Religionsfreiheit

 

 

 

Lieber Recht als rechts

 

Vertreter der AfD wollen Muslime zwingen, einen Eid auf das Grundgesetz zu leisten. Damit verhöhnen sie,

was sie zu verteidigen vorgeben. Eine Erinnerung, was Religionsfreiheit bedeutet

 

Gastbeitrag von Hans Michael Heinig in DIE ZEIT - ONLINE vom 02.11.2117

 

"Der Islam ist keine Religion, sondern eine politische Ideologie." "Muslime genießen keine Religionsfreiheit, weil der Islam diese auch nicht kennt." Sätze wie diese sind immer wieder aus der AfD zu vernehmen. Der Islam müsse sich "dem Grundgesetz unterordnen". "Religion ist Privatsache, solange sie privat bleibt"; im Gegensatz zum Christentum habe der Islam einen politischen Herrschaftsanspruch, der von der Religionsfreiheit nicht gedeckt sei. Zuletzt forderte Alice Weidel, Fraktionsvorsitzende der AfD im Bundestag, dass Islamverbände, und nur diese, einen Treueeid auf das Grundgesetz leisten.

 

Schaut man sich Aussagen der AfD zur Rechtsstellung von Muslimen genauer an, lässt sich eine Strategie beobachten, die für Rechtspopulisten typisch ist: Auf aberwitzige Verallgemeinerungen folgen unterkomplexe Differenzierungen. So wird eine Empörungsdynamik erzeugt, die Anhänger und Distanzierte gleichermaßen erfasst. Hierdurch verschieben sich die Koordinaten öffentlicher Debatten. Kritiker reagieren ihrerseits oft eskalierend. Sachliche Problembeschreibung und pragmatische Lösungsansätze geraten aus dem Fokus.

 

Ein Blick auf das Verfassungsrecht hilft, um sachgerechte Unterscheidungen in Erinnerung zu rufen. Eine erste Unterscheidung betrifft die zwischen Ordnungsvorstellungen einer Partei und staatlicher Politik. Auch Rechtspopulisten haben das Recht, sich frei politisch zu betätigen. Solange sie die Menschenwürde und den demokratischen Rechtsstaat nicht infrage stellen, darf eine Partei Verfassungsänderungen verlangen. Sie kann politisch für Deutungen der Verfassung werben, die vom Bundesverfassungsgericht abweichen. Selbst ein gestörtes Verhältnis zur Religionsfreiheit macht aus AfD-Aktivisten noch keine "Verfassungsfeinde". Deshalb war es zu kurz gegriffen, als Katrin Göring-Eckardt dem Kandidaten der AfD für das Amt des Vizepräsidenten des Bundestages wegen dessen Einlassungen zur Religionsfreiheit von Muslimen vorhielt, er akzeptiere das Grundgesetz nicht.

 

Göring-Eckardt meinte vermutlich etwas anderes: Gemessen an den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und den Einsichten der Staatsrechtslehre sind die meisten Aussagen von AfD-Vertretern zu den Rechten von Muslimen und ihren Organisationen unhaltbar. Rechtskulturelle Standards, die der Sicherung des religiös-weltanschaulichen Friedens dienen, werden systematisch unterlaufen. Wer als Student Vergleichbares in einer Anfängerklausur schreibt, fällt durch. Nun ist Politik etwas anderes als eine Jura-Klausur, aber man muss juristischen Unsinn auch beim Namen nennen.

 

"Den" Islam kennt das Grundgesetz ebenso wenig wie "das" Christentum oder "die" Kirche. Zuweilen ist es in politischen Debatten praktisch, mit Chiffren zu arbeiten. Doch wenn es um konkrete Rechtspositionen geht, verbietet sich eine solche Redeweise. Nur konkrete Menschen und ihre Vereinigungen sind Träger von Rechten und Pflichten nach dem Grundgesetz. Zuweilen unterscheiden Funktionäre der AfD immerhin zwischen hier lebenden Muslimen und "dem" Islam, um ihre pauschale Islamkritik ein wenig zu relativieren. Auch das macht rechtlich keinen Sinn. In die Welt des Grundgesetzes tritt "der" Islam nur durch Grundrechtsträger, also Menschen, die sich im deutschen Rechtsraum aufhalten.

 

Juristisch mehr als eigentümlich ist auch die Behauptung aus den Reihen der AfD, "der Islam" werde von der Religionsfreiheit nicht umfasst. Unter Bedingungen religiös-weltanschaulicher Vielfalt dürfen Rechtsbegriffe nicht im Sinne einer bestimmten Theologie gedeutet werden. Seit der Abschaffung von Staatskirche und Staatsreligion 1919 ist der Staat religiös "neutral". Der Religionsbegriff des Grundgesetzes muss offen für unterschiedliche religiöse Selbstverständnisse sein. Insbesondere schützt er auch Minderheiten. Wenn Grundrechtsträger ihr Verhalten als religiös begreifen, müssen sie dies anderen plausibel machen können, um sich auf die Religionsfreiheit berufen zu können. Das gelingt Muslimen unproblematisch. Der Islam ist eine große monotheistische Weltreligion mit vielen Erscheinungs-formen. Die Religionsfreiheit gilt unabhängig davon, ob Gläubige ihrerseits Glaubensfreiheit theologisch begründen können. Der Staat, nicht die Bürger werden durch die Grundrechte verpflichtet. So war die katholische Kirche schon vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) grundrechtlich geschützt. Auch eklatante Menschenrechtsverletzungen in vielen muslimisch geprägten Staaten können die Grundrechte hier lebender Muslime nicht verkürzen.

 

Die Religionsfreiheit des Grundgesetzes ist nicht auf den Schutz frommer Innerlichkeit beschränkt. Sie umfasst vielmehr das Recht, sein ganzes Leben an der eigenen religiösen Lehre auszurichten. Auch hiergegen wendet sich die AfD. Nun wollen die meisten Gläubigen in Deutschland heutzutage gar nicht jeden ihrer Lebensvollzüge religiös geprägt sehen. Sie unterscheiden im Alltag zwischen ihrer Rolle als Bürger, als Arbeitnehmer, als Sportler, als religiöse Subjekte. Doch die Religionsfreiheit gilt unabhängig davon, wie modern die Religionskultur ist, der jemand anhängt. Nur Diktaturen beschränken die Glaubensfreiheit auf eine Art religiöse Gedankenfreiheit.

 

Die Religionsfreiheit gilt unabhängig davon, wie modern die Religionskultur ist, der jemand anhängt.

 

Seit der Neuzeit prägt ein tiefgreifender Prozess der Verweltlichung die westliche Welt. Die freiheitliche Verfassungs-ordnung ist Produkt dieser Entwicklung – und doch zwingt sie die Religionen nicht, sich selbst zu verweltlichen. Der säkulare Staat verlangt keine säkularisierte Gesellschaft. Der Staat des Grundgesetzes ist säkular, weil sich staatliche Gewalt in rechtlicher Perspektive alleine demokratisch, nicht religiös legitimiert. Die Religionsfreiheit schützt auch, wer Religion und Politik eng aufeinander bezieht. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes wussten nur zu gut, dass Gläubige zuweilen widerspenstig gegenüber politischen Herrschaftsansprüchen sein können. Der christliche Wider-stand im Dritten Reich stand ihnen vor Augen. Sie hätten deshalb nie formuliert, Religionen müssten sich dem Grund-gesetz "unterordnen". Es war ihnen selbstverständlich, dass Bürger ihr religiöses Ethos in den politischen Prozess eintragen dürfen. Das gilt für christliche Soziallehren ebenso wie für muslimische Vorstellungen einer wohlgeordneten Gesellschaft.

 

Der säkulare Staat betreibt keine Staatstheologie

 

Freilich kennt die Religionsfreiheit, wie alle Grundrechte, Grenzen. Solche Schranken gelten für Christen, Juden, Atheis-ten und Muslime in gleicher Weise: Die Glaubensfreiheit kann beschränkt werden, wenn Grundrechte Dritter oder sonstige Rechtsgüter von Verfassungsrang dies rechtfertigen. Die Verfassung bildet eine Einheit, in der unterschiedliche Rechte zum Ausgleich gebracht werden müssen. Dieser Grundsatz ist simpel, doch die Details sind kompliziert. Freiheits-beschränkungen müssen verhältnismäßig sein. Da unsere Gesellschaft vielfältig und kompliziert ist, sind auch die Antworten des Rechts auf soziale Konflikte unterschiedlich.

 

Das lässt sich am Beispiel einer Muslima, die ein Kopftuch trägt, veranschaulichen: Ist sie staatliche Lehrerin, hat sie in anderer Weise für den Schulfrieden einzustehen als Schülerinnen. Von ihr kann eher verlangt werden, eigene religiöse Bedürfnisse zurückzustellen. Für eine Richterin gelten andere Beschränkungen als in der Schule. In der Justiz soll jeder Anschein, Urteile würden nach anderen Kriterien als Recht und Gesetz gefällt, vermieden werden. Ein generelles Verbot religiös geprägter Kleidung im öffentlichen Raum, wie es die AfD fordert, wäre dagegen verfassungswidrig, weil kein belangvolles kollidierendes Verfassungsgut zur Rechtfertigung ersichtlich ist.

 

Auch das Verfassungsgebot der Gleichberechtigung von Mann und Frau lässt sich hier nicht heranziehen. Die vor-geschriebene Geschlechtergleichheit dient der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Gleichheit zwischen den Ge-schlechtern – und die ist durch religiöse Bekleidungspraktiken nicht berührt. Das Grundgesetz begründet eine Freiheitsordnung und keine Gesinnungsdiktatur. Die Verfassung garantiert individuelle Selbstbestimmung in den Lebensformen. Sie ermächtigt Mehrheiten nicht, ihre Vorstellung von Emanzipation als kulturell allgemeingültig mit Zwang durchzusetzen. Gerade hierdurch ermöglicht das Grundgesetz die öffentliche Auseinandersetzung über religiös geprägte Geschlechterrollen. Die AfD darf deshalb, wie andere politische Kräfte, das religiös motivierte Tragen eines Kopftuchs als Zeichen männlicher Unterdrückung deuten, ablehnen und bekämpfen. Zu politischer Macht gekommen, dürfte sie es gleichwohl nicht pauschal verbieten.

 

Das individuelle Grundrecht auf Religionsfreiheit unterscheidet sich von weiteren besonderen Rechten, die Religions-gemeinschaften nach dem Grundgesetz wahrnehmen können. Der öffentlich-rechtliche Körperschaftsstatus nebst dem Recht, die eigenen Mitglieder zu besteuern, gehört zu diesen Rechten. Soweit der Staat Religionsgemeinschaften Res-sourcen zur Verfügung stellt, um gesellschaftlich zu wirken, kommt ihm auch eine besondere Verantwortung zu, dass Rechte Dritter darunter nicht leiden oder die Verfassungsordnung bekämpft wird. Religionsunterricht erteilen oder sich öffentlich-rechtlich organisieren kann nur, wer die Säkularität des Staates, den Legitimationsmodus der Demokratie oder die Religionsfreiheit unter Einschluss des Religionswechsels und Glaubensabfalls als maßgebliche verfassungs-rechtliche Ordnung des politischen Gemeinwesens anerkennt. Der Staat darf nur mit Religionsgemeinschaften koope-rieren, die in ihrem Verhalten verfassungs- und rechtstreu sind. Die Glaubenslehre ist ein Indiz für das tatsächliche Verhalten, darf aber nicht als solche staatlich bewertet werden. Der säkulare Staat betreibt weder Staatstheologie noch weltanschauliche Religionskritik.

 

Vor dem Hintergrund der theologischen Traditionen und der Staatenpraxis in der islamischen Welt befragen staatliche Stellen Moscheegemeinden und ihre Verbände in Deutschland schon bislang sehr genau darauf, wie sie es mit dem Grundgesetz halten. Auch der islamistische Terrorismus drängt "den Islam" in der öffentlichen Wahrnehmung in eine Sonderrolle. Andere Religionskulturen werfen gegenwärtig kein vergleichbares Sicherheitsproblem auf.

 

Grob verallgemeinernde Aussagen ... darf sich der Staat nicht zu eigen machen.

 

Doch grob verallgemeinernde Aussagen, wie sie sich im Parteiprogramm der AfD finden, darf sich der Staat nicht zu eigen machen. Wenn Alexander Gauland mit einem Zitat des iranischen Revolutionsführers allen muslimischen Ver-einigungen pauschal die Verfassungstreue abspricht, leistet er einen juristischen Offenbarungseid. Die freiheitliche Verfassungsordnung verlangt vom Staat, dass er den Einzelfall in den Blick nimmt. Folgerichtig werden in Deutschland einzelne Moscheegemeinden als verfassungsfeindlich verboten, andere werden vom Verfassungsschutz beobachtet, und zugleich kooperiert der Staat mit einer Vielzahl muslimischer Gemeinden in der Sozial-, Integrations- und Bildungs-arbeit.

 

Die freiheitliche Verfassungsordnung des Grundgesetzes weiß sich gegen ihre Feinde zu wehren – auch gegen solche, die religiös motiviert sind. Die demokratische Verfassungskultur hält es gut aus, ja verlangt geradezu danach, dass Parteien auch in der Religionspolitik in programmatischen Alternativen um die Wählergunst wetteifern. Doch sie nimmt Schaden, wo die Alternative bloß darin besteht, eine Gruppe von Gläubigen pauschal zu diffamieren und ihr den vollen Genuss aller Grundrechte abzusprechen.

 

Hans Michael Heinig geboren 1971 in Lingen, ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Kirchenrecht und Staatskirchenrecht an der Universität Göttingen.

 

https://www.zeit.de/2017/45/religionsfreiheit-afd-muslime-eid-grundgesetz/komplettansicht

 


 

Immer mehr religiöse Gruppen werden verfolgt

 

Anlässlich des Tages der Menschenrechte fordert Amnesty International die Bundesregierung auf, sich mehr für weltweite Menschenrechte einzusetzen. Vor allem die Situation von religiösen Minderheiten sei besorgnis-erregend.

 

Martin Schlorke - Medienmagazin PRO KOMPAKT - 50 - 2019

 

Weltweit hat die Ausgrenzung von Bevölkerungsgruppen zugenommen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse von Amnesty International (AI). Besonders sei diese Entwicklung bei religiösen Gruppen zu beobachten, erklärte der Generalsekretär von AI Deutschland, Markus N. Beeko. Sowohl Christen als auch Muslime seien betroffen. Beispielhaft stünden dafür die muslimischen Uiguren in China. Dieser „gefährliche Trend“ könne nur gestoppt werden, wenn Glaubensgemeinschaften gemeinsam aufträten und mit der Unterstützung von Regierungen rechnen könnten.

 

Eine besondere Verantwortung schreibt Beeko Deutschland zu: Es könne im kommenden Jahr eine gewichtige Rolle spielen. Durch die Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat, den Sitz im UN-Menschenrechtsrat und die EU-Ratspräsident-schaft trage die Bundesregierung mehr Verantwortung und könne sich so „robuster“ für Menschenrechte einsetzen. Es müsse der Anspruch Deutschlands sein, auf „multilateraler Ebene für Menschenrechtsstandards“ zu kämpfen.

 

Aber auch innerhalb Europas bestehe Handlungsbedarf, sagte Beeko am Montag auf einer Pressekonferenz anlässlich des Tages der Menschenrechte. So fordert er, dass sich die Bundesregierung für eine staatliche Seenotrettung einsetzt. Weiterhin sei es notwendig, Mechanismen in der Wirtschaft zu etablieren um beispielsweise die Privatsphäre der Bürger vor Digital-Konzernen zu schützen, sagte Beeko.

 

2019 – Jahr der Proteste

 

Das aktuelle Jahr sei ein „bemerkenswertes“ gewesen: „2019 war ein Jahr der aktiven Verteidigung der Menschen-rechte“, erklärte Beeko. Nicht nur in Hongkong, sondern weltweit seien Menschen auf die Straßen gegangen, um für ihre Rechte zu demonstrieren. Menschenrechte seien also keinesfalls „wehrlos“. Auch in Deutschland hätten Fragen nach Umwelt- und Klimaschutz die Bürger animiert, für eine gute Zukunft einzustehen. Aber auch die Themen Anti-semitismus und Rassismus habe die Deutschen bewegt.

 

Innenpolitisch müssten die Landesregierungen konsequenter gegen Diskriminierung vorgehen. Beeko forderte die Verantwortlichen auf, den Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus „endlich" umzusetzen.

 

International gebe es weiterhin viele Angriffe auf die Idee der Menschenrechte, zu viele Regierungen würden diese durch exzessive Gewalt und Massenverhaftungen einschränken. Negativbeispiele seien beispielsweise der Iran, China, Indien aber auch die USA. Dort seien über 60.000 Kinder wegen ihres Migrationshintergrundes interniert.

 

https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/weltweit/2019/12/10/immer-mehr-religioese-gruppen-werden-verfolgt/