Dienstjahr: Wehrpflicht und Zivildienst

 

 

Wehrpflicht-Debatte - Im Zweifel für den Dienst

 

Moritz Gathmann in CICERO ONLINE am 6. Juli 2020

 

Brauchen wir die Wehrpflicht oder ein allgemeines Dienstjahr für junge Leute? In Umfragen sprechen sich die Deutschen mehrheitlich dafür aus. Die Politik sollte diesen Willen umsetzen.

 

Erinnern Sie sich noch an Karl-Theodor zu Guttenberg? Richtig – der Shooting Star der CSU, der nach nur zwei Jahren als Verteidigungsminister ins ins Abseits geschossen wurde, als öffentlich wurde, dass er sich für seine Doktorarbeit etwas zu großzügig an den Texten anderer bedient hatte. Jener Guttenberg verkündete 2010 in einer Nacht- und Nebelaktion die Aussetzung der Wehrpflicht,vollzogen wurde sie 2011 unter seinem Nachfolger. Nun, ein Jahrzehnt später, diskutiert Deutschland über die Wiedereinführung der Wehrpflicht: Die eben zum Amt der Wehrbeauftragten gekommene SPD-Politikerin Eva Högl hat dies am Wochenende gefordert.

 

Eines vorab: Hätte man die Deutschen direkt gefragt, wäre die Wehrpflicht wohl nie ausgesetzt worden. 2018 sprach sich eine klare Mehrheit für ihre Wiedereinführung aus.

 

In unseren Nachbarländern hat man sich angesichts der gesellschaftlichen Relevanz dieses Themas beim Volk rückversichert: In Österreich stimmten 2013 in einer Volksbefragung knapp 60 Prozent für die Beibehaltung der Wehrpflicht. Auch in der Schweiz schlug 2013 der letzte Versuch der Volksinitiative „Ja zur Aufhebung der Wehrpflicht“ fehl: Fast drei Viertel der Schweizer wollten sie beibehalten. In Schweden wurde die Wehrpflicht vor dem Hintergrund des militärischen Erstarkens Russlands 2017 sogar wieder eingeführt.

 

Unbezahlbare Einblicke in die Gesellschaft

 

Die Idee der Wehrpflicht klingt verlockend – besonders für konservative Kreise, für die die das Thema jahrzehntelang zum Markenkern gehörte – aber schauen wir doch mal zurück, wie das damals war. Ich selbst, geboren 1980, gehörte zu einem Jahrgang, bei dem von 440.000 jungen Männern weniger als ein Drittel den zehnmonatigen Grundwehrdienst leisteten, etwas mehr als ein Drittel wurden ausgemustert, ebenfalls ein Drittel leisteten Zivil- oder Ersatzdienst. Hat es uns geschadet? Sicher nicht.

 

Ausgemustert wurden erwartungsgemäß die besten Sportler, weil sie sich schon Kreuzbandrisse und sonstige Schäden zugezogen hatten, zum Bund gingen die eher patriotisch gesinnten Gesellen, der Rest landete in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Ich selbst, aufgewachsen in einem schwäbischen Dorf, heuerte bei einem Krisendienst für Jugendliche in Berlin-Spandau an, wo sich der damals populäre Begriff „Crashkids“ für mich erstmals mit Inhalt füllte. Dort bekam ich auch von einem Insassen mein erstes veritables blaues Auge verpasst. Kurzum: eine bereichernde Zeit. Ich meine das nur zu einem kleinen Teil ironisch. Dieses eine Jahr „Dienst an der Gesellschaft“ hat mir Einblicke in die Gesellschaft gegeben, die ich nie erhalten hätte, wenn ich direkt nach dem Abitur an die Uni gewechselt hätte. Und dieses Jahr gab mir zumindest noch ein wenig Bedenkzeit, um bei der Wahl der Studienfächer zumindest eine ungefähre Vorstellung davon zu bekommen, wohin ich wollte.

 

Macht der Wehrdienst Sinn für die Bundeswehr?

 

Zumindest was die Bedenkzeit angeht, gilt dies auch für meine Mitschüler, die „zum Bund“ gegangen waren. Selbst wenn sich viele über die monatelange Langeweile beschwerten, die sich an die Grundausbildung anschloss – kaum einer hat es bereut. Allerdings war für alle meine Mitschüler das Kapitel Bundeswehr nach den zehn obligatorischen Monaten beendet. Damit wären wir bei einer anderen Frage: Machte der Wehrdienst für die Bundeswehr Sinn?

 

Rein organisatorisch waren die Wehrpflichtigen ein Klotz am Bein der Bundeswehr: Jedes Jahr mussten 140.000 junge Männer ausgestattet, in Kasernen untergebracht und von Ausbildern betreut werden. Und das vor dem Hintergrund, dass die Bundeswehr die allermeisten von ihnen später nie wieder sehen würde. Auch das Argument, mit dem die Wehrbeauftragte Högl nun die Wiedereinführung der Wehrpflicht forderte, kann wohl abgetan werden: Gegen Rechtsextremisten in den Reihen der Bundeswehr hilft eine strenge Führung der Truppe, aber keine allgemeine Wehrpflicht. Der eher linksdrehende zukünftige Philosophie-Student ging auch zu meiner Zeit nicht zum Bund, sondern in die Behindertenwerkstatt.

 

Wer von uns hat in seinem Bekanntenkreis Soldaten?

 

Auf einem anderen Blatt steht, dass die Bundeswehr damals viel „näher“ an der Gesellschaft war, als sie es heute ist: Man sprach mehr über die Bundeswehr, weil eben auch „ganz normale“ Jungs aus dem Freundeskreis dort zumindest ein paar Monate verbracht hatten. Heute ist die Bundeswehr eine reine Berufsarmee. Wer von uns hat in seinem Bekanntenkreis Soldaten? Es gilt die Faustregel: je akademischer, desto weniger. Es ist paradox: Die Bundeswehr leistet heute einerseits im Zuge der Auslandseinsätze viel mehr als früher, ist aber durch ihre Professionalisierung aus der Gesellschaft verschwunden.

 

Annegret Kramp-Karrenbauer trat im Sommer 2018 – also etwa ein Jahr, bevor sie Verteidigungsministerin wurde – die Diskussion über die Einführung eines „Allgemeinen Dienstjahrs“ los: Nach der Schulzeit sollten junge Menschen, übrigens Männlein wie Weiblein, ein Jahr bei der Bundeswehr, in der Pflege oder auch bei der Feuerwehr tätig sein.

 

Eine gute Idee, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken dürfte. Denn anders als bei reinen Freiwilligen-Diensten leisten dadurch auch diejenigen einen Dienst an der Gesellschaft, in deren Lebensplanung die persönliche Karriere klar über der Gemeinschaft stand. Um es zuzuspitzen: Es schadet einem zukünftigen Manager eines DAX-Konzerns sicher nicht, wenn er oder sie mit 18 ein Jahr lang Behinderte durch die Gegend geschoben hat. Im übrigen: Die Krankenhäuser und Sozialverbände waren 2011 nicht glücklich über die Abschaffung der Wehrpflicht, fielen ihnen doch mit den „Zivis“ auf einen Schlag über 100.000 Arbeitskräfte weg.

 

Allgemeines Dienstjahr - alle sind dafür

 

Inzwischen ist von AKKs Idee nur noch wenig übrig. Am Wochenende präsentierte sie ihre Pläne für „Dein Jahr für Deutschland“: Auf freiwilliger Basis sollen Jugendliche eine sechsmonatige militärische Grundausbildung erhalten und anschließend für sechs Monate in der Nähe ihrer Heimat zu Reservediensten herangezogen werden. 2021 sollen die ersten Freiwilligen einrücken.

 

Dabei ist die Unterstützung für ein „Allgemeines Dienstjahr“ in der Gesellschaft riesig: Zwei Drittel der Deutschen sprachen sich 2018 dafür aus. Selbst unter Anhängern von Grünen und FDP unterstützten zwei Drittel die Pläne, ganz anders als bei einer Rückkehr zur Wehrpflicht. Wo liegt also das Problem?

 

Als Hauptgrund gegen eine allgemeine Dienstpflicht wird angeführt, dass dazu wohl eine Verfassungsänderung notwendig wäre. Denn im Grundgesetz heißt es: „Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.“ Um das Dienstjahr verfassungskonform zu machen, müsste wohl nur das Wort „herkömmlich“ entfernt werden. Aber selbst dafür bräuchte es eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag. Und die ist bei diesem Thema heute nur zusammen mit der AfD zu haben. Und ja, damit wäre das Thema wohl für diese Legislaturperiode vom Tisch. Leider.

 

https://www.cicero.de/innenpolitik/wehrpflicht-debatte-zweifel-dienst-bundeswehr-eva-hoegl-ksk-annegret-kramp-karrenbauer/plus

 


 

 

Zivildienst und Wehrpflicht reformieren

 

Horst Wodarz von Bündnis C | 7. Jul 2020 | Aktuelles

 

Im Jahr 2011 wurde die Wehrpflicht – und damit auch der Zivildienst – ausgesetzt. Nun ist die Debatte über den Dienst an der Waffe durch die neue Wehrbeauftragte Eva Högl wieder aufgeflammt. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer sprach sich für einen sechsmonatigen Freiwilligendienst mit anschließendem Reservedienst aus. Bündnis C plädiert für ein Dienstjahr im Sozialwesen oder bei der Bundeswehr.

 

Wir blicken heute auf ein Jahrzehnt mit Berufsarmee zurück. Der damalige Ansatz, eine gut ausgebildete, starke Truppe aus Berufssoldaten zu besitzen, hat sich nur bedingt bestätigt. Vielmehr hat sich eine Distanzierung zwischen Bevölke-rung und Bundeswehr entwickelt. Die Zahlen der Menschen, die sich für eine Laufbahn im Heer entscheiden, sind rückläufig, und es gestaltet sich schwierig, genug Nachwuchs für die Landesverteidigung zu generieren.

 

Der Grundgedanke der Wehrpflicht ist in der Debatte vor deren Aussetzung untergegangen. Durch eine allgemeine Wehrpflicht wird gewährleistet, dass ein großer Teil der Bevölkerung für einen Verteidigungsfall ausgebildet und schnell abrufbar ist. Dieser Vorteil geht mit einer reinen Berufsarmee verloren. Werden Soldaten für einen akuten Verteidigungsfall gebraucht, dauert die Ausbildung ohne vorherigen Grundwehrdienst unverhältnismäßig lang. Der Grundgedanke der Nato zum Schutz Europas ist zu begrüßen, dennoch sollte die Landesverteidigung durch eigene Kräfte gewährleistet sein. Weder die NATO noch nationale Verteidigung funktioniert im Ernstfall ohne einsatzbereite Armeen.

 

Gleichzeitig mit der Wehrpflicht wurde auch der Zivildienst abgeschafft, was bis heute in vielen sozialen Berufsfeldern Lücken hinterlassen hat. Bis 2011 gab es jährlich knapp 80.000 Menschen, die durch den Zivildienst einen großen Beitrag für die Gesellschaft leisteten. Im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes waren es danach nur noch halb so viele. Dies sorgte in sozialen Einrichtungen für personelle Engpässe, deren Auswirkungen wir heute noch erleben. Viele Zivildienstleistende blieben langfristig in sozialen Berufen tätig. Das Berufsbild in der Pflege hat sich seit Abschaffung des Zivildienstes leider ebenfalls negativ entwickelt, und so fehlt heute auch dort der Nachwuchs.

 

Es wäre ratsam, Wehrpflicht und Zivildienst wieder einzuführen – allerdings in einer reformierten, modernen Form. Den verpflichtenden Dienst auf den männlichen Teil der Bevölkerung zu beschränken, ist nicht mehr zeitgemäß.

 

Ursprünglich waren Frauen aufgrund ihrer Erziehungszeiten davon ausgenommen, was heutzutage beiden Elternteilen gesetzlich zusteht und so auch genutzt wird. Das Konzept sollte dahingehend umgestellt werden, dass für jeden jungen Menschen – unabhängig ob Mann oder Frau – ein gemeinnütziges Jahr zu leisten ist. Ausgenommen sind Elternteile, die bereits selbst Kinder erziehen, da ein verpflichtender Dienst junge Familien unverhältnismäßig belasten würde. Wer stattdessen lieber an der Waffe dienen möchte, kann sich für den Wehrdienst entscheiden. Durch das umgekehrte Bewerbungsverfahren träten der Bunderwehr nur Personen bei, die sich bewusst für den Wehrdienst entschieden haben und somit auch über den Grundwehrdienst hinaus für eine weitere Verpflichtung geeignet wären. Wer sich nicht ausdrücklich für den Wehrdienst entscheidet, dient dem Land und der Gesellschaft im Zivildienst, was zu einer starken Entlastung im Sozialwesen führen würde.

 

Durch dieses Konzept fördert man eine gesellschaftliche Nähe zu sozialen Berufen wie auch zur Bunderwehr. Junge Menschen würden durch beide Tätigkeiten einen wichtigen Dienst tun. Dieses Modell könnte zu einer bewussteren Verantwortung und vertieften Identifikation mit unserer Gesellschaft beitragen. Rückblickend betrachtet waren Wehrpflicht und Zivildienst neben den Vorteilen für unser Land auch wichtige Lebensabschnitte in der Charakterbildung von jungen Menschen. Daher ist es zu begrüßen, wenn wir wieder – wenn auch in reformierter Form – dorthin zurückkehren würden zum Wohl Deutschlands und der nächsten Generation.

 

https://buendnis-c.de/zivildienst-und-wehrpflicht-reformieren-2771/