Yves Bossart: „Trotzdem lachen. Eine kurze Philosophie des Humors“
Blessing Verlag, München 2022
128 Seiten, 20 Euro
Philosophie stellen wir uns eher als humorlose Angelegenheit vor – dabei kann Lachen selbst erkenntnis-fördernd sein, meint der Philosoph Yves Bossart. Humor helfe, einen Schritt zurückzutreten – und uns selbst infrage zu stellen.
Yves Bossart: „Trotzdem lachen. Eine kurze Philosophie des Humors“
Blessing Verlag, München 2022
128 Seiten, 20 Euro
Der Philosoph Manfred Geier versucht sich an einer Geschichte des Humors
Frankfurter Rundschau - 01.02.2019
Der Schuldige ist schnell gefunden. In der Philosophiegeschichte wird zu wenig gelacht. Für das Übermaß des Ernstes ist Platon verantwortlich. Der Begründer der europäischen Philosophie trieb seiner Disziplin gründlich allen Humor aus. Der Wahrheitssucher sollte streng der Erkenntnis verpflichtet sein, Klamauk gebildeter oder niederer Art stören da nur. Doch war es unausweichlich, dass diese Sicht der Dinge derart einflussreich wurde?
Der Hamburger Sprachwissenschaftler Manfred Geier schreibt in seiner Kleinen Geschichte des Humors nicht nur über den ersten Humorkampf in der Geschichte, er belegt auch, dass die frühen philosophischen Auseinander-setzungen auch die Frage des Lachens und seine Bedeutung für das Leben der Bürger betraf. Hier stritten der Ernstler Platon gegen den "lachenden Philosophen" Demokrit, und der Autor lädt ein wenig zum Träumen ein. Was wäre ge-wesen, wenn sich letzterer durchgesetzt hätte? Platons Schriften wurden überliefert und bestimmten die westliche Geistesgeschichte; die von Demokrit sind unwiederbringlich verschollen. Geier beschreibt die antike Konfrontation.
Er zeigt, wie sehr sich Platon durch die auf Sinnlichkeit bedachte Philosophie seines Kontrahenten herausgefordert gefühlt haben musste, es aber gleichwohl vermied, sie auch nur zu erwähnen.
Aber Manfred Geier bejammert nicht die Verdrängung des Humors; als wahrer Maulwurf wühlt er in der Kultur-geschichte und entdeckt das erste Witzbuch Philogelos, das in der spätrömischen Antike 265 Witze versammelte.
Er schlägt einen Bogen von gebildeten wie ausgelassenen Humordarbietungen im alten Griechenland und Rom über Rabelais, Immanuel Kant, Schopenhauer und Sigmund Freud bis zu Karl Valentin.
Es finden sich in dieser Genealogie voraussehbare wie überraschende Namen. Als 2004 Kants 200. Todestag anstand, wurde zwar das Bild des mürrischen Einsiedlers korrigiert und der Philosoph als geselliger Plauderer rehabilitiert. Aber seine ausgiebigen Gedanken über "die heilsame Bewegung des Zwerchfells" und vor allem der § 54 der Kritik der Urteilskraft, Geier zufolge "ein Höhepunkt in der Philosophiegeschichte des Lachens", blieben weithin unentdeckt.
Dem Autor ist hoch anzurechnen, dass er nicht sichere Humorkandidaten aneinanderreiht, sondern in seinen Erkun-dungen gerade vermeintliche Ausfälle reaktiviert, also etwa nicht lange bei Jean Paul verweilt, vielmehr den Griesgram Schopenhauer als Lachtheoretiker präsentiert. Dabei geht es um zweierlei: Geier will wissen, worüber Kant und all die anderen gelacht haben, und er zielt auf eine Theorie des Humors. Um ersteres herauszufinden, erzählt er Witze, die zu Kants Standardrepertoire gehörten. Zum Beispiel diesen: "Ein Inder war bei einem vornehmen englischen Herrn zu Besuch. Als dieser eine Flasche Champagner öffnete, wobei das Getränk mit lautem Krach herausschäumte, erschrak der Inder und tat verwundert: 'Warum seid Ihr so erstaunt?', fragte der Engländer und erhielt die Antwort: 'Ich wundere mich nicht, wie der Schaum herausgekommen ist, sondern wie Ihr ihn habt hinein bekommen können.'"
Das ist heute nicht mehr lustig und allenfalls durch Robert Gernhardts Spruch zu rechtfertigen, bis zum Ende der Welt müssten alle nur denkbaren Witze gemacht werden, selbst die schlechten. Die meisten der hier nacherzählten Pointen zünden nicht mehr. Das ändert sich erst mit dem Auftritt Karl Valentins. Wieso können wir über ihn noch lachen, nicht aber mehr über die Witze, die sich Kant und andere erzählten?
Manfred Geier entwirft eine dreiteilige Theorie des Humors. Er unterscheidet in historischer Reihenfolge "Superioritäts-theorie", "Inkongruenztheorie" und "Entspannungstheorie". Erstere beschreibt das Lachen aus dem Gefühl der Über-legenheit, die Inkongruenz resultiert aus einer komischen Unangemessenheit zweier Gegenstände - auch wenn er
nicht erwähnt wird, hat Woody Allen mit seiner Frage, warum er Hausaufgaben machen solle, wo doch das Weltall expandiert, diese Theorie auf die Spitze getrieben -, und die Entspannung durch Lachen erklärt sich im Zeitalter gras-sierender Comedy von selbst.
Der Autor bleibt die Argumentation schuldig, inwieweit seine Klassifikation die verschiedenen Spielarten des Humors zu erfassen vermag, und er kann den Beweis nicht antreten, warum sie rivalisierenden Theorien überlegen ist. Noch nach-träglich erscheint die Entscheidung der Neuen Frankfurter Schule in seligen Titanic-Zeiten nachvollziehbar, die Humor-kritik angesichts der grassierenden Freudlosigkeit in der verwalteten Humorwelt selbst zu übernehmen.
Manfred Geier ist ein trockener Humorphilologe, der einiges kulturhistorisch Unterschlagene ins rechte Licht rückt;
vor allem der antike Konflikt zwischen Platon und Demokrit ist ausgezeichnet dargestellt. Aber was soll die Analyse erklären, Karl Valentin sei witzig, weil er den "indefiniten Gehalt der Adverbien" auflöst? Witze zu erklären ist womöglich noch schwieriger, als sie zu verfertigen. Lustig ist es in den seltensten Fällen, woraus sich erklärt, dass es allerorten deutlich mehr Humor als Humorerklärungen gibt. Der Beruf eines (unkomischen) Witzerklärers wäre sicherlich brot-
los. Und dennoch: In einer florierenden Lachkultur kann auch eine Philologie wie diese ihren Platz haben.
https://www.fr.de/kultur/literatur/gibts-denn-lachen-11654220.html