Bundesrepublik Deutschland

Einigkeit und Recht und Freiheit!

 

 

Deutschlands Zukunft mit den Flüchtlingen. Die Neuen werden bleiben

 

Wir schaffen das - aber was eigentlich? Als Einwanderungsland braucht Deutschland Ansiedelungskonzepte, neue Strukturen und Ideen. Ein Kommentar von Peter von Becker, Der Tagesspiegel, Berlin 28.02.2016

 

Wir schaffen das! Bei dem Satz liegt die Betonung bisher vor allem auf den beiden ersten Worten. Was aber ist eigentlich „das“?

 

Geopolitisch gehören hierzu die neuen Völkerwanderungen, denen ein zerstrittenes Europa an seinen Außengrenzen begegnen will, als könnte man das Mittelmeer noch zum Burggraben machen – und sich auf anderen Kontinenten seine Wächter erkaufen. Aber was passiert in Deutschland, was geschieht mit viel mehr als einer Million Migranten, die schon da sind und hier bleiben werden?

 

Für Illusionen, rechte oder linke, ist es längst zu spät. Denn keine Asyl- und Aufenthaltsrechtsänderungen, keine Symbolpolitiken, die angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen im Schwange sind, können wirklich rückgängig machen, was doch längst geschehen ist. Deutschland ist unwiderruflich zum Einwanderungsland geworden, und wer das nicht begreift, gehört zu den ewig oder neuerlich Gestrigen. Also hilft kein nostalgisches (oder blindwütiges) Zurück, sondern nur noch vorausschauendes Denken. Mit mehr Mut und Ehrlichkeit. Wirtschaftler und Wissenschaftler haben bereits geschätzt, dass es um ein 50-Milliarden-Projekt geht bei der neuen Infrastruktur des Einwanderungslandes Deutschland. Das bedeutet auch eine Chance, aber kein schwarzes Nullsummenspiel.

 

Wichtiger als ein Plan ist eine motivierende Vorstellung

 

Die Mühen der Ebenen, die Minima Moralia der Integration von mehr als einer Million kulturell vielfach fremder Neubürger stehen am Anfang: Obdach, Sprachkurse, Kinderbetreuung, schulische und berufliche Qualifizierung, Kriminalitätsbekämpfung sowie die verbindliche Vermittlung von demokratisch-emanzipatorischen Grundrechten und Grundpflichten, die in den Herkunftsländern der Migranten meist nicht existieren. Das alles ergibt schon eine Riesen-aufgabe, an der nicht nur die Hauptstadt Berlin mit dem Engagement seiner öffentlich bediensteten Helfer und zahlloser Unterstützer aus der Bürgerschaft an eigene, oft bürokratische Grenzen gerät.

 

Es ist Zeit für Modellversuche - und neue Städte

 

Diese zuerst humane, im zweiten Schritt dann zivilisatorische und gesamtstaatliche Herausforderung bedarf allerdings auch einer übergreifenden, motivierenden Vorstellung. Die Frage des künftigen Zusammenlebens wird dabei kein einzelner Masterplan beantworten können. Aber für mehr als nur neue Flüchtlingsverteilungspläne ist es hoch an der Zeit. Ein Anfang wären da schon lokale oder regionale Modellversuche. Die Neubesiedlung und Neubelebung von schrumpfenden, „aussterbenden“ Städten und Landstrichen, gestern noch schiere Utopie, wäre inzwischen ein Beispiel.

 

Hierfür müssten Kommunen und Landkreise offensive und offene Bedarfsanalysen liefern. Mit Bundes- und Landesförderung, mit Hilfe von Stiftungen und Forschungsinstituten könnten dann Stadt- und Landschaftsplaner, Ökonomen, Ökologen, Handwerker, Pädagogen, Künstler, Mediziner, Sozial- und Kulturwissenschaftler mit Vertretern der Einheimischen und der Migranten gemeinsame Netzwerke bilden.

 

Modelle in ähnliche Richtungen existieren bereits in manchen Ländern, von Großbritannien bis Brasilien. Deutschland Einwanderungsland braucht neue An- und Besiedelungskonzepte: für sich mittelfristig selbsttragende Strukturen. Einst lief das mit den Hugenotten in Preußen noch per hoheitlichen Federstrich. Das geht nun nicht mehr. Aber mehr gestalten als nur verwalten ginge schon in diesem Land.

 

 


 

Das Gegenteil von gut gemeint

 

Es ist jetzt zehn Jahre her, dass der damalige Bundespräsident Christian Wulff einen Satz sagte, der der Union noch heute um die Ohren fliegt: „Der Islam gehört zu Deutschland“. Der Streit darüber dauert bis heute an,

aber was hat er gebracht? Seyran Ates über eine Debatte, die sich im Kreis dreht.

 

EIN GASTBEITRAG VON SEYRAN ATES im CICERO ONLINE am 11. Oktober 2020

 

Der Satz: „Der Islam gehört zu Deutschland“ sagt auch nach zehn Jahren gleichzeitig viel und gar nichts aus. Meinem Verständnis nach handelt es sich nach wie vor um ein politisches Statement wie aus dem Buch „Politik für Dummies“. Generisch, voreilig und provokativ. Es war und bleibt ziemlich ambitioniert, dass ein europäischer Staatsmann tatsäch-lich versucht hat, eine dezentralisierte Religion, die ihren Ursprung nachweislich nicht in Europa hatte, mit 1,8 Milliarden Anhängern, ohne theologische Hierarchien und mit einem knapp 1.400 Jahre alten interpretationsbedürftigen Heiligen Buch als Bezugspunkt, in einer so simplen Weise zusammenzufassen.

 

Ich glaube unserem Bundespräsidenten a.D. Wulff, mit dem ich mich mehrfach persönlich unterhalten durfte, dass er mit diesem Satz eine positive Absicht formulieren wollte, die darauf abzielte, die soziale Inklusion der muslimischen Bevölkerung zu fördern und Einwanderungsbemühungen zu unterstützen.

 

Gut gemeint ist noch lange nicht gut

 

Darüber hinaus bin ich mir sicher, dass es sogar ein gut gemeinter Versuch war, den deutschen Muslimen das Gefühl der Zugehörigkeit zu verschaffen und ihnen gleichzeitig die Wertschätzung der Bundesrepublik darzubieten. Gut gemeint ist aber noch lange nicht gut, denn Wulff hat unbeabsichtigt gleichzeitig den Pfahl für eine Schwarz-Weiß-Debatte eingeschlagen, die jetzt schon zehn Jahre lang andauert.

 

Die „Islam-Frage“ gleicht einem politischen Minenfeld. Nicht zuletzt vor Wahlkämpfen lassen sich Journalisten zur Frage verleiten: „Gehört der Islam nun zu Deutschland oder nicht?“ Als der heutige Bundesinnenminister Horst Seehofer, der in Sachen Islam ganz bestimmt nicht zu meinen favorisierten Politikern gehört, erklärte, er stimme nicht mit der An-nahme überein, dass „der Islam zu Deutschland gehöre“, war die Erregung wieder groß, und natürlich interessierte sich niemand mehr für den Rest des Satzes: „Aber Muslime tun es“. Seehofer erhielt gleich zu Beginn seiner Amtszeit einen Stempel als Islamophober aufgedrückt, und laut Grünen Politikern wie Jürgen Trittin versuchte Seehofer bewusst, die Bevölkerung zu spalten. Das Problem an dieser Diskussion ist leider die Diskussion selbst.

 

Warum spielt die Zahl 4,8 Millionen eine Rolle?

 

Es soll 4,8 Millionen muslimische Deutsche, beziehungsweise Muslime in Deutschland geben, denen man aufgrund ihrer wachsenden Anzahl gerecht werden wolle. Dies ist eine sehr edle Einstellung. Doch bereits an dieser Stelle bekommt die Diskussion eine Schräglage. Die genaue Zahl selbst und deren Erfassung sind mehr als kritikwürdig. Man habe das Melderegister herangezogen und alle Menschen aus islamischen Ländern als Muslime erfasst. Dem folgt die nächste Irritation. Warum hängt es von der Anzahl der Muslime ab, ob Muslime und ihre Religion als Teil eines Landes bewertet werden?

 

Mit besagter Aussage kann man einfach keine Diskussion über den Islam in Deutschland einleiten. Man erschlägt sie, bevor sie begonnen hat. Die überwältigende Mehrheit der Muslime lebt tagein tagaus rechtstreu, mehr oder weniger arbeitsam, absolut friedlich und völlig unauffällig mitten unter allen anderen hier wohnhaften Menschen. Manche von ihnen gehen freitags in eine Moschee, andere nicht. Was wir aber nicht leugnen können ist, dass muslimische Parallel-gesellschaften entstanden sind, in denen Probleme existieren und aus denen heraus es zu Problemen kommt. Seit Jahren weise ich darauf hin. Probleme zu benennen bedeutet nicht, sich gegen eine Religion oder Ethnie zu stellen, sondern sich ernsthaft um Lösungen zu bemühen. Hier ein erneuter Versuch der Erläuterung:

 

Problem 1: Wir kennen das Problem leider viel zu wenig. Österreich hat gerade eben eine Dokumentationsstelle für den politischen Islam ins Leben gerufen. Dieser Dokumentationsstelle steht mit Prof. Dr. Mouhanad Khorchide unter ande-rem ein in Deutschland tätiger Wissenschaftler vor. Es geht darum, ein Problembewusstsein zu schaffen, welche Struk-turen der politische Islam in der Gesellschaft entfaltet. Eine ähnliche Einrichtung wäre auch hierzulande dringend nötig. Es geht nicht um „Islam-Bashing“, wie das von den Hardlinern vorgeworfen wird. Es geht darum, gewisse Probleme und inakzeptable Verhaltensweisen sichtbar zu machen, damit politisch darauf reagiert werden kann, und das ist in einem Rechtsstaat völlig legitim.

 

Problem 2: Es ist mittlerweile keine Frage mehr, dass ein Tyrann vom Bosporus namens Erdogan jedes Machtvehikel in Europa, das sich ihm bietet, gezielt zu seinen Gunsten zu nutzen versucht. Das hilft primär ihm, wenn er ein Faustpfand gegenüber der EU oder Deutschland braucht. Aus diesem Blickwinkel betrachtet kann die Kooperation mit der Ditib und ihren Verbänden nur als schlechter Scherz gesehen werden. Natürlich sind diese Moscheen „politisch aufgeladen“, zwar nicht jede – aber zu viele. Der Weg aus dieser Situation muss von mutigen Politikerinnen und Politikern bestritten wer-den. Schonungslos und offen. Wenn es keine Ditib-Kooperationen im Bildungsbereich mehr gibt, müssen wir den isla-mischen Religionsunterricht anders lösen. Es wird möglich sein.

 

Problem 3: Die Finanzierung aus dem Ausland. Kürzlich wurde in Deutschland das von französischen Journalisten ins Deutsche übersetzte Buch „Katar Papers“ ins Deutsche übersetzt. Es ist keine Überraschung, dass der Golfstaat neben Prestigeprojekten wie dem „House of One“ hierzulande auch zahlreiche Verbände unterstützt. Nur haben diese alle-samt, von wenigen Ausnahmen abgesehen, eine ausgesprochene Nähe zu den Muslimbrüdern und deren Vision von einem politischen Islam. Ich sage es in aller Deutlichkeit – diese Verbände gehören aufgelöst und ihre Bildungsein-richtungen geschlossen. Es ist frustrierend zu beobachten, wie eine Moschee nach der anderen von bekannten Muslimbrüdern aus dem Boden gestampft wird und sich die politische Elite die Zuständigkeits-Kartoffel zuwirft oder resigniert.

 

Problem 4: Die Bruchstellen der Integration sind natürlich Bildung und Spracherwerb. Ich werde mich hier nicht ver-tiefen, aber in jeder Studie zum Thema Integration ist eine Aussage unumstritten, dass Spracherwerb der Schlüssel

zur Integration ist. Er ist auch der Schlüssel zu gesellschaftlichem Diskurs und zur Partizipation.

 

Political Leadership in Frankreich – eine Warnung oder Vorsehung?

 

Der bislang moderate Präsident Emmanuel Macron hat letztlich beschlossen, eine harte Offensive gegen den politischen Islam und die Schaffung von Parallelgesellschaften einzuleiten. Es scheint, als hätte er plötzlich die drohende Gefahr erkannt, die aus einer seit Jahrzehnten angespannten Sicherheitslage und einer fast unkontrollierbaren Situation in vielen Vororten entsprungen ist. In einer Ansprache am 2. Oktober stellte der französische Präsident seinen Plan zur Bekämpfung des „islamischen Separatismus“ vor und kündigte seine Absicht an, „den Islam in Frankreich von aus-ländischen Einflüssen zu befreien.“

 

Er sagte, das Land werde ein System beenden, das es Imamen erlaubt, in Übersee wie Marokko, der Türkei oder Alge-rien ausgebildet zu werden, um danach in Frankreich tätig zu sein und versprach die Kontrolle über ausländische reli-giöse Finanzierung von islamischen Einrichtungen in Frankreich zu übernehmen.

 

Die deutsche Islam-Debatte dreht sich im Kreis

 

„Das Ziel in Frankreich“, sagte Macron, sei es, eine Generation von Imamen und Intellektuellen auszubilden und zu för-dern, die einen Islam verteidigen, der voll und ganz mit den Werten der Republik vereinbar ist". Auch den illegitimen „Schulen“, die von Radikalen geführt werden, will der Präsident den Hahn abdrehen. Ab Januar 2021 wird die häusliche Bildung streng begrenzt und die schulische Ausbildung ab dem 3. Lebensjahr obligatorisch sein, um den Einfluss auf die Jugend zu unterbinden.

 

Es bleibt natürlich abzuwarten, ob die politische Umsetzung dieser ambitionierten Ankündigungen erfolgt. Eines muss man Macron jedoch lassen – er hat gezeigt, dass er das Problem erkannt hat, und er schlägt konkrete Maßnahmen vor. Ob diese Wende noch rechtzeitig für Frankreich kommt, ist freilich eine andere Frage. Festzuhalten ist für Deutschland jedenfalls, dass wir mit der Islamdebatte, wie wir sie bislang geführt haben, einfach nicht weiterkommen.

 

Mehr Leadership, weniger Populismus

 

Wir müssen lernen angemessen, vernünftig und ernsthaft zu differenzieren. Das mag zwar in einem von Effekthascherei getriebenen täglichen Medienwirbel schwierig sein, aber es ist notwendig. Wenn wir etwas aus Covid-19 gelernt haben, ist es doch, dass die Politik grundsätzlich auch schwierige und komplexe Probleme lösen kann. Das Thema politischer Islam ist ein ebensolches, daher wünsche ich mir zum „Jubiläum“ der Frage, „Gehört der Islam zu Deutschland, ja oder nein?“ nur eines – mutige Politik mit mehr „Leadership“ und weniger Populismus.

 

Seyran Ateş arbeitet als Anwältin und Publizistin. Sie ist Gründerin der liberalen Ibn Rushd-Goethe Moschee in Berlin.

 

https://www.cicero.de/innenpolitik/gehoert-der-Islam-zu-deutschland-debatte-muslime-frankreich-macron-islamrede

 



 

Gehört der Islam zu Deutschland?

Karin Heepen, Bündnis C - 13.03.2018

Die Debatte ist von Innenminister Seehofer neu angestoßen worden. Dabei beantwortet weder ein Ja noch ein Nein, was aus der einen oder der anderen Feststellung für den Umgang mit dem Islam in Deutschland folgt.

Die richtigen Fragen zu stellen und zu beantworten, ist für Politik und Kirchen überfällig.

Im Blick auf die europäische Geschichte gehört der Islam nicht zu Deutschland, sondern stand unserer Kultur und Religion eher feindlich gegenüber. Mit dem Zuzug von Muslimen in den letzten 50 Jahren wurde ihm in Europa die Tür geöffnet. Nicht nur 4 Millionen Muslime mit deutscher Staatsangehörigkeit sind mittlerweile Teil der deutschen Gesell-schaft, sondern mit immer mehr Moscheebauten, Verbänden und Rechten auch der Islam als religiöses, soziales und politisches System. Es fehlt jedoch eine kritische Debatte, wie die religiösen und kulturellen Konflikte zwischen einer islamischen und der westlichen Gesellschaft zu lösen wären. Denn der Islam ist nicht nur die Religion von Individuen im privaten Raum, sondern ein kollektives System. Und in der Auseinandersetzung mit der westlichen Welt ist seit Beginn des 20. Jahrhunderts der Islamismus neu aufgeflammt.

Politische Ebene: Schari’a vs. Grundgesetz

Der politische Konflikt wird meist in der Frage thematisiert, ob der Islam mit demokratischen Regierungsstrukturen und dem deutschen Grundgesetz vereinbar sei. Wenn man die Schari’a neben das Grundgesetz legt, sind die Diskrepanzen offensichtlich. Vor allem das islamische Personenstandsrecht (Eherecht, Scheidungsrecht und Erbrecht) steht der deutschen Rechtsauffassung entgegen, ebenso verschiedene Strafrechtsverordnungen.

Nun kann man die Schari’a mit der Feststellung abtun, dass sie in Deutschland nicht gilt und so die notwendige Debatte unterbinden. Der Koran untersagt jedoch die Trennung zwischen dem Islam als Religion und dem Islam als politisches System. Eine islamische Gesellschaft muss nach dem Schari‘a-Gesetz regiert werden. In dieser Einheit von Religion und Recht strebt der Islam eine Theokratie an, keine Demokratie. Der Souverän im islamischen Weltverständnis ist nicht das Volk, sondern Allah. Der Islam beruft sich auf die göttlichen Offenbarungen und Rechtsordnungen, der demokratische Rechtsstaat auf die Gebote der Freiheit und der Menschenwürde.


Natürlich wird das hier und heute von Islamverbänden so nicht eingefordert, weil wir keine islamische Gesellschaft sind. Das heißt jedoch nicht, dass der Anspruch deswegen aufgegeben wird. In den muslimischen Parallelgesellschaften werden Rechtsstreitigkeiten von Schari‘a-Gerichten geklärt. Und die Strategien zur Ausbreitung des Islam sind bekannt: Immigration, Kinderreichtum, Missionierung, Eheschließungen, politische Einflussnahme. Legitime Mittel des Kampfes um Allahs Willen sind auch die Täuschung der Feinde des Islam und Gewalt gegen Ungläubige.

Selbst wenn man diese Strategien als böswillige Unterstellungen bezeichnet, gibt es offizielle Verlautbarungen zum islamischen Rechtsverständnis, die den Konflikt mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung offensichtlich machen: Alle islamischen Menschenrechtserklärungen (1990 Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam, 2004 Arabische Menschenrechtscharta der Arabischen Liga) stellen in der Präambel die Schari’a über jegliche Menschenrechte. Der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 verweigerten die islamischen Staaten hingegen ihre Zustimmung.

Der europäischen Vorstellung der Trennung von Staat und Religion sind Muslime, die die Ausbreitung des Islam verfolgen, ganz offensichtlich nicht bereit zu folgen. Wenn der politische Islam nicht vom Islam als Religion getrennt werden kann, muss die politische Frage lauten, ob die weitere Ausbreitung des Islam in Deutschland und Europa wünschenswert ist und wie der Ausbreitung in die Gesellschaft über die Religionsgemeinschaften hinaus ggfs. Grenzen gesetzt werden müssen.

Der religionspolitische Konflikt: Bedrohung von Konvertiten vs. Religionsfreiheit

Religionspolitisch ist der Konflikt, der mit dem Islam in Deutschland schwelt, die nicht gewährte Religionsfreiheit. Der Abfall vom Islam gilt auch in Europa dem größten Teil der Muslime gemäß Schari’a als strafwürdiges Vergehen. Auch in Deutschland werden Apostaten mit dem Tod bedroht. Menschen, die den Islam verlassen haben, deshalb untertauchen mussten und unter Polizeischutz leben, machen darauf immer wieder aufmerksam. Man muss es als gewollte Blindheit und Taubheit bezeichnen, dass diese Stimmen von der Politik unseres Landes ignoriert werden. Stattdessen sind die neuen Schwerpunkte der Islamkonferenz gemäß dem Wunsch der muslimischen Verbände die Stärkung der Altenhilfe und -pflege und muslimische Seelsorge.

Der Bürgerkrieg in Syrien ist nicht zuletzt eine politische und religiöse Auseinandersetzung zwischen islamischen Gruppierungen, deren Toleranzverständnis keine andere als die eigene Weltsicht zulässt. Moderate Muslime sind vor Krieg und Terror aus dem Nahen Osten nach Europa geflohen. Manche von ihnen sind in Deutschland Christen geworden. Dürfen sie hier von Muslimen angefeindet und bedroht werden?

Wie kann das Recht auf ungestörte Religionsausübung für eine Religion aussehen, die ihren Anhängern nicht die Freiheit gibt, diese Religion auch zu verlassen, und die damit die bei uns geltende Freiheit des religiösen Bekenntnisses verletzt? Wie viel Freiheit räumen wir Religionsgemeinschaften ein, die Abtrünnige und Andersgläubige unter Druck setzen und schlimmstenfalls mit dem Tod bedrohen? Gehören Repressalien gegen Apostaten zum Recht der ungestörten Religionsausübung dazu?

Religionsfreiheit ist nicht nur ein Grundrecht in Deutschland, sondern bedingt zugleich die Pflicht, sie jedem anderen zu gewähren. Es kann im Blick auf den Islam nicht nur einseitig die geltende Religionsfreiheit gefordert werden. Rechte und Pflichten zur Religionsausübung müssen in der Gesetzgebung in eine Balance gemäß dem Grundgesetz gebracht werden. Es reicht nicht, Moscheevereine pauschal auf das Grundgesetz zu verpflichten.

Die religiöse Frage: Aufklärung vs. Reformation

Stefan Ark Nitsche, Regionalbischof im Ev.-Luth. Kirchenkreis Nürnberg hebt in idea-Spektrum 14.2018 hervor, dass in Deutschland islamische Theologen sich der Herausforderung stellen, die sog. Schwertsuren zu verurteilen. „Im Geist der Aufklärung arbeiten sie an einer theologisch lauteren Darstellung des Islam, die es möglich macht, aus der Mitte der eigenen Glaubensüberzeugung heraus in unserer Gesellschaft anzukommen.“ (S. 15)

Vielleicht muss man dazu zuerst klären, wie eine Theologie im Geist der Aufklärung, die die Emanzipation des Menschen von der Autorität Gottes war, der Bibel die Kraft genommen und das christliche Zeugnis für unsere Gesellschaft immer mehr unwirksam gemacht hat. Nicht zuletzt dieses geistliche Vakuum gibt dem Islam in Europa Freiraum. Wenn man glaubt, mit einer Aufklärung auch den Islam für unsere Gesellschaft unschädlich machen zu können, entspringt das der Logik einer säkularen Gesellschaft, die jedoch dem Islam als Religion schon jetzt nichts entgegenzusetzen hat. Eine solche liberale Theologie widerstrebt dem Selbstverständnis des Islam weithin. Eine Aufklärung im europäischen Sinn würde außerdem Individualisierung und eigene Entscheidungen der Gläubigen fordern, denen sich das kollektive Verständnis der Umma als muslimische Weltgemeinschaft widersetzt.

Reformen vor allem in Richtung Religionsfreiheit wären nötig. Aber das „Allein die Schrift“ Luthers, das im Blick auf die Bibel das Christentum reformiert und die Freiheit des Christenmenschen neu hervorgebracht hat, zeitigt in Bezug auf den Koran ganz andere Auswirkungen. „Allein der Koran“ ist das Credo des IS und anderer islamistischer Richtungen, die moderate Muslime, Christen und andere Minderheiten zu Sklaven ihrer Diktion machen.

Die Auseinandersetzung mit dem Islam braucht keine weitere Aufklärung, sondern vor allem vonseiten des Christen-tums eine neue Reformation, die die biblische Botschaft ernst nimmt und dem Koran entgegenhält: die Botschaft von der Erlösung durch Jesus Christus aus aller Gewalt des Bösen, das nicht nur die islamische Welt erschüttert. Das ist der Auftrag der Kirchen. Es reicht nicht, Dialog und Frieden zu predigen, wo kein Frieden ist.

Kulturdifferenz: Kollektive Identität vs. Individuelle Freiheit

Dialog ist der Einstieg in jede Beziehung, und das nicht nur auf institutioneller, sondern vor allem auf persönlicher Ebene. Flüchtlinge aus dem arabischen Raum sind aufgrund der Gewalt zwischen den islamischen Gruppierungen in ihrem Selbstverständnis als Muslime häufig erschüttert. Von den etwa 4 Millionen Muslimen mit deutscher Staatsangehörigkeit sind die meisten aber türkischer Herkunft. Religion und Tradition werden bei ihnen von der zweiten und dritten Generation teilweise intensiver gepflegt als von ihren Eltern. Die gemeinsame Identität des Muslim-Seins ist im kollektiven Bewusstsein der türkischen Migrantengesellschaft verankert und wird vom Einzelnen kaum subjektiv in Frage gestellt. Der Islam entfaltet weit in den Alltag der Muslime hinein in vielfältigen Formen Wirksamkeit und stellt eine mächtige Kraft der Lebensgestaltung der Community wie auch der Strukturierung sozialer Beziehungen dar. Er prägt das kulturelle Selbstverständnis der türkischen Zuwanderer in der säkularen Gesellschaft, die von ihnen zudem als kalt und ausgrenzend wahrgenommen wird. Der Islam ist für die Parallelgesellschaften zum spirituellen, sozialen und politischen Refugium in der Diaspora in Deutschland geworden.

Muslime glauben, dass der Islam der einzig mögliche Weg zu Selbstachtung, Stolz und Gerechtigkeit ist. Der Mensch muss sich sein Ansehen vor Gott als guter Muslim verdienen, gerade in einem ungläubigen Umfeld. Eine solche Haltung wird weder durch eine andere Theologie noch durch Gesetze entmachtet, sondern bestenfalls in Beziehungen zu Menschen außerhalb der Community. Vor allem bei jungen, allein stehenden Migranten ohne den Einfluss ihres islamischen Familiensystems besteht so die Chance einer freiheitlich-verantwortlichen Prägung ihres Menschen- und Weltbildes.


Deshalb müssen Parallelgesellschaften vermieden werden und muslimische Zuwanderer in der Zivilgesellschaft Kontakte und Annahme finden. Dadurch ist die Kapazität der Aufnahmegesellschaft aber auch begrenzt. Das wissen Flüchtlingshelfer, Kirchen und Gemeinden und das muss von der Politik akzeptiert und gesteuert werden.

Diese Aufnahme bedingt eine zumindest teilweise Loslösung aus der kollektiven Identität ihrer Herkunft und damit ein gewisses Maß an Individualisierung für Muslime. Zu deren Integration in die Gesellschaft bedarf es jedoch auch einer Identität und eines gemeinsamen Wertesystems dieser Gesellschaft, einer nationalen, kulturellen und religiösen Identität, die eine Identifikation ermöglicht. Der westliche Pluralismus bietet Zuwanderern aus anderen Kulturkreisen höchstens Subkulturen als Identifikationsmöglichkeiten und wenig starke Gemeinschaften, die eine ähnliche Sicherheit wie ihre kollektive Herkunft bieten. In der Konfrontation mit diesen Kulturen wird unsere individualistische Gesellschaft herausgefordert, ein gemeinsames Fundament wiederherzustellen und ihre gebrochenen Beziehungen zu stärken, wenn sie von kollektiven Parallelgesellschaften nicht noch mehr geschwächt werden will. Dieses Beziehungsdenken war und ist im biblischen Konzept der Nächstenliebe angelegt und liegt den politischen Konzeptionen von Bündnis C auf institutioneller Ebene zugrunde.

Es ist gute christliche Tradition, zwischen Person und Sache zu trennen. In der Beziehung zu Muslimen heißt das wie in jeder anderen Beziehung, den Menschen zu lieben und zu achten, ohne sein Denken oder Handeln gut und richtig heißen zu müssen. Das christliche Zeugnis besteht in Wahrheit und Liebe.

Außenpolitik: Flüchtlingsdeals vs. Kultur der Freiheit

Der Islam ist importiert. In den Herkunftsländern haben sich religiöse und politische Konflikte in den letzten Jahren dramatisch zugespitzt und Fluchtwellen nach Europa angestoßen. Die Rivalitäten islamischer Gruppierungen spielen in den kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten eine Schlüsselrolle. Wer diese Intoleranz und daraus resultierende Gewalt nicht in Europa haben möchte, muss in den Herkunftsländern die Gruppen stärken, die für Menschenrechte und Grundfreiheiten, demokratische Partizipation aller ethnischen und religiösen Gruppierungen und das friedliches Zusammenleben der verschiedenen Teile der Gesellschaft arbeiten.

Das tun weder das Assad-Regime noch die Türkei, weder Saudi-Arabien oder der Iran, mit denen Deutschland unkritisch verschiedene Verträge unterhält. Beispielgebend ist hingegen die Demokratische Selbstadministration Rojava (DSA) in Nordostsyrien, die unter Beteiligung aller ethnischen und religiösen Minderheiten funktionstüchtige Regierungs-strukturen aufgebaut hat. Maßgebliche Prinzipien sind gleiche Rechte für Männer und Frauen, Gewissens- und Religionsfreiheit, Freiheit von Diktatur und politischer Willkür und die gemeinsame Entwicklung ethnischer und religiöser Gruppen, die zusammen leben und arbeiten wollen.

Dass genau in diesem Gebiet die Türkei mit Hilfe islamistischer Armeen nach Dscharablus nun Afrin annektiert hat, muss die europäischen Regierungen auf den Plan rufen und den Kalifatsbestrebungen des NATO-Partners Türkei ein Ende setzen. Es ist das Gebot der Stunde, die Rojava-Administration anzuerkennen und den Syrisch-Demokratischen Streitkräften beizustehen, wenn man in Syrien Frieden und keine neuen Flüchtlingsströme haben möchte. Mit der Förderung einer Kultur der Freiheit im Nahen Osten werden Muslime auch in Europa weniger auf islamistischen Konfrontationskurs mit der westlichen Gesellschaft gehen.

Importiert ist auch der islamische Antisemitismus, der Israel bedroht und Juden in Deutschland und Europa. Alles was im Nahen Osten zum Frieden und einer Kultur der Freiheit dient, dient auch Israel und hilft, das Aggressionspotenzial der arabischen Nachbarn zu reduzieren. In Deutschland ist es unsere Verantwortung, unsere Beziehungen zum jüdischen Volk und die Freundschaft zum Staat Israel zu stärken und keiner Art von Antisemitismus Raum zu geben.