Was spricht für und was gegen ein AfD-Verbotsverfahren?
Drei AfD-Landesverbände gelten als „gesichert rechtsextremistisch“, auf Bundesebene ist die Partei nur ein Verdachtsfall. Das könnte sich nach SZ-Recherchen bald ändern – mit Auswirkungen sowohl für die AfD als ganzes als auch für Parteimitglieder.
26.02.2024
Dafür sprechen sich inzwischen zahlreiche Politikerinnen und Juristen aus. Andere sehen ein Parteiverbotsverfahren kritisch. Und manche befürchten, dass ein solcher Schritt unserem demokratischen System sogar schaden könnte.
Inhalt
Was sind die Voraussetzungen, um eine Partei zu verbieten?
Das Verbot von demokratiefeindlichen Parteien oder Vereinen ist eines der Mittel, mit denen eine wehrhafte Demokratie gegen ihre Feinde und somit gegen ihre eigene Abschaffung vorgehen kann. Grundlage für ein solches Verbot ist der Artikel 21 des Grundgesetzes. Dort heißt es:
"Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig."
Was das genau bedeutet, legte das Bundesverfassungsgericht in weiteren Entscheidungen fest. So muss die Partei sich beispielsweise in „aktiv-kämpferischer Weise“ für die Abschaffung der Demokratie einsetzen. Es genüge nicht, oberste Verfassungswerte abzulehnen, heißt es in einer Erläuterung des Bundesinnenministeriums. „Die Partei muss vielmehr planvoll das Funktionieren der freiheitlichen demokratischen Grundordnung beseitigen wollen“ – also aktiv gegen den Staat vorgehen.
Ein weiter entscheidender Punkt: Es müssen konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die es möglich erscheinen lassen, dass das Handeln der Partei erfolgreich sein kann. Das heißt, eine Partei kann nur verboten werden, wenn sie auch eine gewisse Chance hat, ihre verfassungsfeindlichen Ziele durchzusetzen.
Auch gegen welche Werte des Grundgesetzes die Partei vorgehen müsste, ist recht eng gefasst. Es handelt sich dabei um die drei zentralen Kernwerte. Diese sind die Würde des Menschen – der Grundsatz, dass alle Menschen gleich viel wert sind –, das Demokratieprinzip und schließlich das Rechtsstaatsprinzip, also die Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt und eine Kontrolle durch unabhängige Gerichte.
Den Antrag auf ein Parteiverbot können nur der Bundestag, der Bundesrat oder die Bundesregierung stellen. Über ein Parteiverbot entscheidet dann das Bundesverfassungsgericht.
Welche Parteiverbote und Anträge darauf gab es bereits?
Zweimal hat das Bundesverfassungsgericht bisher Parteien verboten: die nationalsozialistisch orientierte Sozialistische Reichspartei (SRP) und die stalinistische Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), beide in den 1950er-Jahren.
Gegen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) wurde gleich zweimal ein Verbotsverfahren eingeleitet – und beide scheiterten. Das erste 2003 aus verfahrensrechtlichen Gründen, noch bevor es zur Verhandlung in Karlsruhe kam: Denn damals saßen V-Leute des Verfassungsschutzes in der Führungsebene der Partei und hatten möglicherweise die Entscheidungen der NPD beeinflusst. Drei der sieben Richter des zweiten Senats sahen darin ein Verfahrenshindernis.
2017 entschied das Bundesverfassungsgericht dann erneut über ein NPD-Verbot. Damals stellte das Gericht fest, dass die Partei zwar verfassungsfeindliche Ziele vertrete, die auf die Beseitigung der bestehenden freiheitlichen demokrati-schen Grundordnung gerichtet seien. Dem Gericht fehlten jedoch „konkrete Anhaltspunkte von Gewicht, die es zumin-dest möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln zum Erfolg führt“. Das Parteiverbot wurde deswegen abgelehnt.
Wie wird die AfD vom Verfassungsschutz eingestuft?
Auf Landesebene werden drei AfD-Verbände von den dortigen Verfassungsschutzämtern bereits als „gesichert rechts-extremistisch“ eingestuft: in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt. Darüber hinaus betrachtet das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) inzwischen auch die Jugendorganisation der Partei, die „Junge Alternative für Deutschland“ (JA), als gesichert rechtsextremistisch. Ein Eilantrag dagegen war Anfang Februar 2024 gescheitert.
Auf Bundesebene gilt die Gesamtpartei nach einer Einstufung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) seit März 2021 als „rechtsextremistischer Verdachtsfall“. Diese Einschätzung wurde ein gutes Jahr später in erster Instanz durch das Verwaltungsgericht Köln bestätigt. Dagegen versucht die Partei juristisch vorzugehen. Beim Oberverwaltungs-gericht in Münster läuft ein entsprechendes Verfahren. Eine mündliche Verhandlung soll im März 2024 stattfinden.
Recherchen der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) vom 25. Februar 2024 zufolge, arbeitet das BfV inzwischen jedoch darauf-hin, die gesamte AfD nicht mehr nur als „rechtsextremistischen Verdachtsfall“ einzuordnen, sondern als „gesichert ex-tremistische Bestrebung“. Ein entsprechendes Gutachten sei bereits weitgehend fertiggestellt, heißt es in dem Bericht.
Darüber hinaus zitiert die Zeitung einen internen Vermerk aus dem BfV. Demnach würden nicht alle Parteimitglieder als Anhänger extremistischer Strömungen betrachtet. Aber die Strömung um Björn Höcke – das sogenannte solidarisch-patriotische Lager – gewinne an Einfluss. Zudem enthalte der Entwurf des neuen Gutachtens nun auch den neuen Punkt „Verhältnis zu Russland“.
Die Behörde selbst wollte die SZ-Recherche nicht kommentieren. „Zu behördeninternen Arbeitsabläufen nimmt das BfV grundsätzlich keine Stellung“, teilte der Nachrichtendienst der SZ mit und fügte hinzu: „Damit ist keine Aussage ge-troffen, ob der Sachverhalt zutrifft oder nicht.“
Mögliche Folgen für die AfD
„Prüffall“, „rechtsextremistischer Verdachtsfall“ und „gesichert extremistische Bestrebung“ – das sind die drei Stufen des Verfassungsschutzes zur Einordnung möglicher verfassungsfeindlicher Vereinigungen und Organisationen. Auf Bundes-ebene ist die AfD derzeit ein Verdachtsfall. Sollte die Partei tatsächlich in die höchste Kategorie dieser Extremismus-Skala eingestuft werden, könnte das Folgen haben.
Vereinfachte nachrichtendienstliche Überwachung
Organisationen und Gruppierungen der zweiten und dritten Kategorie dürfen mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht werden (wenn zugleich besondere Umstände erfüllt sind). Solche Mittel können der Einsatz sogenannter
V-Leute sein, Telefonüberwachung und Weiteres.
Allerdings gilt diese Regel nur dann, wenn die genannten Mittel im jeweiligen Fall auch als „verhältnismäßig“ betrachtet werden können. Bei einer möglichen Einstufung der AfD als „gesichert extremistische Bestrebung“ (Kategorie 3 auf der Skala) dürfte dieses Kriterium der Verhältnismäßigkeit häufiger gegeben sein als beim bloßen „rechtsextremistischen Verdachtsfall“ (Kategorie 2).
Folgen für Einzelpersonen
Auch auf der Ebene der Einzelpersonen könnte eine Einstufung der AfD als „gesichert extremistische Bestrebung“ Auswirkungen haben – zum Beispiel dann, wenn Parteimitglieder beruflich im Öffentlichen Dienst auf Bundesebene tätig sind. Im Dezember 2023 hat der Bundesrat dem Gesetz zur Beschleunigung von Disziplinarverfahren in der Bundesverwaltung und zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften zugestimmt.
Durch das Gesetz sollen Disziplinarverfahren beschleunigt werden, mit denen z.B. Bundesbeamte mit extremistischen Gesinnungen aus dem Amt entfernt oder deren Ruhegehälter gestrichen werden können. Wenn die Partei, der eine solche Person angehört, bereits in der höchsten Kategorie 3 eingestuft ist, dürfte auch die extremistische Gesinnung der Person selbst besser zu belegen sein.
Was spricht für ein AfD-Verbot?
Über ein AfD-Verbot ist schon öfter diskutiert worden – beispielsweise 2022, als über Verbindungen zwischen Reichs-bürgern und der AfD berichtet wurde. Eine neuerliche Debatte entfachte im Januar 2024 ein Bericht des Recherche-netzwerks „Correctiv“ über ein geheimes Treffen in Potsdam, bei dem unter anderem Vertreter der AfD und der rechts-extremen Identitären Bewegung über die Vertreibung von Millionen Menschen mit Migrationsgeschichte aus Deutsch-land berieten.
Durch den Bericht sei es leichter geworden, die Partei zu verbieten, sagt der Publizist und Jurist Heribert Prantl – denn „die fatalen Pläne der Partei“ seien noch deutlicher geworden. Für Prantl ist es „höchste Zeit“, ein Verbotsverfahren zu initiieren. „Man muss die Kraft haben intolerant gegenüber denjenigen zu sein, die die Demokratie umbringen wollen.“
Zuvor hatten bereits einige SPD-Politiker und -Politikerinnen wie die Parteivorsitzende Saskia Esken oder der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse die Prüfung eines Verbotsverfahrens gefordert. Wenn der Verfassungsschutz die Partei in drei Bundesländern als gesichert rechtsextremistisch einstufe, habe der Staat die Pflicht, ein Verbots-verfahren in die Wege zu leiten, sagte Thierse. Es sei wichtig, „dass über ein AfD-Verbot gesprochen wird und so auch Wählerinnen und Wähler aufgerüttelt werden“, begründete Esken ihren Vorstoß.
Was spricht gegen ein AfD-Verbot?
Die Gegner eines AfD-Verbotsverfahrens verweisen auf mögliche negative Folgen und Reaktionen in der Bevölkerung. Ein Verbotsverfahren – so die Befürchtung – würde dazu führen, dass sich erhebliche Teile der Bevölkerung weiter von der Demokratie entfremden.
Letztendlich könnte das Verbot der AfD sogar weitere Sympathien einbringen, vermutet der Ostbeauftragte der Bundes-regierung, Carsten Schneider (SPD). „Wenn wir eine Partei verbieten, die uns nicht passt, die in Umfragen aber stabil vorne liegt, dann führt das zu einer noch größeren Solidarisierung mit ihr“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“. „Die Kollateralschäden wären sehr hoch.“
Auch an den rechtsextremen Einstellungen in der Bevölkerung würde das Verbot grundsätzlich nichts ändern, so die Argumentation einiger Verbotsgegner. Es sei besser, sich politisch mit der AfD auseinandersetzen. Das Ziel müsse sein, die AfD inhaltlich zu stellen und den Wählern zu verdeutlichen, „was die Konsequenzen ihrer inhaltlichen Positionen wären“, sagt Schneider.
Viele Kritiker verweisen auch auf die beiden gescheiterten NPD-Verbotsverfahren und die geringen Erfolgschancen eines AfD-Verbots.
Welche Alternativen gibt es zu einem AfD-Verbot?
Der Publizist und Jurist Heribert Prantl wirbt dafür, rechtsextremen Politikern wie Björn Höcke mit dem Artikel 18 des Grundgesetzes Grundrechte zu entziehen und die Wählbarkeit abzuerkennen. Das sei schneller möglich und einfacher zu handhaben als ein Parteiverbot, so Prantl. Auf der Plattform WeAct gibt es dazu eine Petition, die bereits mehr als eine Million Menschen unterschrieben haben.
Die Beweissituation sei bei Artikel 18 GG leichter als bei einem Parteiverbot, sagt Prantl – weil man nur das „ver-fassungswidrige und systemstürzlerische Agieren“ von einzelnen Personen, und nicht von einer ganzen Partei, nachweisen müsse. Ein Antrag auf Verwirkung der Grundrechte kann vom Bundestag, von der Bundesregierung oder von einer Landesregierung gestellt werden. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet dann über Ausmaß und Dauer der Verwirkung.
Die AfD hat sich in den letzten Jahren immer weiter radikalisiert. Eine Petition fordert nun, dem AfD-Rechtsaußen Björn Höcke die Grundrechte zu entziehen. Doch ob ein solches Verfahren Erfolg hätte, ist unklar.
Die Journalistin Ulrike Herrmann plädiert hingegen dafür, sich mit den Inhalten der AfD verstärkt politisch auseinander-zusetzen. Höcke die Grundrechte abzuerkennen ändere nichts an den Einstellungen der AfD-Wähler: „Das Problem an Höcke ist ja nicht nur Höcke, das Problem sind die Wähler. Die wollen das.“
Herrmann plädiert deswegen für eine Zukunftskommission Migration, um „Realitäten ins Bewusstsein“ zu bringen. Es sei klar, dass Migration notwendig sei und ohne sie alles in Deutschland zusammenbrechen würde – „auch in Ostdeutschland“.
https://www.deutschlandfunk.de/afd-verbot-102.html