Wokeness - Ideologie, Kult und Bewegung

 

 

 

 

 

 

 

Woke Verirrungen im Labyrinth des Kulturkampfes

 

Artikel in The European vom 30.09.2024

 

Ein wichtiges und fesselndes Buch der renommierten Ethnologin Susanne Schröter erfährt eine verstörend schwache Rezension in einer Zeitung, die angeblich kluge Köpfe informiert.

 

Die renommierte Ethnologin Susanne Schröter hat vor kurzem ein Buch über den „neuen Kulturkampf“ veröffentlicht. Darin zeigt sie anhand einer Reihe von Themenfeldern die Gefahren auf, die von einer woken Linken an unseren Universitäten und Kulturinstituten ausgehen. Bei einem Buch von so herausragender Qualität, wie dem von Susanne Schröter, das so sehr um Sachlichkeit und Objektivität bemüht ist, überlässt man die Rezension gerne anderen, zumal Schröter im wissenschaftlichen und politischen Diskurs eine wichtige Rolle spielt und ihre Arbeiten in der Regel die ihnen gebührende Aufmerksamkeit erhalten. In der FAZ erschien jedoch jüngst eine Rezension der Schriftstellerin Ronya Othmann, die zum Widerspruch zwingt, weil sie Autorin und Buch in herablassender und oberflächlicher Weise ab-wertet. Als Rezension an sich ist ihr Text von sehr geringem Wert, da er Schröters Buch in keiner Weise gerecht wird.

Es sind andere Aspekte, die den Autor zu diesem Kommentar und einer eigenen Rezension veranlasst haben.

 

Schröter hat es geschafft, in die Reihe der unabhängigen Wissenschaftler und Intellektuellen aufgenommen zu werden, die von den Anhängern der woken Ideologie mit der Bezeichnung „umstritten“ versehen wurde. Das bedeutet zum einen, dass sie mit ihren Veröffentlichungen ein breites Publikum erreicht (unter einer gewissen Schwelle werden die woken Kettenhunde nicht von der Leine gelassen), und zum anderen, dass sie mit ihrer Kritik auf einen empfindlichen Nerv trifft. Deshalb versuchen die Organisationen des linken Spektrums, sie zu zermürben und zu diskreditieren, wobei sie nach einem bewährten Muster vorgehen. In der Regel sind es unbegründete (und nicht begründbare) Ad-personam-Attacken aus dem Kreis der Wohlgesinnten, um einen Ausdruck von Alexander Wendt zu verwenden. Besonders heftig fiel diese verunglimpfende Kritik anlässlich der von Schröter organisierten Konferenz "Migration steuern, Pluralität gestalten, Herausforderungen der Einwanderungspolitik in Deutschland" aus. So wertete etwa der AStA der Goethe-Universität den Begriff „Steuern“ im Titel als ein „rechtspopulistisch genutztes Bild“. Die Konferenz, so der AStA, sei nichts anderes als ein „Schaulaufen der pseudowissenschaftlichen und vom Rechtspopulismus nicht immer abgegrenzten Akteure“. Das sind natürlich völlig haltlose, an den Haaren herbeigezogene Anschuldigungen. Irgendwann wird es einen Linguisten geben, der die Lingua Wokis Imperii untersucht, und dann werden diese Verleumdungen bestimmt nicht fehlen, verdeutlichen sie doch zum einen, wie in Orwell’scher Manier die Sprache so zurechtgestutzt werden soll, bis eine Kritik an der woken Glaubenslehre nur noch in einem (gesellschaftlich) verminten Terrain möglich ist, und zum anderen, dass jeder beliebige Haufen (bestenfalls) Halbgebildeter jeden herausragenden Wissenschaftler und Praktiker nach Belieben diskreditieren kann.

 

Universitäten als Horte des Opportunismus

 

Nun könnte man einwenden, das sei doch alles nicht so schlimm. Ist es aber doch. Denn in Verbindung mit dem tollpatschigen, narzisstischen Auftritt von Boris Palmer auf der Konferenz hatte diese Kampagne erhebliche negative Konsequenzen für Schröter. Wie sich enge Kollegen und Vorgesetzte aus opportunistischen Gründen von ihr abwandten, wie sie von Studenten verraten wurde – davon handelt der Anfang ihres Buches. Konfrontiert mit der daraus resultierenden Isolation in ihrem beruflichen Umfeld und dem erlittenen Trauma, begann sie die Dinge aus ihrer Sicht aufzuschreiben. Entstanden ist ein fesselndes Buch, das ein umfassendes Bild des grassierenden Wokismus im Wissenschafts- und Kulturbetrieb zeichnet. Sie beschreibt, wie sie auf perfide Weise ausgegrenzt und auf übelste Weise denunziert wurde, wann immer sie (aus der Sicht der Woken) kritische Themen aufgriff, etwa als sie eine Konferenz über Musliminnen und das Tragen des Kopftuchs organisierte. Schröter analysiert eingehend, wie strukturelle Gründe (nicht zuletzt der Zwang sich dem woken Zeitgeist zu unterwerfen, um überhaupt Drittmittel einwerben zu können), die Universitäten zu Horten des Opportunismus gemacht haben, in denen statt Wissenschaft eine Art von Religion betrieben wird. Sie widmet sich der Besessenheit der woken Linke, die Nationalstaaten de facto abzuschaffen, indem sie sich gegen jede Form der Integrationssteuerung ausspricht. Sie beschreibt die Macht, die eine „Islamophobie-Lobby“ in westlichen Ländern (insbesondere der BRD) mittlerweile erlangt hat, und beleuchtet die unrühmliche Rolle, die viele ihrer Kollegen spielen, indem sie bereits die Nennung bloßer Fakten als antimuslimisch denunzieren und dafür von der Politik üppig alimentiert werden.

 

Als wäre das nicht schon genug Stoff, um es sich mit den Woken zu verscherzen, befasst sie sich in weiteren Kapiteln mit dem fehlgeleiteten radikalen Feminismus und den unsäglichen Konsequenzen, die sich aus der sogenannten postkolonialen Theorie ergeben. Letztere ähnelt ebenfalls mehr einer Religion als einer wissenschaftlichen Theorie, da ihre Kernthesen über den strukturellen Rassismus nicht empirisch beweisbar sind. Besonderen Raum widmet Schröter auch der Beschreibung des Einflusses, den woke Ideen mittlerweile in den Medien (insbesondere im ÖRR), in staatlichen Vorfeldorganisationen und in kulturellen Institutionen gewonnen hat.

 

Auch wenn der Ausgangspunkt für die Arbeit an diesem Buch ein Zustand der Erschütterung über die erlebte weitgehende Ausgrenzung nach der Migrationskonferenz war, überträgt sich diese Haltung nicht auf das Buch. Schröter formuliert ihre Kritik in glasklarer Form und ohne jede Schärfe (eine Grenze, die sie übrigens auch im persönlichen Gespräch oder in der öffentlichen Rede stets wahrt). Ihre Auffassungen – man mag sie teilen oder nicht – sind stets begründet oder nachvollziehbar belegt. Hervorzuheben ist die schnörkellose, aber in ihrer Klarheit fesselnde und nie verletzende Sprache, in der das Werk verfasst ist. Dieser Stil zieht sich in einem Puls durch das gesamte Buch, das zudem noch sehr gut lektoriert ist.

 

„Susanne Schröter hat durchaus Punkte“

 

Wenden wir uns nun wieder der Rezension von Othmann zu. Sie beginnt sie in einer kaum fassbaren Schnoddrigkeit: „Susanne Schröter hat in ihrem Buch durchaus Punkte. Etwa wenn sie von der antisemitischen Querfront von Linken und Islamisten schreibt. (War ja auf den Palästina-Demonstrationen der letzten Monate auch nicht zu übersehen.)“ lauten die ersten Sätze ihres Artikels. Man reibt sich den Kopf: Wird da über eine der renommiertesten und mutigsten Wissenschaftlerinnen dieses Landes geschrieben? Soll der Klammerausdruck suggerieren, dass Schröter unter den Punkten, die sie „hat“, vornehmlich bereits Bekanntes zu Tage fördert? Es ist eine stilistisch wie inhaltlich höchst merkwürdige Einleitung, und es ist kaum zu glauben, dass die FAZ nach solch unbeholfenen Zeilen, diesen Text für eine Veröffentlichung auch nur in Erwägung zieht.

 

In diesem holprigen Stil geht es weiter. Lässt der Anfang zumindest noch hoffen, dass Othmann eine gewisse kritische Haltung gegenüber den Woken einnehmen könnte, so wird im weiteren Verlauf deutlich, dass sie lediglich eine Art von „hit-job“ in Sachen Wokeness verrichtet. Die Autorin reiht ihre Kritikpunkte wild aneinander und bedient sich dabei gängiger woker Sprachreinigungs- und Cancel-Praktiken. So wirft sie Schröter vor, statt von Abschiebung von Rückführung zu sprechen, ohne auch nur den Kontext zu nennen, aus dem sie zitiert, und ohne zu sagen, warum diese Wortwahl überhaupt problematisch sein soll. Außerdem wirft sie Schröter vor, „das ganze Buch über von Migration [zu sprechen] und nicht von Migration und Flucht“.

 

Die damit verbundene Insinuation, Schröter würde hier nicht klar zwischen Migrationsursachen unterscheiden, lässt sich durch nichts im Buch belegen, zumal Migration der Oberbegriff ist, der auch die Flucht vor Verfolgung umfasst. Ein weiterer Vorwurf von Othmann ist, dass Schröter (pauschal) zu wenig differenziere. (Das erinnert in seiner Peinlichkeit ein wenig an den berühmten Ausspruch Josephs II.: „Zu schön für unsere Ohren und gewaltig viele Noten, lieber Mozart.“) Othmann konstatiert: „Die ‚Woken‘ erscheinen als homogener Block“, und Schröter unterscheide nicht ausreichend zwischen den unterschiedlichen Richtungen. Dies ist eine altbekannte Verteidigungstaktik der Woken (Red Herring), die oft mit einer Bagatellisierung woker Glaubensgrundsätze und Praktiken einhergeht. Es wird suggeriert, dass man die Tiefe der woken Theorien eben nicht begreift und sie daher verzerrt darstellt. Es war jedoch nicht die Absicht von Schröter, ein Übersichtsbuch über die verschiedenen Formen von woken Theorien zu schreiben (davon gibt es bereits genug). Insofern ist es durchaus legitim, nur dort zu differenzieren, wo es notwendig ist. Die Psychologin Esther Bockwyt hat übrigens in ihrem kürzlich erschienenen Buch „Woke, Psychologie eines Kulturkampfes“ die gemeinsamen Kernelemente der woken Bewegungen auf nur zwei Seiten (S. 95/96) sehr treffend zusammengefasst.

 

Wer hat hier Fakten unterschlagen?

 

Da Schröter den Historiker Egon Flaig als „streitbaren Intellektuellen“ bezeichnet (es geht um die Absage seines Vortrags an der Universität Erlangen nach Protesten der Woken), wird sie von Othmann erneut hart angegangen. Flaig ist bei den Woken nicht gut angesehen, vor allem, weil er einen der höchsten Glaubensgrundsätze der Woken überhaupt, nämlich dass Sklaverei als etwas zu betrachten ist, das ausschließlich die „Weißen“ zu verantworten haben, in Frage stellt, indem er u.a. auf den lebendigen Sklavenhandel in anderen Kulturkreisen (insbesondere dem islamischen) verweist.

 

Othmann wirft Schröter auch hier vor, Fakten zu unterschlagen. So erwähne sie nicht, dass Flaig (neben Eva Hermann und Uwe Tellkamp – Achtung: Kontaktschuld!) eine Erklärung zur Masseneinwanderung unterzeichnet habe. Ferner spricht sie davon, dass man Flaigs „Polemiken“ auch als „Holocaust-Relativierung“ verstehen könne. Damit meint sie wohl Flaigs (durchaus nachvollziehbare) These, dass man sich als Nation nicht nur auf negative Erlebnisse wie den Holocaust fokussieren könne. Und sie kritisiert, dass Flaig über diese These auf Einladung der AfD (Achtung: schon wieder Kontaktschuld!) in einem Ausschuss des Bundestages vorgetragen hat. Auch hier sind die Ausführungen von Othmann völlig fehl am Platze, denn zum einen ist die Bezeichnung „streitbar“ im Deutschen keinesfalls eine unein-geschränkt beipflichtende Bezeichnung, zum anderen ging es in diesem Kontext um eine Ausladung Flaigs von einem Vortrag („Canceling“), den er an der Universität Erlangen halten sollte. Von „Aussparungen“ (Othmann) hinsichtlich der umstrittenen Rolle kann jedenfalls nicht die Rede sein, wenn man wie Schröter ausführt: „Flaigs scharfe Auseinander-setzungen mit Vertretern der postkolonialen Theorie (…), seine Äußerungen zu Migration und Einwanderung sowie seine strikte Ablehnung jedweder Identitätspolitik lösen stets schrille Reaktionen aus.“ (S. 65)

 

Und dann beglückt uns Othmann noch mit dem abgedroschensten Gemeinplatz der Cancel-Ideologie: „Meinungs-freiheit bedeutet nicht Widerspruchsfreiheit.“ Das behauptet auch niemand, schon gar nicht Schröter. Aber für sie,

wie für viele andere, bedeutet Widerspruch aber nicht Boykott!

 

In dieser Form setzt sich der Text von Othmann fort, ohne dass hier auf alle Punkte eingegangen werden kann. Um aber die größte Fehlleistung in dieser Rezension herauszuarbeiten, muss eine längere Passage aus dem Buch zitiert werden, die sich mit dem politischen Diskurs über Migrationsprobleme in den 70er und 80er Jahren beschäftigt, insbesondere mit der Frage, ob Deutschland ein Einwanderungsland sei. Schröter schreibt dazu: „Ethnografische Forschungen zeigten in der ländlichen Türkei und bei Migranten, die aus diesen ruralen Regionen stammten, tatsächlich ein kulturelles Universum, das sehr weit von der bundesrepublikanischen Wirklichkeit entfernt war, doch es muss bezweifelt werden, dass diese Studien jemals von der Politik zur Kenntnis genommen wurden. (…) Es wurden weder Maßnahmen getroffen, um kulturelle Dissonanzen durch Integrationsmaßnahmen zu minimieren, noch funktionierte die angestrebte Rück-führung in dem erwarteten Maß. Schon vor 50 Jahren manövrierte sich die Politik in eine Situation der Handlungs-unfähigkeit hinein, die die Einwanderungspolitik noch heute kennzeichnet. (Absatz) In dieser Situation glaubten radikale Akteure in extremistischen Milieus freie Hand zu haben. Es kam zu rechtsradikalen Übergriffen. 1991 wurden eine Flüchtlingsunterkunft und ein Vertragsarbeiterwohnheim in Hoyerswerda von Rechtsextremen angegriffen, 1992 geschah das Gleiche in Rostock-Lichtenhagen.“ (S. 94/95)

 

Wenn Aussagen völlig verdreht werden

 

Was macht nun Othman daraus? Sie schreibt: „Den rassistischen und rechtsradikalen Terror in Solingen, Mölln und Rostock-Lichtenhagen Anfang der Neunzigerjahre interpretiert Schröter als Antwort auf das Versäumnis, ‚kulturelle Dissonanzen durch Integrationsmaßnahmen zu minimieren‘ und in ‚erwartetem Maß‘ Rückführungen zu veranlassen. Mit anderen Worten: Nicht etwa aus rassistischen Motiven, nicht wegen ihrer rechtsextremen Ideologie hätten Neonazis Mordanschläge verübt, sondern weil zu wenig integriert und abgeschoben wurde. Eine schräge Interpretation und im Grunde Täter-Opfer-Umkehr.“

 

Da reibt man sich die Augen. Diese Interpretation ist eine völlige Verdrehung dessen, was Schröter geschrieben hat, denn sie skizziert lediglich die politische Situation in dem genannten Zeitraum. Daraus abzuleiten, sie sehe die Handlungsunfähigkeit der Politik als Motiv für diese Anschläge und nicht die rechtsextreme Ideologie, ist nichts anderes als eine bodenlose Unterstellung.

 

Liest man bei der FAZ die publizierten Texte?

 

Spätestens an dieser Stelle tritt das Interesse an Othmann, die ihrer Aufgabe offensichtlich weder inhaltlich noch sprachlich gewachsen war und durch Schnoddrigkeit und Phrasendrescherei Kompetenz vortäuscht, in den Hinter-grund, und der Blick richtet sich auf das Publikationsmedium. Jeder halbwegs kompetente Redakteur hätte diesen Text bereits nach der Lektüre der ersten vier Sätze zurückgegeben. Nicht so die Verantwortlichen der FAZ. Und hierin liegt das eigentlich Traurige – ja Erschütternde. Hat das überhaupt jemand Korrektur gelesen? Und wo war eigentlich der zuständige Herausgeber? Hätte der nicht wenigstens merken müssen, dass man außer Nebensächlichkeiten durch diese Rezension eigentlich überhaupt nichts über das Buch von Schröter erfährt?

 

Der Niedergang dieser Zeitung war in der Zeit nach dem Tod von Frank Schirrmacher kaum zu übersehen. Peter J. Brenner formulierte bereits im Jahr 2020 einen viel beachteten Abschiedsbrief. Kaum zu glauben, dass diese Zeitung noch weiter abdriften konnte. Für die (ehemaligen) Leser, die diese Zeitung zu Zeiten von Joachim Fest und Marcel Reich-Ranicki verehrt haben, ist diese Rezension allerdings ein neuer Tiefpunkt. In den letzten Jahren hat das einst erste Blatt der Republik (einer ganz anderen Republik zugegebenermaßen) einen bedauerlichen Weg eingeschlagen. Die Position als führende konservativ-liberale Zeitung wurde leichtfertig aufgegeben. Stattdessen genoss man in den Chefetagen den Ruhm, den die regelmäßigen Sitzungen mit Angela Merkel einbrachten, und verausgabte sich in einem Abnutzungskampf mit der linkslastigen Süddeutschen Zeitung, den man nicht gewinnen konnte. Ihr bleibt nur noch der Platz zwischen den Stühlen, da die meisten ihrer traditionell konservativen Leser inzwischen zu anderen Publikationen abgewandert sind. Schaut man sich die Parteienlandschaft in der BRD an, so erkennt man deutliche Parallelen zu den Ampelparteien. Hier hilft, wenn überhaupt, nur eine radikale Kehrtwende.

 

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Susanne Schröter: Der neue Kulturkampf. Wie eine woke Linke Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft bedroht,

Herder Verlag, 2024, 272 Seiten, Paperback 20 EUR, eBook 15 EUR