Genealogie der Diktaturen

 

 

Diktaturen entstehen am Anfang immer auf die gleiche Weise. Am Anfang steht einer zuerst kleine Gruppe, die eine neue Idee hat, die sie selbst für gut hält und die sie leidenschaftlich in die Tat umsetzen will. Aufgrund der Neuartigkeit entstehen Missverständnisse, Meinungsverschiedenheiten und Spaltungen in Befürworter und Gegner.

 

Aus der kleinen Gruppe mit ihrer neuen Idee entsteht dann eine politische Bewegung mit einer wachsenden Zahl von Anhängern, die immer fanatischer und radikaler werden, da sie ihre neue Idee verabsolutieren und gegen berechtigte Einwände abschirmen und gegen vernünftige Kritik immunisieren. Das geschieht, indem sie ihre Kritiker mit pseudo-moralischen Verurteilungen abwerten und als krank oder bösartig beschimpfen.

 

Die Anhänger dieser Bewegung beginnen sich zu radikalisieren, weil sie sich nur innerhalb ihrer eigenen Bewegung gegenseitig bestätigen können, aber außerhalb ihrer Gruppe und Bewegung auf Skepsis und Widerstand stoßen und ihrem eigenen Empfinden nach nicht auf genug Gehör stoßen und keine wachsende Zustimmung finden. Da sie sich emotional im Recht fühlen und zu keiner kritischen Selbstdistanz fähig sind, entstehen Radikalisierrungen in Form

von In-Group- und Out-Group-Mechanismen, Feindbildprojektionen und Sündenbocksyndromen.

 

Sie halten sich selbst für die Erwachten und Guten, die sich im Licht befinden, währen die Anderen die Schlafenden und Bösen sind, die immer noch in der Finsternis leben. Sie meinen "die Geschichte" auf ihrer Seite zu haben und für den Fortschritt in eine bessere und glücklichere Zukunft zu stehen. Wer an ihrer Idee oder ihren guten Absichten zweifelt, wird nun zunehmend nicht nur als Andersdenkender oder politischer Gegner verstanden, sondern als politischer Feind, den es mit unfairen Tricks und immer härteren Mitteln der Machtanwendung zu bekämpfen gilt.

 

Angesichts der anhaltenden oder gar wachsenden Diskrepanzen zwischen ihren eigenen Erwartungen an Zustimmung und Unterstützung und den erlebten gesellschaftlichen Realitäten, beginnen sie in einflußreichen Institutionen und Medien immer mehr Positionen einzunehmen, um anderen Bürgern und Menschen ihre neue Idee, ihre eigenen Vorstellungen durch Wiederholung und Gewöhnung sowie durch Demagogie und Indokrination aufzuzwingen.

 

Fast alle Diktaturen der Vergangenheit sind anfangs auf diese Weise entstanden. Die Ideen und Ideologien dieser neuen Bewegungen galten am Anfang nicht nur als neu, sondern auch zumindest als seltsam und absurd. Aber gerade wegen ihrer Andersartigkeit, Neuheit und Irrationalität  konnten viele Bürger und Menschen durch sie verführt und emotional gewonnen werden. Denn mit diesen neuen Ideen konnten die fanatischen Anhänger dieser Bewegungen nicht logisch und rational an überlieferte Ideale und Prinzipien, Normen und Werte andocken, sondern mussten sie ganz außer Kraft setzen und zu ersetzen versuchen.

 

Die Genealogie dreier totalitärer Dikaturen im 20. Jahrhundert

 

Die Nationalsozialisten hatten die abstruse und pseudowissenschaftliche Idee von einer "arischen Herrenrasse",

die von der Natur durch das darwinistische Prinzip des Überlebens durch Anpassung an die Umwelt und durch die "natürliche Zuchtwahl" dazu bestimmt waren, sich als die Stärkeren durchsetzen und die Schwächeren zu beseitigen.

Da es sich angeblich ein unumstößliches Naturgesetz handeln sollte, durften sie, "die Arier" nachhelfen, um ihre natürliche Bestimmung zu realisieren, indem sie andere "Rassen" wie Juden, Sinti und Roma, aber auch angeblich "minderwertige Menschen" wie körperlich und geistig Behinderte, sog. "Asoziale" und Homosexuelle in Arbeitslager steckten und als Arbeitssklaven ausbeuteten oder gar eliminierten.

 

Die Nationalsozialisten kamen anfangs durch demokratische Wahlen, dann durch den Röhmputsch und schließlich durch Propaganda und politische Unterstützung an die Macht. Ihre Bewegung wurde sehr schnell zu einem System militarisierter Truppen und totalitärer Organisationen, die die parlamentarische Demokratie beseitigten und den Rechtsstaat ideologisch vereinnahmten. Der nationalsozialistischen Zwangsherrschaft über die eigene Bevölkerung, ihren größenwahnsinnigen Eroberungskriegen und ihren furchtbaren Arbeits- und Vernichtungslagern fielen Millionen von Menschen zu Opfer.

 

Die Marxisten hatten die nicht weniger absurde und pseudowissenschaftliche Idee von der auserwählten ökono-misch-politischen "Klasse des Proletariats", die von der Geschichte durch das historisch-materialistische Prinzip des kontinuierlichen Klassenkampfes dazu bestimmt gewesen ist, eine streng egalitaristische und sozialistische Revolution durchzusetzen, derzufolge zuerst der feudalistische Adel und dann das kapitalistische Bürgertum zu stürzen war, um eine sozialistische Zwangsherrschaft zu errichten, die dann als vorübergehende "Diktatur des Proletariats" aus angeblich geschichtlicher Notwendigkeit heraus langfristig in einen utopischen Kommunismus zu münden.

 

Die sozialistische Zwangsherrschaft durch sozialistische Einheitsparteien über die jeweiligen Völker blieben überall bestehen, das utopische Fernziel des idealen Kommunismus wurde nie erreicht, die sozialistischen Planwirtschaften,

die aus einigen ökonomischen und politischen Gründen nicht funktionierten und brachen von innen heraus zusammen. Der "reale Sozialismus" war überall ohne Ausnahme ein gescheitertes Experiment, weil er auf falschen ökonomischen Annahmen beruhte und sich an falschen politischen Ideen orientierte. Das gewaltsame sozialistische Experiment hinter-ließ eine furchtbare Blutspur der Verfolgung von Tausenden von Dissidenten, der Ermordung von vielen Millionen von politischen Gegnern und Opfern des sozialistischen Klassenkampfes.

 

Auch die chinesischen Maoisten folgten den aus Europa und Russland importierten pseudowissenschaftlichen Ideen

des Marxismus-Leninismus und passten sie nur ihren chinesischen Verhältnissen an. An die Stelle der ökonomisch-politischen "Klasse des Proletariats", die von der Geschichte durch das historisch-materialistische Prinzip des konti-nuierlichen Klassenkampfes dazu bestimmt gewesen ist, eine streng egalitaristische und sozialistische Revolution durchzusetzen, traten die Arbeiter und Bauern, die in Mao Dse Dungs China das Fundament der neuen Gesellschaft bilden sollten. Um den konfuzianischen Staat der gebildeten Mandarine und Beamten zu stürzen, wurde eine den Arbeitern und Bauern nützliche blutige Kulturrevolution durchgeführt. An ihre Stelle trat die kommunistische Einheits-partei der Volksrepublik Chinas. Die Opposition wurde vertrieben und floh auf die Insel Taiwan, um dort eine vom Festland unabhängige Republik zu gründen.

 

Da die sozialistische Planwirtschaft wie in Russland auch in China nicht funktionierte, öffnete sich die chinesische KP immer mehr für die Zulassung von Privateigentum auch an Produktionsmitteln und schließlich für die Gründung von privatwirtschaftlichen Unternehmen, die jedoch ökonomisch-politisch kontrolliert wurden. Staatliche Eingriffe und rechtlose Beseitigung von zu wenig parteikonformen Funktionären und zu wenig politisch korrekten Unternehmern sind bis in die Gegenwart hinein eine politische Normalität. Seit es moderne Systeme der künstlichen Intelligenz  er-möglichen, wird ein neues umfassendes System der staatlichen Überwachung der Menschen und der staatlichen Belohnung konformen und der Bestrafung devianten Verhaltens errichtet.

 

Entstanden ist das bisher effektivste totalitäre politische System in der Geschichte der Menschheit, das religiöse Gruppierungen wegen ihrer innerlichen Unabhägigkeit wie Buddhisten, Christen und Muslime gängelt und überwacht oder verfolgt und umbringt. Gegen die Kritik westlicher Regierungen und NGOs an der Verletzung von Grund- und Menschenrechten in der VR China verteidigen hochrangige Politfunktionäre als politisch korrekte und konforme Mit-glieder der KP, dass China eine souveräne Volksrepublik sei, die anderen und eigenen Idealen und Prinzipien, Werten und Normen folge, die eben chinesisch und nicht westlich seien.

 

Im neuen Verbund mit Russland, aber auch mit anderen sich selbst als kulturell verstehenden Nationen wie Indien stellen sie die Universalität der Menschrechte und die moderne völkerrechtliche Friedensordnung als westlich

oder amerikanisch in Frage und postulieren eine angeblich bessere multipolare Ordnung verschiedener Kultur-nationen. Demzufolge hat z. B. China seine eigene chinesische politische Ordnung, hat Russland seine eigene russi-

sche politische Ordnung und hat Indien seine eigene indische politische Ordnung, die jeweils durch ihre eigenen kulturell überlieferten Weltanschauungen (Daoismus und Konfuzianismus) oder Religionen (Russische Orthodoxie

und Hindureligion) bestimmt werden.

 

Die Gefahren der Entstehung neuer Diktaturen im sog. Westen

 

Der sog. Westen (zu dem im pazifischen Raum auch Japan, Südkorea und Taiwan, Australien und Neuseeland gehören) ist ein internationaler Verbund von Nationen, die die politische Trias von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und (mehr oder weniger) sozialer Marktwirtschaft verteidigen. Es gibt jedoch auch in diesem sog. Westen viele Bürger und Menschen, Gruppen und Bewegungen, die die universalen Ideale und Prinzipien, Werte und Normen des sog. Westens ab-lehnen, weil sie angeblich nur westlich und nicht universal gültig seien, weil sie in der Vergangenheit imperial und kolonialistisch missbraucht wurden und, weil sie angeblich immer noch rassistisch, ideologisch und sexistisch wirkten, da sie angeblich die vorwiegend alte, weiße und protestantische Männer in den USA und vorwiegend alte, weiße und christliche Männer in Europa begünstigten.

 

Diese Bürger und Menschen, Gruppen und Bewegungen lehnen die angeblich nur westlichen universalen Ideale

und Prinzipien, Werte und Normen ab und identifizieren sich trotz ihrer faktischen Zugehörigkeit zum sog. Westen und damit zur Trias von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und (mehr oder weniger) sozialer Marktwirtschaft mit den anti-westlichen, anti-universalistischen und kulturrelativistischen politischen Ordnungs-Vorstellungen der Chinesen, Inder oder Russen.

 

Einige szientistisch und technokratisch gesinnte Leute bewundern den ökonomischen Aufschwung Chinas, die politische Effizienz ihrer totalitären Verwaltung und ihres autoritären Krisenmanagements. Sie verdrängen jedoch die politischen Folgen durch die Abwesenheit an bügerlichen Freiheiten, sozialem Frieden und individueller Kreativität.

Sie neigen eher zu liberalen oder sozialdemokratischen Parteien und Positionen.

 

Andere idealistisch und mystizistisch gesinnte Leute identifizieren sich mit indischen Yoga, mit seinem religiösen Mystizismus und mit seiner Karma- und Reinkarnationslehre. Dabei ignorieren sie jedoch die hohe Anfälligkeit des indischen Kastenswesens für strenge Hierarchien ohne die für abrahamitische Glaubensweisen charakteristische Gleichheit vor Gott und vor dem Gesetz. Auch verdrängen sie die aktuelle Umwandlung der indischen Nation in eine hindu-nationalistische Diktatur, die vor allem Muslime, aber auch Buddhisten und Christen unterdrückt. Sie neigen

trotz dieser freiheitsfeindlichen Entwicklungen zu links-liberalen oder links-populistischen Parteien und Positionen.

 

Wiederum andere autoritär und nationalistisch gesinnte Leute bewundern das autoritäre und nationalistische Re-gime des Kreml und seiner Oligarchen, das seine eigene kulturelle und politische Odnung in seiner teils erfundenen

und teils geschönten nationalen Geschichte vor der UdSSR zu verankern versucht. Sie verdrängen die politischen Folgen durch das Fehlen an bügerlichen Freiheiten, an sozialem Frieden, an individueller Kreativität und an wirtschaftlicher Produktivität. Sie neigen eher zu rechtspopulistischen oder gar rechtsradikalen Parteien und Positionen.

 

Anzeichen für diktatorische und totalitäre Tendenzen

 

Bestimmte Gruppen und Bewegungen, die ihre Ideen und Ziele mit Vehemenz verfolgen und gerne der Gesellschaft aufzwingen würden, wenn man sie nur ließe, hat es immer schon gegeben und gibt es immer wieder. Das gehört zum Wesen des Politischen. Denn das Wesen des Politischen ist der Kampf um die Macht zur Gestaltung der Zukunft einer Gesellschaft, einer Nation oder einer Föderation von Nationen nach den Vorgaben der eigenen Ideologie, Partei oder Bewegung. Daher sollten Menschen und Bürger alle politische Ideologien, Parteien und Bewegungen immer möglichst skeptisch betrachten und kritisch einschätzen, insbesondere wenn sie extremistisch und fanatisch sind, wenn sie sich radikalisieren und bewußt Straftaten begehen und erst recht, wenn sie sich bewaffnen und Umsturzpläne haben, wie

die linke RAF (ca. 1974-1989), der rechte NSU (ca. 1998-2011) oder  die sog. Reichsbürger (ca.1989-heute).

 

Allerdings ist das Politische immer auch ein notwendiges Übel und ein unentrinnbares Schicksal. Denn jede Gesell-schaft braucht eine funktional effiziente politische Organisation und eine möglichst gerechte rechtliche Ordnung, um Unmut und Unzufriedenheit, Anarchie und Bürgerkriege zu verhindern und um trotz aller unvermeidbaren Interessen-konflikte den sozialen Frieden zu wahren und einen gewissen Wohlstand zu gewährleisten.

 

Der soziale Friede macht es erforderlich, dass die Güter und Rechte, Positionen und Privilegien so verteilt werden, dass alle Menschen und Bürger möglichst das bekommen, was sie angesichts ihrer Grundbedürfnisse und ihrer Leistungs-fähigkeit und wegen ihrer faktischen Beiträge zum Wohlstand und Gemeinwohl verdienen. Eine unpolitische Haltung, eine neutrale Position und eine allzu sorglose Einstellung nutzt nur den aktuell Mächtigen und schadet möglicherweise nicht nur den eigenen Interessen, sondern auch den Interessen der meisten Bürger und Menschen.

 

Leider haben viele Menschen und Bürger nicht die kognitiven Fähigkeiten und sittlichen Maßstäbe, um politische Ideologien, Parteien und Bewegungen eigenständig und unabhängig vom vorherrschenden Zeitgeist einzuschätzen. Die meisten Menschen und Bürger kümmern sich nicht um "das große Ganze" der sozio-ökonomisch-politischen Zusammenhänge, die von Einzelnen immer nur vage erahnt und kaum ganz erfasst und verstanden werden können.

 

Die meisten Menschen und Bürger identifizieren sich daher einfach gewohnheitsmäßig mit bestimmten politischen Ideologien, Parteien und Bewegungen, sodass ihnen die innere Freiheit und mentale Distanz fehlt, um deren Stärken und Schwächen angemessen einschätzen zu können. Daher braucht jede Gesellschaft engagierte und kritische Bürger und Intellektuelle, Journalisten und Reporter, Wissenschaftler und Künstler, Philosophen und Theologen, die dafür begabt und ausgebildet wurden, eine gewisse Wachsamkeit zu Wohle aller und insbesondere der Schwächeren auszu-üben, die sich weder angemessen artikulieren noch hinreichend wehren können.

 

Obwohl genuine Philosophie von der allgegenwärtigen Macht der Ideologien, Sophistik und Demagogie befreien sollte, gibt es auch unter den bedeutendsten politischen Philosophen der Vergangenheit und der Gegenwart immer noch tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten über die vergleichweise beste ökonomisch-politische und moralisch-rechtliche Ordnung. Das gilt auch für die wichtigsten politischen Ideale, Prinzipien, Werte und Normen. Zwischen

den unterschiedlichen Auffassungen der bedeutendsten politischen Philosophen und Philosophien können langfristig nur rationale Diskurse entscheiden, die sich an den Idealen der theoretischen Wahrheit und des praktischen Guten orientieren und nicht nur an rhetorischer Plausibilität, populärer Zustimmung und ökonomisch-politischer Effektivität.

 

Die Trias von Demokratie, Rechtstaat und soziale Marktwirtschaft ist aufgrund der dazu gehörigen Gewalten-teilung, freien Presse und Bürgerrechte das bisher beste ökonomisch-politische System in der Geschichte der Mensch-heit, um den Kampf um die Macht zur Gestaltung einer Gesellschaft, einer Nation oder einer Föderation von Nationen

in geordnete Bahnen zu lenken, sodass bestimmte Gruppen und Bewegungen, zwar ihre Ideen und Ziele anpreisen

und verfolgen dürfen, aber nicht rücksichtslos und ohne rechtliche Einschränkungen und politische Widerstände der Gesellschaft, Nation oder Föderation aufzwingen können. Aber auch diese Einschätzung muss gegen Angriffe von inneren Gegnern und äußeren Feinden dieser Trias verteidigt werden.

 

Dennoch ist die Trias von Demokratie, Rechtstaat und soziale Marktwirtschaft kein Ruhekissen für etwas allzu harmoniebedürftige Menschen, sondern eine politische Arena der endlosen Streitigkeiten, weil sie anders als politische Utopisten weder das "Himmelreich auf Erden" verspricht noch in den harmonischen Paradiesgarten "der  Einheit mit der Natur" zurückführt noch in ein neutrales Niemandsland der kindlichen Sorglosigkeit noch in ein Schlaraffenland der wohlfahrtstaatlichen Vollkaskoversicherung und des allseits betreuten Lebens mit garantiertem Grundeinkommen.

Normalerweise gibt es extremistische Tendenzen auf beiden Seiten des politischen Spektrums, also von rechtsaußen und von linksaußen.

 

Auf der linken Seite drohen öko-sozialistische Tendenzen mit einem ideologischen Hang zu einem neuen ideologi-schen Feminismus, der nicht mehr emanzipatorisch Frauen zur eigenen freien Lebensgestaltung und zur beruflichen Qualifikation bis in höhere Positionen hinein ermutigen und ermächtigen will, sondern der Frauen grundsätzlich für die besseren Menschen hält und sie als angebliche Opfer eines vermeintlichen Patriarchates durch staatlich verordnete Quoten zu privilegieren versucht. Das führt jedoch zu einer reaktionären Entmündigung von Frauen und zu einer ideologischen Diskriminierung von Männern jenseits der Idee der Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung.

 

Hinzu kommt eine Idealisierung und Privilegierung von Homosexuellen, Trans- und Intersexuellen, die diesen auf jeden Fall schützenswerten Minderheiten einen elitären und illegitimen Einfluss auf Gesellschaft und Jugend, Erziehung und Bildung gewährt, der nicht mehr situativ angemessen ist, sondern einer irrationalen Überkompensation entspringt, weil sie in archaischen Gesellschaften und in autoritären Ländern ohne Demokratie, Rechtstaat und soziale Marktwirt-schaft immer noch drangsaliert und verfolgt werden.

 

Eine demokratische Befürwortung dieser ökosozialistischen, feministischen und sexistischen Tendenzen selbst durch parlamentarische Mehrheiten ist keine hinreichende politische Legitimation, weil sie Grundrechtsfragen betrifft, über die man grundsätzlich nicht bloß demokratisch durch Mehrheiten entscheiden kann. Denn Grundrechtsfragen fallen in die Expertise von Verfassungsgerichten, die sich daufhin zu prüfen haben, ob sie (1.) logisch widerspruchsfrei, (2.) in ihren faktischen Anteilen wissenschaftlich haltbar und (3.) mit den Idealen, Prinzipien, Normen und Werten der Ver-fassung vereinbar sind. Über Grundrechtsfragen entscheiden daher in rechstaatlichen Demokratien in letzter Instanz

möglichst politisch unabhängigen Verfassungsgerichte. Die Institutionen des Rechtsstaates und insbesondere die Verfassungsgerichte müssen daher weitgehend unabhängig sein, um insbesondere in Grundrechtsfragen die Gesetze der legislativen Parlamente und Regierungen kontrollieren zu können.

 

Auf der rechten Seite drohen nationalistische Tendenzen mit einem ideologischen Hang zu einem falsch verstandenen Patriotismus, der zu einem kulturalistischen Nationalismus mit rassistischen Tendenzen führt, wo es nicht mehr um den adäquaten Schutz der objektiven Interessen der eigenen politischen Nation, um Gemeinsinn und Wohlstand sowie um den sozialen Frieden geht. Rechtstaatlich verstandene Staatsbürgerschaft wird abgelehnt und durch eine biologisch oder kulturalistisch verstandene Volkszugehörigkeit durch genetische Abstammung und kulturelle Herkunft ersetzt. Das richtet sich dann jedoch gegen die Möglichkeit, durch Einwanderung und Integration legitime Staatsbürgerschaft zu erwerben und akzeptierter Mitbürger zu werden.

 

Nationalisten versuchen anders als Patrioten, Einwanderung generell zu verhindern, anstatt sie im Interesse des Landes durch ein effektives und humanes Grenzregime und durch eine kluge und nützliche Einwanderungspolitik politisch zu steuern. Sie hängen ideologischen Wunschbildern von einer homogenen Kulturnation an, die es auch früher wirklich nie gegeben hat, anstatt die gelingende Integration von Einwanderern und Minderheiten in eine stabile Mehrheitsgesellschaft mit einer politischen Leitkultur, mit einer überlieferten Landessprache und mit einem bestimmten bewährten Grad an Alphabetisierung und Schulbildung zu ermöglichen. Aufgrund einer zu geringen Wertschätzung der Trias von Demokratie, Rechtstaat und sozialer Marktwirtschaft werden autoritäre Staaten wie China, Russland oder die Türkei idealisiert.

 

Selbstverständlich stellen sich alte und neue populistische und extremistische Gruppen, Bewegungen und Parteien selbst gerne als die Guten dar und ihre jeweiligen Gegenspieler auf der anderen Seite als die Bösen. Zur Verstärkung ihrer Ideen, Ideologien und Positionen  werden nur allzu gerne gnostische. luziferische und manichäische Bilder und Metaphern von einem mythischen Kampf zwischen Gut und Böse, Licht und Finsternis bedient, die selbst hoch-gradig demagogisch und ideologisch sind. Sie dienen vor allem der narzisstischen Selbstverklärung und der Dämoni-sierung der politischen Andersdenkenden und der weltanschaulich Andersgläubigen. 

 

Totalitarismus als Produkt der Moderne

 

Seit der Neuzeit  gilt das Neue den Fortschrittsgläubigen selbst schon für das Erstrebenswerte, ganz gleich, ob es wahr, schön und gut ist. Die Epochenbezeichnung "Neuzeit" deutet selbst schon auf diese seltsame Idealisierung des Neuen hin. Kritisch reflektiert ist das Neue jedoch noch gar nicht an sich erstrebenswert, da es immer auch falsch, hässlich und schlecht sein kann. Auch der Marxismus und der Nationalsozialismus waren anfangs neu und galten als fortschrittlich.

 

Auch die Bezeichnung "Moderne" für unsere eigene Epoche seit dem Ersten Weltkrieg, hat in den Ohren der meisten Zeitgenossen immer noch einen guten und hoffnungsvollen Klang. Aber eine Epoche, die mit zwei Weltkriegen und dem Holocaust, mit Auschwitz und dem Archipel Gulag, mit den beiden Atombombenabwürfen von Hiroshima und Nagasaki begonnen hat, sollte sich eigentlich nicht selbst gefallen und sich selbst loben, sondern vielmehr zutiefst vor sich selbst erschrecken und sich selbst gegenüber skeptisch bleiben.

 

Schließlich sollten wir uns gelegentlich daran erinnern, dass sich auch schon die Nationalsozialisten selbst für ganz fortschrittlich und modern hielten. Sie glaubten, dass ihre sozialdarwinistische "Rassenhygiene" eine wissenschaftliche Grundlage hätte und sie waren stolz darauf, die damals modernsten technischen Errungenschaften, wie Autobahnen, Volkswagen und Volksempfänger, Panzer, Flugzeuge und V2-Raketen zu nutzen. Auch die marxistischen Sozialisten hielten sich und ihre marxistische Weltanschauung für ganz modern, fortschrittlich und wissenschaftlich fundiert. Ihr gemeinsamer Feind waren die überlieferten Religionen des Judentums und Christentums, die sie für überholt und veraltet hielten und daher ersetzen oder beseitigen und ihre Anhänger auslöschen und vernichten wollten.

 

Während in der Neuzeit und Aufklärung sich Juden und Christen noch mit dem neuen Weltbild der Naturwissenschaf-ten arrangieren konnten, waren sie im 20. Jahrhundert zunehmend zwei ganz verschiedenen Attacken ausgesetzt. Die Nationalsozialisten entwickelten einen heidnischen Führerkult und eine heidnische Weltanschauung und inszenierten sich mit römischen Formen der öffentlichen Selbstdarstellung und versuchten zugleich germanische Bräuche und Mythen wieder zu beleben. Dieser künstliche Rückgriff auf ein vorchristliches Heidentum konnte jedoch nur erfolgen, weil infolge des Ersten Weltkrieges der biblische Glaube der Juden und Christen an einen Schöpfergott geschwunden war. Die internationalen Sozialisten versuchten hingegen nicht ein vorchristliches Heidentum wiederzubeleben, sondern säkularisierten die messianischen Hoffnungen der Juden und die christlichen Hoffnungen auf das kommende "Reich Gottes" um und gaben sich dazu betont wissenschaftlich, da die Marxisten ihren Historischen Materialismus für eine wissenschaftliche Weltanschauung hielten.

 

Jedenfalls gab es vor der säkularisierten Moderne noch gar keinen Totalitarismus, weil der politische Totalitarismus selbst ein kulturelles Verfallsprodukt der Moderne ist. Erst nachdem die säkulare Moderne infolge des Ersten Welt-krieges die "Gottesfinsternis" (M. Buber) herbei geführt hatte, konnten die  neuen politische Idolatrien des Totalitaris-mus entstehen und sich erfolgreich ausbreiten. An die Stelle Gottes treten die Götzen der politischen Ideologien als fragwürdigen Verabsolutierungen der Ideen von Freiheit, Gleichheit oder Solidarität, etc., weil die Menschen aufgrund ihrer eigentümlichen Bewusstseinsstruktur dazu neigen, immer irgendetwas absolut zu setzen.

 

Da der monotheistische Glaube vieler Juden und Christen an einen allmächtigen und allwissenden, gerechten und barmherzigen Schöpfergott nach den beiden Weltkriegen aus verständlichen Gründen geschwächt war, glaubten die Menschen ersatzweise wieder an den alten heidnischen Götzen Mammon. Denn die Menschen streben von Natur aus nach Glück in den verschiedenen Formen von sozialer Anerkennung, beruflichem Erfolg, leiblicher Gesundheit, persön-licher Zufriedenheit, eigenem Ruhm und wachsendem Wohlstand. Dabei handelt es sich zwar um lebenswichtige Güter mit einen relativen Stellenwert, aber nicht um Dinge, die einen absoluten Wert haben, weswegen sie folglich auch nicht absolut gesetzt werden können, ohne pathologisch zu werden.

 

Dass es jedoch sowohl im Judentum als auch im Christentum auch noch ein ganz anderes und ursprünglicheres Verständnis von Gott gab, der als unbekannter Jehova von sich sagt "Ich bin der ich bin" und der als transzendenter Deus absconditus jenseits dieser allzu menschlichen Wunschvorstellungen und scholastischen Zuschreibungen von Allmacht und Allwissenheit, von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit ist, das war den verständlicherweise Enttäuschten zu wenig bekannt. Außerdem wussten sie anscheinend nicht, dass sich das Böse immer hinter einer Maske des Guten versteckt.

 

Der biblische Satan ist nicht etwa die alte mythische Schlange, die die beiden "Urmenschen" Adam und Eva nur aus der paradiesischen, aber bloß animalischen Einheit mit der Natur herausführt und damit zu selbstbewussten Menschen mit Scham- und Schuldgefühlen und mit einem Wissen von Gut und Böse werden lässt. Satan ist vielmehr ein gefallener Engel, der Menschen auf alle erdenklichen Weisen und selbst mit biblischen Zitaten zu verführen versucht, indem er sie geistig verwirrt, ihnen falsche Vorstellungen von der Wirklichkeit und von Gottes Schöpfung vermittelt und ihnen falsche Begriffe von Gut und Böse suggeriert. Indem er u.a. auch als ein Engel des Lichtes (Luzifer) erscheint, lassen sich die Menschen immer wieder von ihm blenden und verführen.

 

Auch wenn dies anscheinend nur ein alter Mythos ist, erweist er sich dennoch immer wieder als wahr. Wahr ist er jedoch nicht in einem positivistischen oder szientistischen Sinne, weil er wissenschaftlichen Daten, Hypothesen und Theorien entspricht, sondern indem er uns unsere eigene condition humaine besser verstehen lässt.