Grünes Wachstum, eine Illusion?
Ulrike Herrmann über ihr Buch „Das Ende des Kapitalismus“
Sendung vom Sa., 3.9.2022 8:07 Uhr, SWR2 Journal am Morgen, SWR2
„Das Versprechen, dass es ein grünes Wachstum oder einen grünen Wirtschaftsboom geben könnte, ist aus meiner Sicht eine Illusion“, sagt die Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann von der
Tageszeitung „taz“ in
SWR2 über ihr neues Buch „Das Ende des Kapitalismus“.
Öko-Energie werde immer „knapp und teuer“ bleiben. Einzig mit Batterien und grünem Wasserstoff ließen sich
Sonnen- und Windenergie speichern, „und beides ist eben sehr aufwendig“, so Herrmann. Deshalb sei klar:
„Mit dem grünen Wachstum wird das nichts.“
Stattdessen werde ein Umbau der Wirtschaft auf „grünes Schrumpfen“ hinauslaufen. Das bedeute nicht, dass
Deutschland deshalb in eine Steinzeit zurückfallen werde. Selbst wenn die Wirtschaftsleistung um die Hälfte
schrumpfen würde, bleibe damit der Lebensstandard etwa der 70er Jahre möglich, so die Wirtschaftsjournalistin.
Wie gelingt ökologischer Umbau ohne Wirtschaftskrise?
Auch bleibe der Weg richtig, einen ökologischen Umbau der Wirtschaft anzustreben, weil der Klimawandel sonst verheerende Folgen haben werde. Fraglich sei aber, wie dieser Umbau gelingen könne,
ohne damit eine gewaltige Wirtschaftskrise auszulösen.
Ein historisches Modell dafür sei, auch wenn es absurd klinge, die britische Kriegswirtschaft im Zweiten Weltkrieg.
Ohne Sozialismus, ohne die Verstaatlichung von Unternehmen hätten die Briten damals innerhalb weniger Wochen begonnen, die Produktion zu steuern und an die veränderten Bedingungen anzupassen. So
hätten trotz Güter-
knappheit letztlich alle gut versorgt werden können.
https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/gruenes-wachstum-eine-illusion-ulrike-herrmann-ueber-ihr-buch-das-ende-des-kapitalismus-100.html
Wachstum versus Klimaschutz:
Ulrike Herrmann sieht Kapitalismus am Ende
Wirtschaftswachstum und Klimaschutz schlössen einander aus, deshalb habe der Kapitalismus keine Zukunft, schreibt die Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann in ihrem neuen Buch. Dabei
versucht sie, den Kapitalismus nicht grundsätzlich schlecht zu reden.
Von Katja Scherer | Deutschlandfunk | 12.09.2022
Wie funktioniert der Kapitalismus? Mit dieser Frage beschäftigt sich Ulrike Herrmann seit Jahren. Sie hat in ihren Büchern analysiert, wie das kapitalistische System entstanden ist, welche
Schwächen es hat und warum es zu Krisen neigt. Jetzt sei der Kapitalismus am Ende, schreibt sie. Er lasse sich mit Klimaschutz nicht vereinbaren:
„Der Kapitalismus […] erzeugt nicht nur Wachstum, sondern muss auch wachsen, um stabil zu sein. Ohne ständige Expansion bricht der Kapitalismus zusammen. In einer endlichen Welt kann man aber
nicht unendlich wachsen.“
Klimaschutz bedeutet Ressourcen schonen. Kapitalismus ohne Wachstum aber sei unmöglich. Das ist Ulrike Herrmanns zentrale These. Die taz-Journalistin stellt sich damit gegen die Annahme vieler
Volkswirte und Politiker, dass es „grünes Wachstum“ geben kann. Sie argumentiert, dass die erneuerbare Energie dafür in absehbarer Zeit nicht ausreichen wird:
„Diese Aussage mag zunächst überraschen, schließlich schickt die Sonne 5.000-mal mehr Energie zur Erde, als die
acht Milliarden Menschen benötigen würden, wenn sie alle den Lebensstandard der Europäer genießen könnten. […] Solarpaneele und Windräder liefern jedoch nur Strom, wenn die Sonne scheint und der
Wind weht. Um für Flauten
und Dunkelheit vorzusorgen, muss Energie gespeichert werden – und dieser Zwischenschritt ist so aufwendig, dass Ökostrom knapp bleiben wird.“
Die Bilanz des Kapitalismus
Daher müsse sich die Gesellschaft einschränken. Die Autorin gibt sich große Mühe, keine pauschale Kapitalismuskritik zu betreiben. Im ersten Kapitel beschreibt sie ausführlich die Vorteile des
Kapitalismus. Er habe den Menschen mehr Gesundheit, Komfort und Freiheit beschert:
„Der materielle Wohlstand hat immaterielle Folgen. Nicht nur die Lebenserwartung hat sich verdoppelt; auch all-gemeine Bildung, Gleichberechtigung und Demokratie werden erst möglich, wenn eine
Gesellschaft reicher wird.“
Allerdings sei das mit fossiler Energie, also: auf Kosten der Vergangenheit, erkauft worden, schreibt sie. Das stoße
nun an Grenzen. Sie erläutert, warum es zu aufwändig sei, Treibhausgase aus der Atmosphäre zu filtern und warum
sich Wachstum und Energieverbrauch nicht entkoppeln ließen. Der technologische Fortschritt biete da keine Rettung, argumentiert sie:
„Auf die Technik ist kein absoluter Verlass. Mal gelingt es nicht, gute Lösungen zu finden – mal bleiben Erfindungen teuer, obwohl sie seit Jahrtausenden im Einsatz sind. […] Vor allem aber
werden die Zeitebenen verwechselt. Die
lustigen Anekdoten sollen nahelegen, dass die technologische Zukunft immer besser war als gedacht. Das mag sein. Nur fehlt heute die Zeit, um auf eventuelle Durchbrüche zu warten.“
Grünes Schrumpfen statt grünem Wachstum
Herrmann ist überzeugt, dass sich die Gesellschaft auf ein „grünes Schrumpfen“ einstellen muss. Es werde weniger Autos, weniger Flüge und weniger Wohnungen geben, schreibt sie. Und das müsse auch
nicht schlimm sein:
„Die Wachstumskritiker haben klar gezeigt, dass klimaneutrales Leben auch schön sein kann. Das ungelöste Problem
ist allein, wie sich diese ökologische Kreislaufwirtschaft erreichen lässt, ohne unterwegs eine schwere Wirtschaftskrise
zu provozieren, die die Bevölkerung in Panik versetzt und einen Diktator an die Macht bringt.“
Als Lösung für diesen Übergang schlägt die Autorin die britische Kriegswirtschaft ab 1939 vor. Damals teilte die britische Regierung privaten Unternehmen Rohstoffe, Kredite und Arbeitskräfte zu.
Jeder Einwohner bekam eine feste Menge an Lebensmitteln. „Luxusgüter“ wie Möbel oder Kleidung konnten über ein persönliches „Punktebudget“ bezahlt werden. Ein geordneter, sozial gerechter
Rückbau, findet Herrmann.
„Der Konsum fiel damals um ein Drittel – und zwar in kürzester Zeit. […] Der deutsche Verbrauch muss ähnlich drastisch sinken, wenn das Klima gerettet werden soll.“ … schreibt sie. Eine
Schätzung, die ohne Zweifel unsicher ist. Herrmanns Fokus auf Großbritanniens Kriegswirtschaft hat drei Gründe:
„Erstens: Die Briten lebten in einer Demokratie. […] Zweitens: Die Briten führten keinen Angriffskrieg […]. Sie befanden sich in einer unfreiwilligen Notsituation, die zudem verspätet erkannt
wurde. Drittens: Die Briten mussten ihre normale Wirtschaft in kürzester Zeit stark herunterfahren, […] um Militärgüter herzustellen. Von den Briten lässt sich also lernen, wie sich eine
schrumpfende Wirtschaft organisieren lässt.“
Die Grenzen der Technologie
Herrmanns Buch ist historisch lehrreich und gut zu lesen. Es zeigt auf, wo technologische Limitationen der Klimawende liegen. Doch es wirkt dabei deterministisch. Herrmann erkennt an, dass
Menschen in der Vergangenheit viele Probleme gelöst haben. Sie bezweifelt aber offenbar, dass das dieses Mal auch so sein wird. Außerdem lässt ihr Buch Fragen offen. Es erklärt zum Beispiel kaum,
wie genau die neue staatliche Planwirtschaft aussehen soll. Wo sollen all die Fachkräfte arbeiten, die aus ihrer Sicht in der Luftfahrt, bei Banken und Autofirmen obsolet werden? Auch die
politische Durch-setzbarkeit bleibt vage. Herrmann schreibt:
„Viele Menschen hängen immer noch dem Irrtum an, dass sie die Wahl hätten. Doch diese Wahl gibt es nicht. […] Entweder sie verzichten freiwillig auf Wachstum – oder die Zeit des Wachstums endet
später gewaltsam, weil die Lebensgrundlagen zerstört sind.“
Damit hat sie möglicherweise Recht. Es erklärt aber nicht, wie eine Planwirtschaft demokratisch durchgesetzt werden könnte. Außerdem übersieht sie, dass grüner Optimismus hilft, Menschen für mehr
Klimaschutz zu motivieren. Sie betont: „Nur Verzicht sichert das Überleben – wie im Krieg.“
Herrmanns Buch ist lesenswert und setzt einen Kontrapunkt zu all denen, die die technologischen Möglichkeiten beim Klimaschutz womöglich überbewerten. Die Autorin betont zu Recht: Klimaschutz
ohne Verzicht geht nicht. Was aber fehlt, ist eine positive Vision für diesen Wandel. Und ob dieses Mal tatsächlich das Ende des Kapitalismus erreicht ist? Abwarten.
Ulrike Herrmann: „Das Ende des Kapitalismus.
Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden“,
Verlag Kiepenheuer & Witsch, 341 Seiten
Ulrike Herrmann ist ausgebildete Bankkauffrau und hat Geschichte und Philosophie an der FU Berlin studiert. Ihr
neuestes Buch erscheint am 8. September 2022 bei KiWi und heißt:
-
"Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben
werden".
Von ihr stammen auch die Bücher:
-
„Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012),
-
„Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015),
-
"Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen
können" (Piper 2018) sowie
-
"Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
Das Ende des Kapitalismus
Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden
Demokratie und Wohlstand, ein längeres Leben, mehr Gleichberechtigung und Bildung: Der Kapitalismus hat viel Positives bewirkt. Zugleich ruiniert er jedoch Klima und Umwelt, sodass die Menschheit
nun existenziell gefährdet ist. »Grünes Wachstum« soll die Rettung sein, aber Wirtschaftsexpertin und Bestseller-Autorin Ulrike Herrmann hält da-gegen: Verständlich und messerscharf erklärt sie
in ihrem neuen Buch, warum wir stattdessen »grünes Schrumpfen« brauchen.
Die Klimakrise verschärft sich täglich, aber konkret ändert sich fast nichts. Die Treibhausgase nehmen ungebremst
und dramatisch zu. Dieses Scheitern ist kein Zufall, denn die Klimakrise zielt ins Herz des Kapitalismus. Wohlstand
und Wachstum sind nur möglich, wenn man Technik einsetzt und Energie nutzt. Leider wird die Ökoenergie aus
Sonne und Wind aber niemals reichen, um weltweites Wachstum zu befeuern. Die Industrieländer müssen sich also
vom Kapitalismus verabschieden und eine Kreislaufwirtschaft anstreben, in der nur noch verbraucht wird, was sich recyceln lässt.
Aber wie soll man sich dieses grüne Schrumpfen vorstellen. Das beste Modell ist ausgerechnet die britische Kriegswirtschaft ab 1940.
https://www.kiwi-verlag.de/buch/ulrike-herrmann-das-ende-des-kapitalismus-9783462002553