AfD im Umfragehoch

 

 

 

Der Chefredakteur von Die Zeit, Giovanni di Lorenzo, meldete im Sommer 2023 angesichts galoppierender Umfrage-werte für die AfD Zweifel am Umgang auch der Medien mit der Partei an. Man dürfe die von ihr aufgeworfenen Themen nicht länger ignorieren, ihre Anhänger nicht als „Nazis“ in die extreme Ecke stellen. So werde die Lage nicht besser. Was di Lorenzo damit gesagt hatte, ohne es direkt auszusprechen, war: Etablierte Politik und Medien könnten ihren eigenen Anteil am Aufstieg der AfD haben. Sichtbare Wirkung hat dieser Appell der Nachdenklichkeit allerdings bis heute nicht entfaltet.

 

Matthias Brodkorb am 11. Januar 2024 in CICERO ONLINE

 

Angeblicher Geheimplan gegen Deutschland - Der Wannsee-Scoop, der keiner ist | Cicero Online

 


 

Die Deutschen haben den Mainstream satt – das macht die AfD stark

 

Für die Rechtspopulisten läuft es derzeit gut. Schuld daran sind die anderen Parteien, die sich in einem Meinungskartell zusammengeschlossen haben. Die deutsche Politik braucht mehr Auswahl und echte Alternativen.

 

Eric Gujer am 14.07.2023 in der NZZ

 

Irgendwann kommt in der Politik der Moment, in dem eine auf Denkfaulheit und Arroganz aufgebaute Strategie scheitert. Im Umgang mit der Alternative für Deutschland (AfD) scheint dieser Punkt erreicht. Die Partei wird seit einem Jahrzehnt ignoriert und ausgegrenzt. Genützt hat es nichts.

 

In Meinungsumfragen überholt die AfD alle Parteien mit Ausnahme von CDU/CSU. Selbst die Kanzlerpartei SPD rangiert hinter den Populisten. Nun vergeht bis zur nächsten Bundestagswahl viel Zeit. Bereits nächstes Jahr wird hingegen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg gewählt, und überall gibt es Erhebungen, wonach die AfD sogar in Führung liegt. Ignorieren und ausgrenzen genügt nicht mehr.

 

Wenn ein Meinungsmonopol herrscht, suchen die Wähler nach Alternativen

 

Die Rechtspopulisten befinden sich in Europa im Aufwind. In den meisten Staaten haben solche Protestparteien eine lange Tradition, die oft bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zurückreicht. In Deutschland ist das anders. Hier waren nationalistische Gruppen nur punktuell erfolgreich. Sie erlebten in einzelnen Bundesländern ein kurzes Stroh-feuer, dann verschwanden sie wieder. Die deutsche Geschichte wirkte wie ein Feuerlöscher.

 

Politiker und Journalisten haben kaum Erfahrung in der Auseinandersetzung mit Rechtspopulisten und greifen daher

zu einer kurzsichtigen Strategie. Sie glauben, bestimmen zu können, was in der Öffentlichkeit gesagt werden kann. Daher ist die Empörung gross, wenn die «Grenzen des Sagbaren» verschoben werden.

 

Dieser Konformismus hat wie so viele negative Entwicklungen seine Wurzeln in der Ära Merkel. Wer an der Bundestags-wahl 2013 eine etablierte Partei wählen wollte, die für eine nachhaltige Energieversorgung mit Atomkraft, den Rauswurf Griechenlands aus der Euro-Zone oder eine ausreichend finanzierte Bundeswehr eintrat, ging leer aus. Es gab sie nicht.

 

Es herrschte ein Meinungsmonopol, von dem die Bundestagsparteien nur graduell abwichen. Die deutsche Politik war – wie die ewige Kanzlerin mit Stolz anmerkte – alternativlos. Daran hat sich wenig geändert.

 

Die Hüter des Einheitsbreis übersehen jedoch, dass sich in einer Demokratie auf Dauer keine Position unterdrücken lässt. Sie sucht sich stets ein Ventil. So war es in den achtziger Jahren, als die Grünen erstmals eine Alternative zu den von der Atomkraft einhellig begeisterten Parteien CDU/CSU, SPD und FDP boten.

 

Die Grünen setzten sich über alle Konventionen hinweg, zogen mit selbstgestrickten Pullovern in den Bundestag ein

und spotteten über die «Altparteien». Heute gehören sie selbst dazu, während abermals eine neugegründete Partei

in einem Themenfeld Fundamentalopposition betreibt: die AfD bei der Migration.

 

Statt sich ernsthaft mit der Herausforderung zu beschäftigen, pochen die Altparteien auf die Alternativlosigkeit ihrer Politik. Wie sie dabei vorgehen, demonstrieren die Generalsekretäre von SPD und CDU, Kevin Kühnert und Mario Czaja. Sie speisen die Wähler mit Floskeln ab oder verweigern die Auseinandersetzung.

 

Kühnert sagte in der «Welt», die AfD bedeute den «Chancentod für Deutschland», weil sie in Zeiten des Arbeitskräfte-mangels für Abschottung plädiere. Die Phrase ist der Chancentod jeder Debatte.

 

Die Wähler haben nichts gegen die Einwanderung gut ausgebildeter Österreicher und Schweizer, die als Mechatroniker oder Hausärztin den Fachkräftemangel in Deutschland bekämpfen. Doch es kommen eher weniger Europäer und generell kaum gut Ausgebildete. In Scharen strömen hingegen Migranten aus Südasien, dem Nahen Osten und Afrika. Unter ihnen sind die umworbenen «High Potentials» rar.

 

Weder die CDU, die Partei der «Willkommenskultur» (auch so eine leere Phrase), noch SPD, Grüne und FDP haben es

je geschafft, eine Politik durchzusetzen, die stärker zwischen erwünschter und unerwünschter Migration unterscheidet. Mit Plattitüden statt Taten gewinnt man auf Dauer keine Wähler.

 

Der unterdessen abgelöste CDU-Generalsekretär Czaja hat nicht einmal eine Plattitüde übrig, wenn er eines Rechts-populisten gewahr wird, sondern er nimmt gleich ganz Reissaus. So sagte er eine Podiumsdiskussion ab, bei der er

mit einer ehemaligen AfD-Abgeordneten hätte diskutieren sollen.

 

Die Diskursverweigerung funktioniert aber nur, solange es sich nicht schickt, eine bestimmte Partei zu wählen. Die soziale Marginalisierung zielt ins Leere, wenn ein Fünftel bis ein Drittel der Bürger für die AfD stimmt. In Ostdeutsch-land schämt sich schon lange niemand mehr für diese Wahlentscheidung. Bang muss man sich fragen, welchen Zu-

lauf die Partei wohl fände, wenn sie nicht ständig mit dem braunen Sumpf kokettieren würde.

 

Die etablierten Kräfte – das Wort Altparteien gilt als unanständig, seit es die AfD benutzt – reagieren hilflos auf den Kollaps ihrer Ausgrenzungsstrategie. Sie geben einander die Schuld am Höhenflug ihres gemeinsamen Gegners. Die CDU ortet den Grund für den Aufstieg in der Regierungspolitik, vor allem dem verkorksten Heizungsgesetz.

 

Die Ampelkoalition keift zurück, der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz mache mit reaktionärem Gerede die Populisten

erst salonfähig. Die Schlichtheit der Analyse ist deprimierend.

 

Im Übrigen versprechen die Regierungsparteien, ihre Politik besser zu erklären. Dabei muss man den Bürgern nichts erklären. Sie haben bereits verstanden und wählen deshalb AfD, denn sie suchen nach einer Alternative zur Politik der Alternativlosigkeit. So ist es wohl kein Zufall, dass die AfD gerade unter der Ampelkoalition so stark hinzugewinnt. Erstmals in der jüngeren Geschichte regieren drei Bundestagsfraktionen zusammen. Mehr Einheitsbrei ist kaum vorstellbar.

 

In ihrer Hilflosigkeit verlangen die etablierten Parteien von den Bürgern eine moralische Haltung, nämlich einen Aufstand der Anständigen gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Homophobie der AfD. Deren Wähler denken jedoch nicht in moralischen Kategorien, sondern taktisch. Die wenigsten stimmen den völkischen Parolen zu, sondern nutzen die AfD als blosses Sprachrohr ihrer Unzufriedenheit.

 

Gerade in Ostdeutschland ist diese Haltung nachvollziehbar, denn westdeutsche Politiker und Journalisten behandeln «den doofen Rest» im Beitrittsgebiet mit Geringschätzung. Die Ostdeutschen gelten als von Kollektivismus und Kom-munismus versehrte Seelen. Wenn sie sich dann aber wie in der Pandemie gegen die Einschränkung ihrer Bürgerrechte wehren, sind sie keine Freiheitshelden, sondern Verschwörungstheoretiker. Wie sie es auch anstellen: Sie bleiben Parias.

 

Aber im Osten will man sich nicht mit der Einteilung der Welt in den aufgeklärten Westen und «Dunkeldeutschland» abfinden. Deshalb profitieren die Populisten vom innerdeutschen Kolonialismus.

 

Eine ängstliche CDU fesselt sich selbst

 

Wie kann man die AfD im Osten schwächen? Die übrigen Parteien klammern sich an ihre bereits gescheiterte Strategie. Sie treten in der Aufstellung alle gegen einen an. Wo einst die Sozialistische Einheitspartei herrschte, soll es jetzt eine Demokratische Einheitsfront richten, um die AfD von der Regierung fernzuhalten. Doch es schadet der Demokratie, wenn die stärkste Kraft dauerhaft ausgesperrt wird.

 

Die Sozialdemokraten konstatieren schadenfroh, dass es der CDU so ergeht wie ihnen früher mit der ostdeutschen Linkspartei. Die Stimmen für die Populisten kosten die Union die Macht, solange sie jede Koalition mit diesen ablehnt.

So kann man Wetten abschliessen, wie lange die von Merz errichtete «Brandmauer» gegen rechts hält. Auch bei der

SPD war es einst ein einzelner Landesverband im Osten, der das von der Bundespartei verhängte Verbot von Bünd-

nissen mit der Linkspartei zu Fall brachte.

 

Merz ist nicht Merkel. Er hat nicht die Autorität der früheren Kanzlerin, die den thüringischen Landesverband zurück-pfiff, als er mit den Stimmen der AfD eine Minderheitsregierung bilden wollte.

 

Alternativ könnte sich die CDU aus den Fesseln der Einheitsfront befreien und sich als eigenständige liberal-konser-vative Kraft profilieren. Sozialdemokraten und Grüne versuchen der Union Angst einzujagen, indem sie behaupten,

eine härtere Haltung bei der Migration nütze nur der AfD, weil die Menschen lieber das Original wählten. Vermutlich trifft das Gegenteil zu: Unzufriedene bürgerliche Wähler würden zurückkehren, wenn ihre Anliegen ernst genommen und nicht mit ein paar Floskeln abgetan würden. Denn die Rechtspopulisten sind für diese Wähler ein Notbehelf,

aber keine politische Heimat.

 

Jede Richtungsentscheidung erfordert Mut – und der ist derzeit das Letzte, was die am Merkel-Kater leidende CDU besitzt. Bei ihr liegt der Schlüssel für eine Eindämmung der AfD.     

 

Die ängstliche CDU macht die AfD stark (nzz.ch)

 



 

 

Warum das Prinzip der Brandmauer gescheitert ist

 

The European, Artikel vom 05.09.2024

 

Die CDU sollte weiterhin nicht mit AfD oder Die Linke koalieren. Aber sie muss die Gründe dafür in Zukunft politisch, nicht dogmatisch begründen - auch gegenüber BSW. Und sich abschauen, wie es die SPD mit Grünen und PDS machte.

 

Die CDU steht nach den Wahlen in Sachsen und Thüringen vor einer schwierigen Entscheidung bezüglich der Brandmauer-Politik: Entweder geht sie mit Haltung in die Opposition oder sie entscheidet sich für Inkonsequenz und Regieren. Beides zusammen, nämlich ihre selbst formulierten Prinzipien aufrecht zu halten und trotzdem in den beiden Ländern Ministerpräsidenten zu stellen, ist nicht möglich. Und, Achtung, ähnliche Konstellationen könnte es schon bald in anderen Ländern und gar im Bund geben.

 

An dieser Stelle zeigt sich, dass die Beschwörung einer „Brandmauer“ falsch war. Zwar ist es ehrenwert, wenn eine demokratische Partei, zudem die letzte Volkspartei Deutschlands, mit bestimmten anderen Parteien außerhalb des Verfassungsbogens, sowohl rechts wie links, nicht koalieren will. Aber dazu hätte man sich nie von außen, sprich: von links das statische Prinzip der Brandmauer einreden lassen dürfen (und da hat Friedrich Merz recht, dieser Term wurde zunächst von linken Stichwortgebern eingeführt, bevor ihn die Christdemokraten übernahmen). Denn inzwischen ist sie zu einer Gefängnismauer für die CDU geworden und macht nur noch ihr gestaltende Politik unmöglich: Sie kommt aus dem eigenen Lager nicht nach rechts heraus, weil dort die AfD steht. Und sie kommt nicht nach links heraus, weil man dort mit zwei Linksaußen-Parteien kooperieren oder sich entscheiden muss zwischen Die Linke, bei der es sich um die mehrfach umbenannte SED handelt, oder dem BSW, deren Führerin Sahra Wagenknecht als Initiatorin der einstigen Kommunistischen Plattform das wichtigste Argument für den deutschen Verfassungsschutz war, Die Linke als extremistisch einzustufen.

 

Wer diesen nachgewiesenen Extremismus der Sahra Wagenknecht nun plötzlich wegzureden versucht, indem er behauptet, das BSW habe ja noch gar kein richtiges Programm und sei daher eine „Wundertüte“ oder „Blackbox“, wie es der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer tut, greift tief in die Kiste der politischen Tricksereien. Und er muss davon ausgehen, dass ihn die Wähler durchschauen, von denen eine Mehrheit ja die CDU gewählt hat, weil sie in ihren Ländern eben keine linke, sondern eine bürgerliche, konservative Politik betrieben haben möchten – nicht rechtsradikal, sonst hätte man die AfD gewählt, aber eben auch nicht links, linksradikal oder linksgrün, sonst hätte man irgendwo in diesem breite Spektrum das Kreuzchen gemacht.

Der linksextreme Hintergrund von Wagenknecht

 

Viele Sachsen und Thüringer dürften gleichwohl das BSW zunächst einmal akzeptabel finden, weil es mit der Forderung nach einer Bekämpfung der illegalen Migration den politischen Nerv schlechthin trifft. Auch die von Wagenknecht geforderte Positionierung gegen die US-Mittelstreckenraketen findet gerade im Osten eine recht breite Basis, wenngleich sie intellektuell ebenso anspruchslos ist wie in den frühen 1980er Jahren die Ausrufung westdeutscher Kommunen oder Schulen zu „atomwaffenfreien Zonen“.

 

Aber neben diesen beiden Punkten bleibt Wagenknecht eine stramme Linke mit leninistischem Kaderdenken, weder sie noch ihr Mann Oskar Lafontaine sind plötzlich bürgerliche Befürworter der freien Marktwirtschaft geworden. Wenn sie von der Stärkung des Mittelstands spricht, hat sie nicht mehr Wettbewerb im Sinn, sondern mehr Staat, der Geld von oben in die Mitte umverteilen und dirigierend in Wirtschaft und Gesellschaft eingreifen soll. Das alles sind politische Gründe, die gegen eine Kooperation mit dem BSW sprechen; sie sind besser als ein Dogma wie es sich mit der Brandmaurerei zeigt.

 

Mit anderen Worten: Eine CDU, die sich aus Panik vor der (in der Tat unappetitlichen und in weiten Teilen extremisti-schen) AfD mit den Linken gemein macht, wird bei der nächsten Wahl noch mehr Abwanderung nach rechts beo-bachten, weil es dort dann die einzige Partei gibt, die eine „nicht-linke Politik“ betrifft. Deren Konsequenz kann man

zwar in Zweifel ziehen kann, weil gerade Björn Höcke einem patriotischen Sozialismus das Wort redet, der ebenfalls

Geld umverteilen will, aber die Empfänger auf deutsche Staatsbürger beschränken und Ausländer davon ausschließen möchte. Doch solange die AfD isoliert bleibt, jenseits der angeblichen Brandmauer, muss sie keinen ihrer inhaltlichen Widersprüche offenbaren und kann von sich behaupten, die einzige „vernünftige“ Politik im Land anzubieten. Und die Republik wird erst allmählich realisieren, dass es im Moment nicht in der größer werdenden Stube der AfD brennt, sondern die Brandmauer das Feuer diesseits der Wand heftiger werden lässt. Dort werden die immensen Widersprüche zwischen einer notwendigen, sehr umfassenden Reformpolitik, wie sie Merz (und auch Markus Söder) einfordern, und den linken Beharrungskräften immer dramatischer. Die Zeit läuft Deutschland davon, aber die Modernisierung Deutsch-lands auf so vielen Feldern der Innen-, Wirtschafts- und Verteidigungspolitik ist schlicht nicht (oder immer nur punktuell) zu machen mit Die Linke oder BSW oder auch den zwar nicht mehr extremistischen, aber gleichwohl ideologisch ver-blendeten Grünen oder der geschrumpften SPD, die sich weigert, den Sozialstaat etwa beim Bürgergeld abzuspecken.

 

Was also ist zu tun? Man muss sich das einstige Vorgehen der SPD mit Parteien links von ihr abschauen. Die SED/PDS/Linkspartei/Die Linke wurde vorübergehend geächtet. Aber auf Länderebene kooperierte die SPD bereits ab 1994 mit der PDS, als in Sachsen-Anhalt Ministerpräsident Reinhard Höppner seine rot-grüne Minderheitsregierung von ihr tolerieren ließ. 1998 folgte die erste rot-rote Koalition in Mecklenburg-Vorpommern. Und spätestens 2005 wäre die

PDS auch im Bund als Mehrheitsbeschaffer willkommen gewesen, um eine CDU-Kanzlerschaft zu verhindern.

 

Das zweite Beispiel: Die Grünen kamen als in Teilen extremistische Partei 1983 erstmals in den Bundestag, sie hatten ein unklares Verhältnis zur Gewalt, wurden von Klassenkämpfern aus den K-Gruppen dominiert, denen Staatsknete deutlich wichtiger war als der Umweltschutz. Sie standen teilweise in verständnissinnigem Kontakt mit inhaftierten RAF-Terro-risten, beschimpften Brüssel als „Moloch“, wollten raus aus der Nato und förderten Pädophile. Dennoch begannen führende SPD-Politiker spätestens ab 1986 Diskussionen über mögliche Kooperationen mit den Grünen, und die Medien beklatschten das.

 

Viel Nachsicht für die radikalen Anfänge der Grünen

 

Anders als die Grünen, die sich zwar langsam, aber über die Jahre eben doch in die Mitte bewegten, hat sich die AfD in den letzten Jahren weiter radikalisiert. Das liegt zum einen an Ideologen wie Höcke – aber sicher auch an der gesell-schaftlichen Isolierung dieser Partei. Anders als Grünen-Politiker, die man als intellektuelle Gesprächspartner stets akzeptierte, selbst wenn sie wie etwa Daniel Cohn-Bendit schmierige Traktate über sexuelle Spielchen mit Kindern geschrieben hatten oder wenn sie wie Jürgen Trittin oder Reinhard Bütikofer als Vermittler angesehen wurden zwischen RAF-Terroristen und dem Staat.

 

Die AfD hingegen blieb von derartigen Diskursen frühzeitig durch die Brandmauer ausgeschlossen, und mutmaßlich

hat dieser vermeintliche Feuerschutz sehr stark zum Gären im eigenen Saft beigetragen und die AfD zu einer Art „gesellschaftlichen Auswurf“ gemacht: Wer, als konservativer Bürgerlicher, auf sich hielt und seine Reputation nicht verlieren wollte, konnte sich bei dieser AfD nicht sehen lassen, und das galt schon in früheren Zeiten unter insgesamt honorigen Vorsitzenden wie Bernd Lucke oder Frauke Petry oder Jörg Meuthen. Die AfD wurde schon unter ihrer Führung von den Medien in üblen Farben gezeichnet, um immer dann, wenn diese Vorsitzenden von Bord gingen,

die Klage anzustimmen, dass diese Partei „jetzt aber wirklich ins radikale Lager“ abgedriftet sei.

 

Doch diese Ursachenforschung ist müßig. Aktuell kann die prorussische, antiamerikanische, die EU ablehnende, das Grundgesetz verachtende AfD im Bund kein Koalitionspartner für die CDU sein. Für Thüringen gilt dies schon wegen

der Person von Höcke ebenso.

 

Was aber, wenn die AfD sich erneuern wollte? Wenn sie Höcke mittelfristig ablösen lässt und sich auch programmatisch verändert? Klar muss dabei sein, dass eine Partei nicht stigmatisiert werden darf, weil sie eine Bekämpfung der illegalen Immigration fordert, denn das tun inzwischen auch Union und SPD. Sogar Bundespräsident Steinmeier hat dies in Solingen gefordert, und Merz plauderte aus, dass Bundeskanzler Olaf Scholz im Gespräch mit ihm gesagt habe, am liebsten würde er die illegale Immigration „auf Null“ runterbringen. Man muss also unterscheiden zwischen den Teilen der AfD-Forderungen, die wirklich rechtsextrem sind oder aber vielleicht nur rechtspopulistisch oder lediglich rechts. Letztere beiden Positionen mag jeder Demokrat ablehnen, aber sie sind nicht illegitim in einer Demokratie, sondern sogar notwendig, um ein Vakuum und damit Raum für Rechtsaußen zu verhindern.

 

Rechte (demokratische) Parteien gehören zur Normalität von parlamentarischen Systemen. An diesem Punkt ist nun auch unser Land angelangt. Die CDU hat diese Entwicklung für Deutschland dadurch sogar noch befördert, dass sie unter Angela Merkel ihren konservativen Flügel schlicht amputierte und deren Repräsentanten wie Jörg Schönbohm oder Wolfgang Bosbach neutralisierte. Der vormalige Kanzlerkandidat Armin Laschet wollte den Konservativismus im Gespräch mit der FAZ nicht einmal als eine Wurzel der CDU-Programmatik anerkannt sehen. Wenn man aber den Konservativen keinen Entfaltungsraum in der eigenen Partei lässt, gründen sie einen neuen Verein, und wenn bürgerliche Unionisten ihnen dorthin nicht folgen mögen, um ihre gesellschaftliche Reputation nicht zu verlieren,

finden sich dort eben Populisten und Extremisten ein. Lieber sumpfige Mitglieder als gar keine, so ist dort die Denke.

 

Die CDU sollte darum auf weitere „Ausschließeritis“ (Robert Habeck) verzichten, weil eine weitere Brandmauer, jetzt auch gegenüber dem BSW, sie von 40 bis fast 50 Prozent der Wählerschaft etwa in Thüringen abschotten würde. Das kann sich eine Partei der Mitte nicht leisten. Wenn sich nach harten, eventuell viele Monate währenden Verhandlungen ein vernünftiger Minimalkonsens durchsetzen lässt, natürlich ohne außenpolitische Verbiegungen gegenüber Moskau, muss zumindest eine Duldung durch das BSW eine Option sein. Sollte sich Wagenknecht indes zu kompromisslos zeigen, müssen auch Neuwahlen in Kauf genommen werden, spätestens im September nächsten Jahres gleichzeitig

mit der Bundestagswahl.

 

Das Dogma muss gegen politische Argumente getauscht werden

 

In dem Moment, in dem die CDU einer solchen Form der indirekte Kooperation mit dem BSW zustimmt, sollte sie das Konzept der Brandmauer für jede Ebene unterhalb des Bundes widerrufen. Es hat sich schlicht nicht bewährt, und wenn etwas nicht funktioniert, muss man den Fehler korrigieren, anstatt ihn fortzusetzen. Das heißt keineswegs, dass man die AfD in diesem Moment als koalitionswürdig betrachtet. Aber man würde ihr zugestehen, dass sie auf kommunaler oder Landesebene anders agieren mag als im Bund oder unter einem Höcke in Thüringen.

 

Den Grünen wurde einst „im Zweifel für den Angeklagten“ die Chance auf demokratische Läuterung zugestanden, das gleiche folgte später seitens der SPD für Die Linke. Ab jetzt sollte auch die CDU die Ablehnung von Koalitionen mit der einstigen SED nicht mehr von einem gescheiterten Prinzip abhängig machen, sondern vom Ergebnis intensiver Verhandlungen in einer zunehmend zerklüfteten Parteienlandschaft. Und das müsste dann in gleicher Weise für BSW und, horrible dictu, für die AfD gelten.

 

Eine solche Erklärung der CDU, gültig zunächst nur für Kommunen und Länder und gleichbedeutend mit dem Wechsel von dogmatischen zu politischen Kriterien, wird ihr lauten Protest, vielleicht manche Großdemo und viel Kritik von „Süddeutscher“ bis ARD und ZDF eintragen. Aber diese Attacken kämen von Leuten, die ohnehin nie die Union wählen würden, während es im eigenen Lager richtig verstanden würde als Rückeroberung von Ellenbogenfreiheit, so wie sie alle anderen Parteien bereits haben. Es wäre der Ausbruch aus dem Gefängnis. Die Alternative zu einer solchen Kurskorrektur bestünde darin, als stärkste Partei und Sprachrohr der bürgerlichen Mehrheit in die Rolle des Mehrheitsbeschaffers schwächerer Parteien von links oder ganz links abzudriften. Das aber kann nicht das Ziel der Union sein.

 

https://www.theeuropean.de/politik/warum-das-prinzip-der-brandmauer-gescheitert-ist