfeindliche Gesinnung. «Rechts» ist dann nicht mehr der Gegenpol von links, sondern von woke und (vermeintlich) gut. Alte und neue Bedeutung stehen im Verdrängungskampf.
Geschlecht ist biologisch definiert
Die Begriffe, denen beispielsweise Gender-Aktivisten eine andere, oft gegenteilige Bedeutung verpassen, sind zahlreich. Ein Beispiel ist das «soziale Geschlecht».
Das Wort «Geschlecht» hat zwar schon seit je mehrere Bedeutungen im Deutschen, vorherrschend ist allerdings jene biologische Definition, die den wesentlichen Unterschied zwischen weiblich und männlich beschreibt. Erwachsene Menschen weiblichen Geschlechts nennen wir Frauen, die des männlichen Geschlechts Männer.
Das Adelsgeschlecht meint die Abstammung, aber auch die primären Geschlechtsorgane können als Geschlecht bezeichnet werden. Ferner gibt es noch das grammatikalische Geschlecht, auch Genus genannt. Dieses stimmt nicht immer mit dem biologischen überein. So ist der Mond nicht männlich, er hat kein Geschlecht.
Ähnlich wie das grammatikalische Geschlecht klingt jedenfalls nun auch das «soziale Geschlecht». Doch was genau soll ein soziales Geschlecht sein? Versuchte ich es für mich selbst abzuleiten, würde ich es mit «von der Gesellschaft wahrgenommenes Geschlecht» übersetzen. So gibt es zum Beispiel transsexuelle Männer, die aufgrund ihres Aussehens und Verhaltens von den meisten Menschen für Frauen gehalten und entsprechend behandelt werden. So verstanden wäre der Begriff «Geschlecht» in der Rede vom «sozialen Geschlecht» treffend.
Teile der Persönlichkeit
Tatsächlich geht es den Sozialwissenschaften beim «sozialen Geschlecht» aber um geschlechtstypisches Rollenverhalten. Und um die Verwirrung komplett zu machen, benutzen Gender-Aktivisten es zusätzlich dann auch noch im ganz anderen Sinne einer «weiblichen Seele». Aber «Geschlecht» bezeichnet nicht das individuelle Aussehen, Denken und Fühlen eines Menschen, sondern diese Phänomene betreffen unsere Persönlichkeit. «Persönlichkeit» ist ein schöner Begriff, der alles vereint. Ein Mann kann zum Beispiel eine feminine Persönlichkeit haben. Auch das Gefühl, in einem falschen Körper geboren zu sein, kann Teil einer Persönlichkeit sein.
Was aber, wenn das «soziale Geschlecht» plötzlich keine selbstbestimmte, sondern eine fremdbestimmte Zuordnung wäre? Wenn Beratungsstellen etwa diagnostizieren, dass ein zarter, sich feminin verhaltender Junge eine Mädchenseele im falschen Körper haben müsse? Wie freiwillig und selbstbestimmt ist es, wenn kleinen Mädchen, die gerne mit Baggern spielen, suggeriert wird, ihre Seele wohne im falschen Körper, und weder Eltern noch Ärzte widersprechen dürfen? Man mag das für eine gruselige Utopie halten: Entsprechende Gesetze sind bereits verabschiedet oder sind auf dem Weg dahin.
Irgendwann fiel auch das Attribut «sozial» einfach weg. Die Rede ist nur noch vom Geschlecht, dieses könne man wechseln, zudem gebe es viele Geschlechter. So kommuniziert es beispielsweise der öffentlichrechtliche Rundfunk (ÖRR) quer durch all seine Social-Media-Angebote für Jugendliche.
So wurde die Definition des Begriffs «Geschlecht» erst vernebelt, dann entkernt und schliesslich ersetzt. Wer auf die Bedeutungsverschiebung hinweist, wird als transphob und rechts gebrandmarkt. Die Methode der Bedeutungs-verschiebung und die Unterdrückung von Kritik sind typisch für totalitäre Ideologien.
Es geht um die richtige Gesinnung
Ein anderer Begriff mit einer Agenda ist das Wort «queer». Offiziell sind alle queer, die nicht der «heterosexuellen Norm» entsprechen. Aber diese offizielle Definition ist Unfug. Heterosexualität ist keine Norm, sondern eine sexuelle Orien-tierung. Und sie ist deswegen so weit verbreitet, weil sie die Fortpflanzung sichert. In der offiziellen Definition kommt aber «queer» ohnehin nicht zum Einsatz. Denn lesbische Frauen, die qua definitionem queer sein müssten und die Zweigeschlechtlichkeit verteidigen, werden nicht als queer bezeichnet, sondern als Terfs (trans-exclusionary radical feminists). Der Begriff wird aber von Transgender-Ideologen längst als Schimpfwort für alle Frauen gebraucht, die der Biologie nicht abschwören wollen.
In Wahrheit geht es also um die richtige Gesinnung. Mehr als gegen Heterosexuelle grenzt «queer» gegen die Kritiker der Gender-Ideologie ab. Mit dem Ergebnis, dass die bewusst schwammige Umdeutung die alten, klaren Begriffe er-setzt. Was aus der Sprache verschwindet – die Schwulen, die Lesben, ja mittlerweile selbst die Frauen –, lässt sich aber auch nicht mehr schützen.
Was ist «sexuelle Identität»?
Auch die «sexuelle Identität» ist einer dieser Agenda-Begriffe. In meinem Duden von 1967 wird Identität noch als «vollkommene Gleichheit zweier Dinge, Einerleiheit, Wesensgleichheit» beschrieben und auf die Gesetze der Logik verwiesen: «A=A». Ich könnte mir also unter einem Pseudonym eine zweite Identität zulegen.
Doch mittlerweile wird Identität auch als Selbstbild verstanden. Dieses kann – wie wir alle wissen – indes stark von
der Wirklichkeit abweichen: So kann sich ein alter Mann selbst als weibliches sechzehnjähriges Lustobjekt erleben.
Aktivisten fordern nun den Schutz der «sexuellen Identität» im Grundgesetz; er soll dort den Schutz der «sexuellen Orientierung» ersetzen. Würde die gleiche Forderung auch mit dem Begriff «sexuelles Selbstbild» funktionieren? Natürlich nicht, denn dann würde ja jeder erkennen, was für eine Gefahr das mit sich brächte. Deshalb wird als Trick eine «A=A»-Logik angewandt, um die neue schwammige Definition ins Grundgesetz zu schummeln.
Als letztes Beispiel sei der Begriff «misgendern» erwähnt. Jemanden zu misgendern, ist ein Tabu. Misgendern soll – wenn es nach Grünen und FDP geht – sogar mit 2500 Euro Strafe gebüsst werden. So steht es in den vergangenen Entwürfen von FDP und Grünen zum Selbstbestimmungsgesetz, und auch das Eckpunktpapier sieht ein sanktionsbewehrtes Offenbarungsverbot vor. Doch wie definiert sich der Begriff?
Das «Queer-Lexikon» formuliert es so: «Misgendern bedeutet, dass eine Person einem falschen Geschlecht zugeordnet und/oder über sie mit dem falschen Pronomen geredet wird.» Benutzt wird der Begriff aber in gegenteiliger Bedeutung. «Misgendern» bedeutet dann, eine Person dem realen Geschlecht zuzuordnen und/oder mit den dazugehörigen Pronomen über sie zu sprechen, obwohl sie das ablehnt.
Im Grunde bedeutet «misgendern» also, das Selbstbild der Person zu enttäuschen. Der Begriff «misgendern» soll also all jene stigmatisieren, die sich nicht dazu zwingen lassen möchten, von der Realität abzuweichen, um das Selbstbild des anderen zu bestätigen: Jemand wird hier zur Lüge gezwungen. Das ist totalitär.
Methoden der Cancel-Culture
Aktivisten fordern also unter Androhung von Strafzahlung die Akzeptanz ihres falschen Selbstbildes ein. Umgekehrt diffamieren sie Kritiker, ohne mit der Wimper zu zucken, als Menschenfeinde, Terfs, Nazis. Das sind die bereits ange-wandten Methoden der Cancel-Culture, Andersdenkende werden zum Kuschen gezwungen. Als Methode dient der harmlos wirkende sprachliche Eingriff entsprechend einer ideologischen Agenda. Orwell lässt grüssen.
Was wäre aber hier die beste Verteidigung unserer auf klarer Verständigung und Aufgeklärtheit beruhenden Gesellschaft? Gender-Aktivisten arbeiten mit Verschleierungstaktik. Wir müssen also vermehrt penibel auf die Präzision der Sprache drängen, Definitionen einfordern und die ideologische Agenda als solche kenntlich machen.
Rieke Hümpel ist Biologin, Publizistin und betreibt eine Werbeagentur.
«Sexuelle Identität»: Wie Aktivisten die Sprache umkrempeln (nzz.ch)